Statt russischer Energieträger Dreckige Kohle aus Kolumbien
Die EU will unabhängig von russischer Energie werden. Ein Kohleembargo ist beschlossen - Kolumbien mit einer der größten Kohleminen der Welt könnte in die Bresche springen. Doch das birgt Risiken.
Luz Ángela Uriana steht vor dem, was einmal ihr Haus war. Nur die Wände des Badezimmers stehen noch, daneben liegen ein paar Backsteine. "Der Ort macht mich nostalgisch. Mein Sohn Moisés ist hier geboren", sagt sie. Inzwischen ist Luz weggezogen, denn die Mine "Cerrejón" rücke immer näher an ihr Dorf Provincial heran, eine Siedlung der indigenen Wayuú. Die Erschütterungen bei der Kohlegewinnung, so erzählt es Luz, hätten Risse an den Wänden verursacht, bis das Haus zusammenbrach. "Cerrejon hat mir geantwortet, es sei schlecht gebaut."
Indigene nennen Mine "Monster"
El Cerrejon in der Region La Guajira im Nordwesten Kolumbiens ist eine der größten Steinkohleminen der Welt. Die Wayuú nennen sie ein "Monster". Etwa 30 Millionen Tonnen Kohle gehen jährlich von hier in alle Welt, auch nach Deutschland. Die Firmen STEAG und die EnBW sind Kunden. Auch Uniper und RWE kaufen kolumbianische Kohle, legen aber auf ARD-Anfrage ihre Lieferanten nicht offen. Doch die Mine Cerrejón, die dem Schweizer Konzern Glencore gehört, ist allein wegen seiner Größe wahrscheinlich.
Nun fürchten die Wayuú, dass sie weiter wächst. Denn wegen des Kohleembargos gegen Russland sucht Europa nach Alternativen zu russischer Kohle. 2021 hatte Deutschland nur noch rund sechs Prozent der Steinkohle aus Kolumbien importiert. Doch dieser Anteil könnte nun größer werden. Ein Gespräch zwischen Kolumbiens Präsident Duque und Kanzler Scholz hat bereits stattgefunden.
Jobmotor der Region
Die Mine spaltet die Region. Viele Dörfer existieren nur ihretwegen. In den Geschäften gibt es Helme und Gummistiefel zu kaufen, alles, was man für die Arbeit in der Mine braucht. La Guajira ist eine der ärmsten Regionen Kolumbiens, und Cerrejón ist ein bedeutender Arbeitgeber - das betonen die Befürworter. Andere wie Luz Uriana kämpfen gegen den Eingriff in die Natur. Sie sitzt auf der Terrasse ihrer neuen Wohnung, auf dem Schoß ihren achtjährigen Sohn Moisés. Mit acht Monaten habe er Fieber entwickelt und Atemnot. "Das waren die ersten Symptome".
Luz ist überzeugt: Moisés ist durch den Staub, der durch Cerrejón aufgewirbelt wird, krank geworden. Vor ein paar Jahren klagte sie gegen die Mine, errang einen Etappensieg. Cerrejón wurde verpflichtet, mehr Vorsorge und Umsicht walten zu lassen. Doch passiert sei viel zu wenig. Vertreter der Mine fragen jetzt im Dorf nach, um wie viel Uhr sie die Explosionen machen können, so Luz. "Das ist, als wenn dich einer fragt: Wie sollen wir dich umbringen?"
Vorschriften "flexibel und lax"
Es ist ein Kampf um die Wahrheit entbrannt, der vor Gericht geführt wird - ein Kampf um Grenzwerte, um Staubentwicklung, um Umweltschäden. Ein Streitpunkt ist der Fluss "Bruno Arroyo", den Cerrejón zur Kohlegewinnung auf etwa 3,6 Kilometern umgeleitet hat. Die Firma legte ein neues Flussbett an, das sie als artenreich und vorbildlich lobt. Indigene Aktivisten wie Jazmin Romero Epiayu klagen, dass Cerrejón den Indigenen die Wasserversorgung abgrabe und sie so indirekt zum Umsiedeln zwinge.
"Cerrejón ist eine Bedrohung für die Indigenen, die etwa 44 Prozent der Bevölkerung in La Guajira ausmachen", sagt Romero. Und die Regierung von Präsident Duque mache sich zum Komplizen internationaler Konzerne wie Glencore. Auch das Anwaltskollektiv CAJAR, das die Wayuú unterstützt, betont, dass der Staat die Gemeinden zu wenig schütze: "Der kolumbianische Staat ist schwach", sagt Anwältin Rosa María Mateus, "die gesetzlichen Vorschriften sind sehr flexibel und lax, wenn es um die Luftverschmutzung geht."
Unterstützung aus Deutschland
Auf die Fragen der ARD schickt Cerrejón eine detaillierte, neunseitige Antwort. Die Firma weist alle Vorwürfe zurück und betont, seiner Verantwortung für Umwelt und Anwohner gerecht zu werden. Man halte sich an Gesetze und Grenzwerte und leite kein verschmutztes Wasser in die Flüsse ein. Die Mine besprenkle zudem die Halden mit Wasser, um die Staubentwicklung zu reduzieren. Dieses Wasser, so sagt es Cerrejón, sei für den menschlichen Konsum und die Landwirtschaft nicht geeignet.
Auch die deutschen Kunden, EnBW und STEAG, stärken Cerrejón den Rücken. STEAG berichtet von Besuchen und Gesprächen mit den Wayuú. Mehrfach hätte STEAG das Unternehmen Cerrejón mit Fakten und Vorwürfen konfrontiert, etwa der Verletzung von Wasseremissionswerten durch Cerrejón. Inzwischen, schreibt ein STEAG-Sprecher, würden die vorgeschriebenen Emissionswerte wieder eingehalten, was durch den Druck europäischer Importeure unterstützt wurde.
Hoffen auf das EU-Lieferkettengesetz
Menschenrechtler wie Armin Paasch von Misereor fordern dagegen, dass die deutschen Unternehmen mehr tun: "Sie müssen Risiken für die Menschenrechte und für die Umwelt umfassend untersuchen, sie müssen klare Anforderungen an die Bergbauunternehmen in Kolumbien stellen, und sie müssen sich auch an der Wiedergutmachung für Schäden beteiligen, die sie mitverursacht haben."
Aktuell geschehe das viel zu wenig. Insofern sei ein EU-Lieferkettengesetz wichtig, dass Unternehmen in die Pflicht nimmt, Wiedergutmachung zu leisten, und somit eine Lücke schließt, sagt Paasch. Auch Luz Ángela Uriana hat eine Forderung an die deutschen Unternehmen: Sie sollen herkommen, sich selbst ein umfassendes Bild machen und nicht auf das vertrauen, was die Mine Cerrejón ihnen sage.