"Brüsseler Erklärung" Länder wollen bei der EU für Industriestrompreis werben
Die Bundesländer sorgen sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland und wollen bei der EU für die Möglichkeit eines Industriestrompreises werben. Die Länderchefs müssen auch Skepsis auf Bundesebene überwinden.
Die Ministerpräsidentenkonferenz will bei der EU-Kommission offenbar dafür werben, auf nationaler Ebene einen Industriestrompreis einführen zu dürfen. In einer "Brüsseler Erklärung", die dem NDR vorliegt, bezeichnen die Regierungschefinnen und -chefs der 16 Bundesländer als "akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur". Zuerst hatte das "Handelsblatt" darüber berichtet.
"Es muss daher den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum möglich sein, einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen", zitierte die Zeitung weiter aus dem Papier, das demnach in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll.
In der "Brüsseler Erklärung" werde auch angemahnt, Unternehmen und Haushalte nicht zu überfordern. "Hinsichtlich des Tempos zur Erreichung der Klimaneutralität ist darauf zu achten, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der EU erhalten und die Akzeptanz in der Bevölkerung gewährleistet bleiben." Bei den nötigen Investitionen brauchten der Mittelstand und Haushalte mit kleinem Einkommen besondere Unterstützung.
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten tagen am kommenden Mittwoch und Donnerstag erstmals seit 2018 wieder in Brüssel. Sie treffen dort laut dem "Handelsblatt" unter anderem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den neuen Vizepräsidenten für das EU-Klimaschutzpaket "Green Deal", Maros Sefcovic, und Energiekommissarin Kadri Simson.
Lindner hat große Zweifel
In der Ampelkoalition auf Bundesebene ist ein Industriestrompreis umstritten. Von Teilen der Grünen und der SPD wird er befürwortet, von Bundeskanzler Olaf Scholz und der FDP wird er hingegen abgelehnt.
Seine Zweifel wiederholte Finanzminister Christian Lindner auch im ARD-Sommerinterview im Bericht aus Berlin. "Ich habe Bedenken bei einem Industriestrompreis, weil hier wenige große Unternehmen zulasten des Mittelstands entlastet werden." Offener zeigte er sich bei einer Absenkung der Stromsteuer, von der potenziell sowohl Unternehmen als auch Bürgerinnen und Bürger profitieren würden. Lindner forderte allerdings eine klare Gegenfinanzierung. Und diese Debatte werde nicht geführt, kritisierte der FDP-Politiker.
"Unterschiedliche Ansichten" im Parlament
Über die Finanzierung will auch der Bundeskanzler sprechen. Es sei leichter zu sagen, wem geholfen werden solle, als die Geldquelle zu benennen, hatte Scholz in einem Interview des Deutschlandfunks gesagt.
Der Kanzler nannte drei Möglichkeiten, wo das Geld herkommen könnte: Die übrigen Strompreiszahler kommen für die Senkung des Strompreises für einzelne Unternehmen auf, die Steuerzahler tragen die Kosten, oder es werden neue Schulden aufgenommen. "Und ich glaube, das ist ja doch ganz offensichtlich, dass auch im Parlament dort noch sehr unterschiedliche Ansichten existieren", so Scholz.
Die Strompreise in Deutschland sind wegen der Energieknappheit nach der Kappung russischer Gaslieferungen nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine gestiegen.