Elektromobilität E-Autos bald mit viel mehr Reichweite?
Die Batterien von Elektroautos sind immer leistungsfähiger. Ein Forschungsfahrzeug von Mercedes-Benz hat nun 1200 Kilometer mit einer Stromladung zurückgelegt. Welche Reichweiten werden bald normal?
Die Reichweite von Elektrofahrzeugen, sagen Kritiker, ist überschaubar - zumindest bei Serienfahrzeugen. Die Angst davor, dass die Batterie unterwegs schlapp machen könnte, hält so manchen Autokunden vom Kauf ab, obwohl die großen Serienfahrzeuge mittlerweile zwischen 500 und 700 Kilometer schaffen können - je nach Fahrstil.
Bis zum Ende des Jahrzehnts will der schwäbische Autobauer Mercedes-Benz "vollelektrisch" sein. Bis 2026 sollen mehr als 60 Milliarden Euro in Forschungs- und Entwicklungsausgaben zum Elektrifizieren und Digitalisieren von Fahrzeugen investiert werden. Einen ähnlichen Kurs fährt Volkswagen mit 89 Milliarden Euro. BMW will bis 2025 insgesamt 30 Milliarden ausgeben.
Großer Abstand bei den Verkaufszahlen
Der Absatz der deutschen Autohersteller lag laut Zahlen des Center of Automotive Management weit hinter denen ausländischer Konzerne: Im vergangenen Halbjahr verkauften der kalifornische Hersteller Tesla weltweit 565.000 Fahrzeuge und die chinesischen Autobauer BYD und SAIC jeweils etwa 330.000 Pkw. Volkswagen rangiert mit 217.000 verkauften E-Autos auf Platz vier. Mercedes-Benz liegt aktuell im fünfstelligen Bereich.
Aber: "Die Verkaufszahlen der deutschen Hersteller steigen inzwischen an", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management aus Bergisch Gladbach. Grund sei auch die Innovationsstärke der Hersteller, die zugenommen habe. Letztendlich gehe es bei der Kaufentscheidung hauptsächlich um die Reichweite, und die hänge ab von der Technik, also Batteriestärke, Luftwiderstand und Gewicht.
Möglichst wenig Verbrauch
Das Geld fließt zum Beispiel in die Entwicklung von neuen Fahrzeugen und Antriebskonzepten - etwa bei Mercedes-Benz. "VISION EQXX" heißt eine als seriennahes Elektroauto bezeichnete Neuentwicklung des Konzerns. Von Stuttgart aus ist das Fahrzeug rund 1200 Kilometer bis nach Silverstone in England gefahren - mit einer einzigen Stromladung. Das sei so gar nicht geplant gewesen, sagt Testfahrer und Ingenieur Julien Pillas.
Fuhr von Stuttgart bis nach England mit einer Batterieladung: Das neue Forschungsauto von Mercedes.
"Unser Ziel bei dem Projekt war, einen Effizienzwagen zu bauen, der mehr als 1000 Kilometer auf realen Straßen fahren kann", so Pillas. Rausgekommen sei ein sportliches Auto mit geringem Gewicht. Der durchschnittliche Verbrauch bei der Fahrt auf die britische Insel lag bei 8,3 kWh pro 100 Kilometer - in Dieselkraftstoff umgerechnet wären das etwa 0,8 Liter auf die gleiche Distanz.
Leichter kommt weiter
Mit 1800 Kilogramm wiegt der VISION EQXX wenig im Vergleich zu anderen Elektroautos der sogenannten Premiumhersteller. Dies ist ein erklärtes Ziel der Entwickler gewesen, denn es führt letztlich auch zu mehr Reichweite. Die schwäbischen Konstrukteure haben deshalb an Gewicht gespart. Überall dort, wo es technisch möglich und die Stabilität nicht gefährdet ist, wurde Material weggelassen.
Die Scheibenwischer-Unterkonstruktion stammt aus dem 3D-Drucker.
Die Entwickler nahmen sich die Baupläne von Pflanzen und Lebewesen zum Vorbild. "Wir haben uns in der Natur bedient und die Art und Weise, wie die Natur Wachstum optimiert, uns für das Fahrzeug abgeschaut und unsere Konstruktion davon beeinflussen lassen", sagt Malte Sievers, einer der Entwicklungsingenieur von Mercedes-Benz. So sehe beispielsweise die Unterkonstruktion für die Scheibenwischer so ähnlich aus, wie man es aus der Natur vom Knochenwachstum oder auch von Bäumen kennt.
Auf Aerodynamik kommt es an
"Der Luftwiderstand macht fast zwei Drittel vom Gesamtverbrauch aus", sagt Teddy Woll, der zuständig für die Windschlüpfrigkeit des Forschungsautos ist. Der sogenannte cw-Wert wurde auf das Minimum von 0,17 reduziert. Das wurde bei einem seriennahen Elektroauto bisher nicht erreicht.
Eine besondere Bedeutung komme dabei den beiden Radhäusern vorne zu. "Sie machen etwa ein Drittel vom Gesamtwiderstand aus", sagt Woll. Je mehr Luftverwirbelungen vermieden würden, ums so besser.
Sollen dem Wind besonders wenig Angriffsfläche bieten: die Radhäuser.
Beim VISION EQXX sind Solarzellen auf dem Dach verbaut. So kann Strom auch während der Fahrt erzeugt werden - auch wenn das nicht ganz zum "Volltanken" reicht. Immerhin liefert es zusätzliche Energie für weitere Kilometer. "Wir generieren damit an einem durchschnittlichen Tag rund 25 Kilometer an Extrareichweite", sagt Entwicklungsingenieur Malte Sievers. Das kleine Sonnenkraftwerk könnte ab 2024 in Serienfahrzeugen verbaut werden, so die ersten Pläne.
Unter dem schwarzen Dach verbergen sich 117 Solarzellen
Stand der Forschung als "Blackbox"
"Mit Forschungsfahrzeugen wie diesem von Mercedes-Benz soll das technisch Machbare ausgelotet werden", sagt Stefan Reindl vom Geislinger Institut für Automobilwirtschaft. Mercedes-Benz will in den kommenden Jahren viele der Neuentwicklungen in die Modelle der Kompaktklasse und auch der elektrischen S-Klasse einbauen. "Wie weit die anderen deutschen Autobauer sind oder woran sie momentan gerade forschen, gleicht eher einer Blackbox", so Reindl.
Doch die Dynamik sei bei allen sehr hoch, die bestehende Technologie vor allem der Batterien weiterzuentwickeln. Stefan Reindls Prognose lautet, dass in etwa fünf Jahren alle deutschen Elektroauto-Hersteller in der Lage sind, Reichweiten von rund 700 Kilometer im Straßenverkehr zu erreichen