Stockender Ausbau Wohin führt Deutschlands Wasserstoff-Strategie?
Mittelständische Unternehmen wissen beim Zukunftsthema Wasserstoff nicht, woran sie sind. Die Betriebe fühlen sich vernachlässigt - und zu viele Fragen sind ungeklärt.
Für Lars Baumgürtel wäre es der größte anzunehmende Unfall: Das Zinkbad in seiner Produktion kühlt auf unter 450 Grad Celsius ab, das Zink härtet aus, die Feuerverzinkerei in Gelsenkirchen wäre nicht mehr produktionsfähig. Baumgürtel ist Chef von ZINQ - spezialisiert auf die Verzinkung von Stahl mit mehr als 50 Standorten in Deutschland und Europa. Eine stabile Energieversorgung ist für Unternehmen wie seines existenziell.
Bis 2045 muss auch ZINQ klimaneutral produzieren. Statt Gas zur Befeuerung der Anlagen könnte dann Wasserstoff dienen. Doch bis heute weiß Baumgürtel nicht, wann und wie er an genügend Wasserstoff kommt - insbesondere an sogenannten "grünen" Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien. "Es gilt sowohl für Strom wie auch für Grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft, dass wir nicht wissen, in welchen Mengen diese tatsächlich zur Verfügung stehen werden - und zu welchen Preisen", sagt der Unternehmer. Das sei problematisch, denn die Investitionsentscheidung, die er treffen müsse, "die treffen wir für Jahrzehnte".
Wer baut die "letzte Meile" der Pipeline?
Wann kommt der Wasserstoff? Zu welchem Preis? Und wie? Solche Fragen beschäftigen gerade viele Unternehmen im Gelsenkirchener Stadthafen. Dabei endet eine Wasserstoff-Pipeline - sie ist kurz vor der Fertigstellung - nur wenige Kilometer vom Stadthafen entfernt. Aber wer baut die "letzte Meile"? Und wann? Auch das könne einem bis heute keiner sagen, sagt Baumgürtel. Dabei funktioniere es doch in anderen Ländern auch: "In Belgien wird der Ausbau des Wasserstoffnetzes synchron gedacht, das heißt: Das Kernnetz wird ausgebaut, und gleichzeitig werden Unternehmen angeschlossen, die über eine entsprechende Nachfrage verfügen."
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reagierte auf einer Pressekonferenz leicht gereizt auf die zitierte Kritik. Man habe das Wasserstoff-Kernnetz - also die Hauptader, die sich durch Deutschland zieht - in kürzester Zeit auf den Weg gebracht und genehmigt, so der Grünen-Politiker: "Wir werden jetzt im nächsten Schritt die regulatorischen Fragen klären, und dann werden die Leitungen von den jeweiligen Akteuren vor Ort beantragt und genehmigt werden können." Ab Sommer 2025 soll die Planung für das Verteilernetz in die Fläche beginnen.
Großteil des Wasserstoffs über Importe
Peter Wasserscheid vom Forschungszentrum Jülich hat Verständnis für die Ungeduld der Unternehmen. Er gilt als einer der Wasserstoff-Experten in Deutschland: "Wir müssen klarer benennen, was in drei, fünf oder sieben Jahren bestimmte Dinge kosten und was wir an Wasserstoffmengen benötigen." Man müsse Vertrauen schaffen, damit der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gelinge. Gleichzeitig warnt er: Niemand solle wegen solcher Anlaufschwierigkeiten gleich das ganze Generationenprojekt "Klimaneutrale Produktion" in Frage stellen.
Unabhängig vom Transport bleibt die Frage: Woher soll der ganze Wasserstoff kommen? 2030 soll Deutschland laut Bundesregierung in der Lage sein, "mindestens zehn Gigawatt" über Elektrolyseure selbst zu produzieren, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage des ARD-Magazins plusminus schreibt. Die Regierung rechnet "mit bis zu 70 Prozent Importen". Das Ziel sei, die Lieferquellen möglichst breit zu streuen. Abkommen zur Lieferung von Wasserstoff seien in den vergangenen Jahren mit Ägypten, Australien, Chile, Indien, Kanada, Namibia, Saudi-Arabien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Algerien geschlossen worden.
Per Schiff kein reiner Wasserstoff
Reiner Wasserstoff sei allerdings "noch nicht schiffbar", erklärt Frank Merten vom Wuppertal Institut. Über den Schiffsweg könnten deshalb nur Derivate wie beispielsweise Ammoniak kommen. Deshalb gilt der Import über Pipelines aus Staaten innerhalb Europas als der bessere Weg. Doch potenzielle Exportländer wie Frankreich, Großbritannien, Spanien oder die Niederlande bauten ihre Produktion selbst gerade erst auf, so Merten.
"Spanien hat schon großen Bedarf, lokal den Wasserstoff einzusetzen. Die Mengen werden also erst später zur Verfügung stehen. Und auch Frankreich verfolgt dezidiert erst mal die eigene Versorgung - und auch in den Niederlanden oder Großbritannien, gibt es eigene Bedarfe." Der Eigenbedarf in den Ländern sei somit das größte Hemmnis für Importe in Deutschland. Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass Wasserstoff deshalb auf absehbare Zeit knapp bleibe - ungeachtet aller anderen Herausforderungen.