Fehlende Fachkräfte Personalnot droht Energiewende auszubremsen
Bis 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Doch wer soll Solaranlagen bauen und Gebäude energetisch sanieren, wenn überall Fachkräfte fehlen? Experten warnen vor Engpässen bei der Energiewende.
Marvin Fellenzer montiert zur Zeit eine Wallbox nach der anderen. Der angehende Elektromeister arbeitet seit zehn Jahren für denselben Arbeitgeber. Ein sicherer, oft grüner Job. Trotzdem wollen ihn nur wenige machen. Das liege auch am schlechten Ruf des Handwerks. Zu Unrecht, findet Fellenzer: "Die Bezahlung ist gut, und der Umgang auf den heutigen Baustellen hat sich deutlich verbessert, vor allem was Arbeitszeit und Sicherheit angeht."
Probleme in den Betrieben
Schon jetzt kämpfen eine ganze Reihe der im Klimaschutz und für die Energie- und Verkehrswende tätigen Gewerke mit einem Mangel an Fachkräften. Betroffen sind vor allem Bau und Ausbau, Heizungs- und Elektro-Installation und das Kfz-Handwerk. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) geht davon aus, dass mehrere Zehntausende qualifizierte Mitarbeiter fehlen. Die Anzahl werde in den nächsten Jahren noch anwachsen, wenn viele qualifizierte Beschäftigte aus Altersgründen ausscheiden.
Im Gesamthandwerk wurden Ende 2019, also vor der Corona-Pandemie, rund 140.000 unbesetzte Stellen für Fachkräfte gemeldet. Im Pandemie-Jahr 2020 waren es trotz zahlreicher Einschränkungen und geschlossener Betriebe gut 120.000. Da nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit melden, dürfte die eigentliche Zahl höher gewesen sein. Allein in den offensichtlich energierelevanten Bereichen Energietechnik, Elektrotechnik und Klimatechnik wurden laut BA im Jahr 2020 zeitweise gut 21.400 Fachkräfte gesucht. Eine Erhebung des ZDH zeigt zudem, dass im Gesamthandwerk vergangenes Jahr 44 Prozent der Betriebe fachlich qualifizierte Mitarbeiter suchten, aber nur 22 Prozent fündig wurden.
"Handwerker sind die Zukunftsmacher"
Fellenzers Arbeitgeber, die saarländische Montum Gruppe, kennt die Problematik. Derzeit werde wegen der Fördergelder im Energiebereich verstärkt ausgeschrieben, die Firma würde gerne mehr Aufträge annehmen. "Aber wenn die Mitarbeiter nicht vorhanden sind, können wir das nicht leisten. Wir arbeiten momentan sozusagen mit angezogener Handbremse", sagt der kaufmännische Geschäftsführer Robert Röhlinger. Wer zum Beispiel eine Wallbox bestellt, muss aktuell bis zu sechs Monate warten. Und das sei noch vergleichsweise wenig.
Ob nachhaltige Mobilitätslösungen, Stromerzeugung, Netzausbau, Gebäudesanierung, Gebäudetechnik oder Umstellung der Energieversorgung: Für all diese Innovationen braucht es Fachkräfte. "Handwerkerinnen und Handwerker sind die Zukunftsmacher", betont der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. Man müsse kein Prophet sein um vorauszusagen, dass die geplanten Beschlüsse zum Klimaschutz ins Leere zu laufen drohen, wenn die Politik nicht gleichzeitig alles in die Wege leitet, um die berufliche Ausbildung zu stärken und wieder mehr Jugendliche dafür zu gewinnen. Die Fachkräfteengpässe drohten dann zu "echten Bremsklötzen beim Klimaschutz" zu werden.
Mehr als jede zehnte Lehrstelle unbesetzt
Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung weist in einer Stellungnahme für das Jahresgutachten 2020 auf den Handlungsbedarf hin - vor allem in der Aus- und Weiterbildung sowie bei der Unterstützung von Menschen und Betrieben, die sich in ihrer Arbeit mit der Energiewende beschäftigen möchten. Ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften könnte hingegen ihr Gelingen stark beeinträchtigen.
Doch wie entgegenwirken, wenn junge Menschen lieber den akademischen Weg einschlagen? Allein im vergangenen Jahr blieben laut ZDH 18.570 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt - ein Anteil von 12,8 Prozent. Neben einer besseren finanziellen Unterstützung der beruflichen Ausbildung und mehr digitalen Bildungsangeboten sei auch eine echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung wichtig, sagt Wollseifer. Um die Gleichwertigkeit der Bildungssysteme rechtsverbindlich zu regeln, schlägt der Handwerksverband zum Beispiel ein Gesetz zur Einordnung von Qualifikationen vor.
Eine Frage des Image?
Dabei bestätigt Wollseifer den Eindruck von Elektriker Fellenzer, dass sich auch das Image des Handwerks in der Gesellschaft ändern müsse. Viele junge Menschen entschieden sich gegen eine Ausbildung - in der oftmals irrigen Annahme, ein Studium sei der Garant für eine berufliche Karriere. "Inzwischen erweist sich das als glatte Fehleinschätzung", so der ZDH-Präsident. Außerdem böten die vielen klimarelevanten Berufe im Handwerk jungen Menschen die Chance, an vorderster Stelle an zukunftsgestaltenden Aufgaben mitzuwirken. "Da kann aus dem Protest bei Fridays for Future ganz konkrete Klimaschutz-Arbeit werden."
Umschulung statt Vorruhestand
Gleiches gilt auch für ältere Beschäftigte aus anderen Berufsbereichen. Statt die durch den Strukturwandel freigesetzten Beschäftigten in staatlich finanzierten Vorruhestand zu schicken, sollten die Mittel für die Umschulung der Menschen genutzt werden, schlägt das IAB vor. Gut ausgebildete ältere Beschäftigte könnten so ihre Fähigkeiten und Erfahrungen als Quereinsteiger für die Umsetzung der Energiewende sinnvoll einbringen.
Modern und immer auf dem neuesten Stand der Technik - das gefällt auch Elektriker Fellenzer an seinem Job. Auch der Klimafaktor war ihm als junger Vater wichtig. Er hofft deshalb, dass sich das Ansehen der Handwerksberufe bald bessert und das Interesse daran wieder wächst - damit die Energiewende nicht ausgebremst wird.