Habeck zu Stromerzeugung Kann Kohle das Erdgas ersetzen?
Russland hat seine Erdgaslieferungen nach Europa erheblich gedrosselt. Wirtschaftsminister Habeck will nun vorübergehend bei der Stromerzeugung stärker Kohle nutzen, um Gas zu sparen. Wie soll das ablaufen? Und was kann es bringen?
Warum soll Erdgas in der Stromproduktion eingespart werden?
Erdgas gilt in der aktuellen krisenhaften Situation als zu kostbar, um es für die Stromerzeugung zu verbrennen. Der Rohstoff ist in vielen industriellen Prozessen kurzfristig nicht ersetzbar. Außerdem wird ein erheblicher Anteil der Immobilien in Deutschland mit Erdgas beheizt. Um zu verhindern, dass in einem besonders ungünstigen Szenario aus deutlich niedrigeren Gaslieferungen und einem kalten Winter die Industrie zum Teil lahmgelegt wird und in letzter Konsequenz auch Einschränkungen für Privathaushalte notwendig wären, müssen die Erdgasspeicher möglichst schnell gefüllt werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will deshalb den Einsatz von Erdgas für die Stromerzeugung und Industrie reduzieren. Dafür sollen im Gegenzug vorübergehend mehr Kohlekraftwerke genutzt werden.
Wie dramatisch ist derzeit die Lage bei den Erdgasspeichern?
Die Erdgasspeicher in Deutschland sind nach Angaben der Bundesnetzagentur derzeit zu 57,6 Prozent gefüllt. Das ist deutlich mehr als vor einem Jahr, als der Füllstand nur gut 38 Prozent betrug. Allerdings ist es noch ein gutes Stück, bis die Ziele der Bundesregierung erreicht werden. Diese sehen einen Füllstand von Füllstand von 80 Prozent zum 1. Oktober, und von 90 Prozent zum 1. November vor. Allerdings ist unklar, ob und wie stark die gesunkenen Erdgaslieferungen aus Russland die Auffüllung der Erdgasspeicher in den nächsten Wochen bremsen werden.
Warum ist der Füllstand höher als vor einem Jahr?
Offenbar sorgen die stark gestiegenen Preise dafür, dass mehr Flüssigerdgas (LNG) nach Europa geliefert wird. Gleichzeitig ist auch der Verbrauch deutlich gesunken: Seit Jahresbeginn lag der Gasverbrauch in Deutschland in jedem Monat deutlich unter dem Vergleichswert des jeweiligen Vorjahresmonats - teilweise sogar um 15 bis 25 Prozent, wie eine aktuelle Aufstellung der Bundesnetzagentur zeigt. Seit März steigt der Füllstand der deutschen Erdgasspeicher vor diesem Hintergrund in unterschiedlichem Tempo an.
Welche Alternativen zu Erdgas gibt es in der Stromproduktion?
Erdgas kann kurzfristig am einfachsten durch Braun- und Steinkohle ersetzt werden. Deutschland verfügt über erhebliche Braunkohlevorräte, die laut den Daten des britischen Energiekonzerns BP für mehrere hundert Jahre reichen. Steinkohle wird in Deutschland zwar nicht mehr gefördert, ist international aber reichlich vorhanden. Eine weitere wichtige Rolle spielen die noch vorhandenen Kraftwerkskapazitäten. Die in Reserve stehenden Braunkohle-Kraftwerke könnten in einem relativ überschaubaren Zeitraum wieder angefahren werden, sagte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, dem ARD-Morgenmagazin.
Wie will die Bundesregierung verstärkt auf Kohlekraft setzen?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verband seine Ankündigungen zu Einschnitten bei der Gasnutzung in der Stromerzeugung mit der Aussage, dass dafür "Kohlekraftwerke stärker zum Einsatz kommen müssen". Geplant ist laut Wirtschaftsministerium, dass bestimmte Kohlekraftwerke eingeschränkt wieder genutzt werden könnten. Dies soll durch das Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz ermöglicht werden, das am 8. Juli abschließend im Bundesrat beraten werden soll. Habeck sagte bei der Vorstellung seiner Pläne zudem, dass eine Gasersatz-Reserve eingerichtet werde - befristet bis zum 31. März 2024. Um die Ersatzkraftwerke, also vor allem Kohlekraftwerke aus der derzeitigen Reserve, wieder unter Last fahren zu können, ist ein technischer Vorlauf erforderlich. Habeck rief die Kraftwerksbetreiber dazu auf, sich schon jetzt darauf einzustellen, alles baldmöglichst einsatzbereit zu machen.
Wie hoch ist der Anteil von Erdgas, Braun- und Steinkohle an der Stromproduktion?
Im vergangenen Jahr wurden 15 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms mit Hilfe von Erdgas, knapp 19 Prozent durch Braunkohle und neun Prozent durch Steinkohle produziert.
Wie stark kann Erdgas durch Braun- und Steinkohle ersetzt werden?
Die Kapazität der Erdgaskraftwerke in Deutschland liegt bei 28 Gigawatt, genutzt wurden im bisherigen Jahresverlauf mit 13,7 Gigawatt maximal knapp die Hälfte - die hohen Preise wirken also.
Ende Mai lag die aktive Kapazität der Braun- und Steinkohlekraftwerke in Deutschland bei 16,7 bzw. 14,7 Gigawatt. Zum Vergleich: Die bisher maximal genutzte Kapazität dieser beiden Kraftwerkstypen lag im bisherigen Jahresverlauf bei 15,7 bzw. 12,7 Megawatt, allerdings nicht zum selben Zeitpunkt. Zudem lag die kurzfristig verfügbare, nicht aktive Kapazität (Netzreserve bzw. Sicherheitsbereitschaft) bei Braunkohlekraftwerken bzw. Steinkohlekraftwerken bei 1,9 und 4,3 Gigawatt. Darüber hinaus gibt es eine vorläufig stillgelegte Braunkohlekapazität von 0,3 Gigawatt, die aber erst nach einer gewissen Zeitspanne reaktiviert werden könnte.
Unterstellt man eine 100-prozentige Auslastung aller aktiven und kurz- und mittelfristig verfügbaren Braun-und Steinkohlekraftwerke im Vergleich zu den bisherigen Spitzenwerten, könnte im besten Fall eine Erdgas-Kraftwerksleistung von rund 9,5 Gigawatt ersetzt werden und damit gut zwei Drittel der bisher maximal genutzten Kapazitäten bei den Erdgaskraftwerken. Ganz ohne Erdgas zur Verstromung wird man also erst einmal nicht auskommen.
Welche sind die wichtigsten Reservekraftwerke?
Die drei Kraftwerke mit der höchsten Reservekapazität sind laut der Bundesnetzagentur die Kraftwerke Bexbach und Weiher C im Saarland und Bergkamen A in Nordrhein-Westfalen. Alle drei Anlagen werden mit Steinkohle betrieben.
Wie sieht die Umweltbilanz von Kohle im Vergleich zu Erdgas aus?
Nach Berechnungen von Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin entsteht bei der Verbrennung von Braunkohle rund doppelt so viel Kohlendioxid bezogen auf den Energiegehalt wie bei der Verbrennung von Erdgas. Bei Steinkohle sind die Emissionen nur geringfügig niedriger als bei Braunkohle. Dabei ist gesamte Kette der Energiebereitstellung berücksichtigt, also von der Förderung bis zur Verbrennung.
Grundsätzlich hängen die exakten Emissionen aber immer von der Qualität der Kohlesorte ab. Auch das Alter eines Kraftwerks kann eine nicht unerhebliche Rolle spielen. So weisen ältere Kraftwerke häufig einen schlechteren Wirkungsgrad als moderne Stromerzeuger auf.
Wie ist die Situation bei den Erdgaspreisen?
Die Entwicklung der Erdgaspreise deutet darauf hin, dass der Bedarf in naher Zukunft besonders hoch sein wird. So liegen die Preise über den Sommer bis in den Herbst bei fast 130 Euro je Megawattstunde, im kommenden Winter liegen die Terminkontrakte an der Rohstoffbörse aber bereits etwas niedriger im Bereich von 110 Euro. In einem Jahr sollte Erdgas demnach rund 80 Euro, in zwei Jahren weniger als 60 Euro je Megawattstunde kosten. Der Markt geht also derzeit davon aus, dass sich die derzeitige Versorgungslage im Zeitablauf zunehmend entspannt, möglicherweise auch durch die an der deutschen Küste geplanten mobilen LNG-Terminals. Allerdings würden die Preise selbst bei dem derzeit erwarteten Rückgang für Sommer 2024 noch rund dreimal so hoch liegen im langjährigen Vergleich.