Eisenhüttenstadt Eine Stadt für ein Werk
Vor 70 Jahren wurden im heutigen Eisenhüttenstadt die ersten Wohnblocks bezogen - ein sozialistisches Modellvorhaben der DDR. Auch heute noch hängt der Ort stark von der Stahlindustrie ab.
Eine Fahrtstunde östlich von Berlin liegt Eisenhüttenstadt an der Oder und der Grenze zu Polen. Deutschlands größtes Flächendenkmal - die erste sozialistische Planstadt der DDR. Eine Stadt für ein Werk, das "Eisenhüttenkombinat Ost", kurz EKO, beide förmlich aus dem sandigen Boden gestampft.
"Wir haben uns damals gewundert, wie so eine Stadt entsteht" sagt Herbert Thiele. Sein Onkel gehörte 1951 zu den Ersten, die im Wohnkomplex I einzogen. Er selbst folgte zwei Jahre später als 17-Jähriger zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern. "Die Zimmer waren nicht allzu groß, die waren klein, aber wir, die auf den Dörfern gewohnt haben, wir hatten ja alle keine große Wohnung", erinnert sich Thiele.
Arbeit, ein Zuhause und eine Zukunft bot ihnen die neu entstehende Stadt damals. "Es war eine schöne Zeit, ich bereue nichts", sagt Thiele. Er selbst baute die Backwarenfabrik mit auf, arbeitete dort als Kraftfahrer und war 34 Jahre bei der freiwilligen Feuerwehr. Alte Ladenstraße hieß seine Adresse damals, dort war auch die erste HO-Kaufhalle der Stadt. Im EKO, dem Stahlwerk, dem die Stadt später ihren Namen verdankte, arbeitete Thiele nie. Sein Vater und zwei seiner Schwestern waren da beschäftigt, wie die meisten der Einwohner hier.
Tom Hanks schwärmte von "Iron Hut City"
Was damals als Utopie begann, beeindruckte 60 Jahre später sogar Tom Hanks, der Hollywoodstar nutzte 2011 eine Drehpause in Berlin für einen Tagesausflug nach Eisenhüttenstadt. Später erzählte er in New York in der Talkshow von David Letterman von seinen Eindrücken, und dass die Kommunisten die Stadt 1953 gebaut hätten, um den Leuten zu zeigen, wie großartig das Leben im Sozialismus sein könnte.
Im Juli 1950 beschloss die SED ihren ersten Fünfjahresplan zum Aufbau des Sozialismus. Dazu gehörte das "Eisenhüttenkombinat Ost". Die DDR war abgeschnitten von den Kohle- und Stahlrevieren im Westen und auf Importe angewiesen. Das wollte die Partei ändern. Es herrschte Aufbruchstimmung. Am 1. Januar 1951 wurde der Grundstein für den ersten Hochofen gelegt, fünf weitere kamen in den Folgejahren hinzu, Ende der 1960er-Jahre ein Kaltwalzwerk. Zum Ende der DDR arbeiteten 20.000 Menschen hier in sechs Kombinatsbetrieben.
Einige Jahre als "Stalinstadt"
Parallel dazu entstand aus einer Barackensiedlung die neue Wohnstadt für die "Hüttenwerker". Die ersten Häuser waren einfach, die Wohnungen klein - für Arbeiter eben. Doch es galt die Doktrin der Stalin-Ära, und so änderte sich in den Folgejahren auch das Bild der neuen Stadt. Sozialistischer Klassizismus war angesagt, auch "Zuckerbäckerstil" genannt, wegen der vielen Verzierungen an den neuen Prachtbauten; dazu viel Platz und ausgedehnte Grünflächen zwischen den Häusern, Magistralen, Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Einkaufsmöglichkeiten, Kultureinrichtungen. 1953, nach dem Tod Stalins, erhielt der Ort den Namen des sowjetischen Führers: Stalinstadt.
Nach der Abkehr vom Stalinismus wurde daraus 1961 dann Eisenhüttenstadt. Auch das Bauen änderte sich in den folgenden Jahrzehnten. Industrialisierter Wohnungsbau war nun der Trend der Zeit, normierte Zweckbauten entstanden. Und als landesweit Wohnungsknappheit und Mangelwirtschaft zunahmen, galt es, schneller und billiger zu bauen. Die "Platte" stand dann auch in den neuen Wohnkomplexen in Eisenhüttenstadt. Die Stadt wuchs. 1988 lebten 53.000 Menschen hier, in einem Ort, der mal für 30.000 geplant war.
Stirbt das Werk, stirbt die Stadt
Nach dem Mauerfall 1989 kam es zum Zusammenbruch der DDR und ihrer Wirtschaft. Die Folgen trafen auch Eisenhüttenstadt voll. Dem Stahlwerk drohte die Schließung, es folgten bange Jahre mit mehreren Verkäufen und Modernisierung. Seit 2002 gehörte das frühere EKO zu Arcelor, ab 2006 zum ArcelorMittal-Konzern, einem der weltweit größten der Branche. Von den einst 20.000 Arbeitsplätzen sind heute noch etwa 2500 übrig. Aufgrund der wachsenden Arbeitslosigkeit gingen besonders die Jungen weg. Ein Schwund, der bis heute anhält - aktuell leben knapp 25.000 Menschen in Eisenhüttenstadt.
Inzwischen saniert: Zu DDR-Zeiten gebaute Wohnhäuser in Eisenhüttenstadt.
Doch mit Erhalt des Werkes konnte die Stadt auch den einsetzenden Verfall stoppen, ein umfangreicher Umbau begann. Viele der alten Wohnblöcke sind saniert, leerstehende jüngere Plattenbauten abgerissen worden und Grünflächen gewichen. Noch steht bei der Gebäudewirtschaft jede siebte Wohnung leer. Mit Angeboten wie "Junges Wohnen", das speziell an Studierende, Berufsanfänger und junge Familien gerichtet ist, versucht das städtische Wohnungsunternehmen, die Jüngeren wieder in die Stadt zu locken.
Eines gilt nach wie vor: "Eisenhüttenstadt lebt natürlich in Symbiose mit dem Stahlwerk", sagt Bürgermeister Frank Balzer von der SPD. So versetzt jede Krise der Stahlbranche auch die Stadt und seine Einwohner in Unruhe. Aktuell die Pandemie, aber auch die Billigimporte unter anderem aus China machten den "Hüttenwerkern" zu schaffen. "Grüner Stahl" heißt jetzt das neue Schlagwort. ArcelorMittal plant auch in Eisenhüttenstadt die Stahlschmelze umzustellen, weg von der Kohle zunächst auf Erdgas und dann auf Wasserstoff. 2050 will der Konzern hier klimaneutral produzieren. Ob dies finanziert werden kann - und wenn ja: wie -, davon wird die Sicherung des Standortes und der Arbeitsplätze abhängen. Dabei setzen die "Hüttenwerker" auch auf die neue Tesla-Gigafabrik in Grünheide, die sie gern mit Stahl beliefern würden.
70 Jahre Eisenhüttenstadt. Das Jubiläum wollte Bürgermeister Balzer schon im vergangenen Jahr feiern, Corona machte ihm einen Strich durch die Rechnung. 2022 aber hofft er auf ein großes Fest.