Verkehrspolitik Das forsche Elektroauto-Ziel der Ampel
Derzeit gibt es rund 450.000 Elektroautos in Deutschland. Die designierte Regierung will in neun Jahren gut 14,5 Millionen E-Fahrzeuge mehr auf den Straßen haben. Ist das zu schaffen?
Innerhalb von neun Jahren soll es knapp 30 mal mehr Elektroautos auf den deutschen Straßen geben als bislang. Das ehrgeizige Ziel hat die künftige Bundesregierung im Koalitionsvertrag verankert. Zum 1. Juli 2021 gab es 440.000 E-Autos, bis Ende 2030 sollen es 15 Millionen sein. Doch dafür muss die entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden - und ein Großteil der Kunden muss diese Art von Auto künftig kaufen wollen.
"Man muss sich auch solche ambitionierten Ziele setzen, um dann auch den Druck dahinter zu haben, alles Mögliche zu tun, um es zu erreichen", sagt SPD-Verkehrsexperte Detlef Müller. Es hänge aber auch von den Herstellern ab und was diese jeweils auf den Markt bringen würden: welche Pkw, mit welchen Reichweiten, zu welchen Preisen. "Es wird dann ab einem bestimmten Punkt selbstverständlich sein, sich ein E-Auto zu kaufen", so Müller, der seit vielen Jahren Mitglied des Verkehrsausschusses im Bundestag ist.
Sind bald 90 Prozent der Neuzulassungen E-Autos?
Das ambitionierte Ziel sei sicherlich theoretisch zu erreichen, sagt Ferdinand Dudenhöffer. "Aber dazu bräuchte man wirklich richtige Kraftanstrengungen und nicht so kraftlose Programme, wie sie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen werden." Das Problem aus Sicht des Automobilexperten: "Wer ab 2025 Elektroautos nicht mehr begünstigt und gleichzeitig den Benziner und Diesel so lässt, wie er heute ist, der macht den Leuten ein X vor dem U vor." 15 Millionen E-Autos seien mit diesen Rahmenrichtlinien nicht realistisch.
Rein rechnerisch müsste in jedem der kommenden neun Jahre etwa die Hälfte aller Neuwagen ein E-Auto sein. Derzeit sind es zehn Prozent der jährlich drei Millionen neu zugelassenen Nutzfahrzeuge. Am Ende der 2020er-Jahre müsste sich das also auf neun von zehn steigern. Sollte es kurz vor dem Verbot der Neuzulassung von Verbrennungsmotoren aber einen Sturm auf die letzten herkömmlichen Modelle geben, wird voraussichtlich nichts aus dem Elektroziel. Vergleichbare Effekte gab es auch in der Vergangenheit - etwa beim EU-weiten Verbot von Glühlampen.
Hürden: Reichweite, Preis und Ladeinfrastruktur
Um die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung dieses "Glühlampen-Effektes" zu verringern, müssten einige Probleme gelöst werden. Das erste wäre die Bezahlbarkeit der Elektro-Neuwagen. Bislang gab es staatliche Subventionen von bis zu 6000 Euro und vom Hersteller nochmals 3000 Euro. Laut Koalitionsvertrag wird dies ab Ende kommenden Jahres abgebaut werden, die Zuschüsse sollen sinken. Der staatliche Innovationsanreiz sei als Anschubfinanzierung nötig gewesen, doch das gehe nicht dauerhaft, sagt Verkehrspolitiker Müller.
"Wir gehen davon aus, dass Elektroautos künftig auch günstiger werden", sagt Stefan Möller. Der Leipziger ist Geschäftsführer von Deutschlands größtem Vermieter von Elektroautos. "Wenn man den Umweltbonus jetzt abschmilzt, ist das ja praktisch eine Parallelentwicklung zu den Preissenkungen oder Performance-Steigerungen der Hersteller." E-Autos würden künftig auch höhere Reichweiten haben.
Möller fährt seit 2012 selbst elektrisch. Als Knackpunkt für die künftige Entwicklung sieht er den Ausbau von Schnellladesäulen. An Schnellladesäulen dauert das Laden des Autos eine halbe Stunde, kostet aber deutlich mehr als an normalen Ladestationen, an denen das Auto für eine Vollladung bis zu sieben Stunden steht. So empfehle sich der Umstieg auf das E-Auto heute eigentlich nur für Menschen, die zu Hause oder beim Arbeitgeber das Auto aufladen können, so Möller. Wird das E-Auto öffentlich geladen, ist der Betrieb gegenüber einem modernen Diesel derzeit etwas teurer. Für diejenigen, die zu Hause laden, wäre es billiger; sie zahlten statt "acht bis zehn Euro auf 100 Kilometer dann etwa vier bis fünf Euro".
Neue Kabel, neue Verteilnetze - und neue Windräder
Mit einer steigenden Zahl an Elektroautos könnte es auch an den bisher 45.000 Ladesäulen etwas mehr Gedränge geben. Der Koalitionsvertrag sieht eine Million öffentliche Ladepunkte bis zum Jahr 2030 vor. "Es steht explizit im Koalitionsvertrag, dass ein großer Teil dieser Ladesäulen Schnellladesäulen sein sollen", so SPD-Politiker Müller. "Sie werden dann in jeder Straße neue Kabel ziehen müssen, weil die Verteilnetze derzeit nicht ausreichen." Das werde eine große Herausforderung für die einzelnen Kommunen und Landkreise sein.
Doch die wahrscheinlich größte Hürde: genügend Strom für die Ladesäulen - und zwar grüner Strom, denn nicht nur das Ende der Atomkraft in Deutschland steht vor der Tür, sondern perspektivisch auch der Ausstieg aus der Kohleverstromung. Derzeit sind ein Hundertstel der Landesfläche mit Windrädern belegt; diese Fläche soll sich laut Koalitionsvertrag verdoppeln. Doch nicht alle ziehen da mit: In Sachsen wurde dieses Jahr nur ein einziges Windrad neu gebaut, aber acht alte abgebaut.
Beispiel Sachsen: Zahl der Windräder hat abgenommen
"Sachsen ist ja ein traditionelles Braunkohleland", sagt der sächsische Energie- und Umweltminister, Wolfram Günther. Der Grünen-Politiker ist mit der Bilanz dieses Jahres unzufrieden, aber stößt auch auf viel Widerstand. "Man muss auch sagen, dass vielleicht auch die Widerstände gegen Erneuerbare hier eine lange Tradition hatten." Dabei sei das Recht im Sommer so geändert worden, dass eine Kommune pro Jahr und Windrad nun zwischen 20.000 und 40.000 Euro bekomme.
Denn: In Zukunft wird auch für die Pkw immer mehr grüner Strom gebraucht werden. "Im Jahr 2050 werden wir vermutlich bis zu 100 Prozent Elektroautos haben", sagt Automobilexperte Dudenhöffer. Das wären dann etwa 50 Millionen Fahrzeuge. Dann würden allein für den Betrieb der Autos noch einmal 39.000 Windräder benötigt - zusätzlich zu den heutigen 30.000. Es müssen also wirklich viele Rädchen ineinandergreifen, damit schon mal die anvisierten 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf den deutschen Straßen fahren könnten.
Über dieses Thema berichtet das Magazin FAKT heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten.