Kabinett billigt Gesetz zur Banken-Verstaatlichung Enteignung als letztes Mittel
Die Bundesregierung hat die Weichen für eine Enteignung angeschlagener Banken im äußersten Notfall gestellt. Das Kabinett billigte einen Gesetzentwurf, der auf die Hypo Real Estate zugeschnitten ist. Wirtschaftsvertreter sprachen von "Tabubruch", die Reaktion der Opposition war gemischt.
Die Bundesregierung will erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte zur Rettung einer angeschlagenen Bank notfalls die Enteignung ermöglichen. Das Bundeskabinett billigte einen entsprechenden Gesetzentwurf zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes. Mit ihm solle die Grundlage für eine Rettung der angeschlagenen Hypo Real Estate (HRE) geschaffen werden, teilte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg mit.
Das so genannte Rettungsübernahmegesetz stellt die Weichen für eine Enteignung angeschlagener Banken im äußersten Notfall. Andere Maßnahmen zur Rettung der Bank und zur Übernahme staatlicher Kontrolle hätten absoluten Vorrang. So stellt der Gesetzentwurf noch höhere Hürden für eine Enteignung als "ultima ratio" auf, als sie zunächst vom Bundesfinanzministerium vorgesehen waren. Zudem beauftragte die Regierung die Ressorts für Wirtschaft und Justiz, Änderungen im Gesellschaftsrecht für Aktionäre zu entwerfen, so dass der Staat auch ohne eine Verstaatlichung leichter an Anteile und Einfluss gelangen kann.
Staatliche Mehrheit über Kapitalerhöhung?
Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte das Gesetz. Zudem sehe sie Chancen, bei derHypo Real Estate auf eine Enteignung zu verzichten. Die angestrebte staatliche Kontrolle solle zunächst über eine Kapitalerhöhung erreicht werden, sagte Merkel.
Steinbrück will Staatsgeld absichern
Finanzminister Peer Steinbrück stellte klar, dass das Gesetz allein auf die HRE abziele. "Es geht nicht um die Ausweitung von Staatseinfluss", sagte er. Bei der HRE gehe es darum, den Kollaps eines systemrelevanten Instituts abzuwenden. Zudem müssten bereits gezahlte Milliarden-Hilfen des Staates im Interesse des Steuerzahlers abgesichert werden. Die Gespräche mit HRE-Anteilseigner J. C. Flowers seien bislang aber nicht so verlaufen, dass die Regierung von dem eingeschlagenen Weg einschließlich einer Enteignung als letztem Mittel Abstand genommen habe, "im Gegenteil", sagte Steinbrück.
Befristete Gültigkeit
Das Gesetz zur Übernahme einer Bank setzt zwei Fristen: Zum einen soll das Verfahren für eine Enteignung bis Ende Juni eingeleitet sein. Eine entsprechende Verordnung auf Enteignung müsste dann bis Oktober erlassen werden. Damit soll deutlich gemacht werden, dass eine Verstaatlichung keine dauerhafte Option darstellen soll. In der jetzigen Fassung wird das Gesetz praktisch rein auf den Fall der Hypo Real Estate ausgerichtet.
Anteilseigner müssen "gegen eine angemessene Entschädigung" enteignet werden, heißt es in dem Entwurf. Bei börsennotierten Banken wie der HRE wird die Höhe der Entschädigung am Aktienkurs der letzten zwei Wochen vor Veröffentlichung der Übernahme-Entscheidung bemessen. Die Aktionäre bekommen ihre Entschädigung einmalig in bar ausgezahlt. Binnen zwei Wochen nach der Entscheidung zur Verstaatlichung können Anteilseigner vor dem Bundesverwaltungsgericht einen Antrag gegen die Maßnahme stellen. Bei Streit über die Höhe der Entschädigung entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH). Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) drohte bereits mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Übernahme-Gesetz.
Privatisierung nach Stabilisierung
Der Bund verpflichtet sich mit den neuen Regelungen, ein Unternehmen wieder zu privatisieren, sobald dieses "nachhaltig stabilisiert" worden ist. Die Aktionäre, die vor der Verstaatlichung an dem Unternehmen beteiligt gewesen waren, sollen dann ein Vorgriffsrecht auf die Anteile haben.
Staat will Kontrollmehrheit
Um bei der ins Straucheln geratenen HRE maßgeblichen Einfluss zu haben, strebt der Bund eine Kontrollmehrheit von mindestens 95 Prozent der HRE-Anteile an. Bislang erhielt die HRE Garantien und Kapitalhilfen von 102 Milliarden Euro. Die überwiegend durch den Bund gewährten Bürgschaften würden in einem Milliarden-Verlust des Staates enden, falls die HRE pleite ginge.
Opposition gespalten
Die Opposition ist uneins in der Bewertung des Gesetzes. FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte, "hundert Konjunkturpakete können nichts bewirken, wenn ein einziges Enteignungsgesetz die Investoren aus Deutschland vertreibt". Enteignung sei Sozialismus. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn, sagte dagegen, diese "intelligente Form der Teilverstaatlichung von Banken" hätten die Grünen schon im vergangenen Jahr als Bestandteil des Finanzmarktrettungsschirms gefordert. Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine kritisierte, der Gesetzentwurf der Bundesregierung habe "keine klare Linie".
Harsche Kritik aus der Wirtschaft
Die großen Wirtschaftsverbände halten überhaupt nichts von den Gesetzesplänen der Regierung. "Die mögliche Enteignung von Aktionären im Gesetz zu verankern, dazu sagen wir klar Nein", ließ BDI-Präsident Hans-Peter Keitel erklären. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Die Verstaatlichung ist ein Tabubruch. Die Bundesregierung ist in einem Dilemma." Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, zeigte sich "entsetzt". "Jegliche Form von Verstaatlichung oder Enteignung sind völlig fehl am Platz", sagte er dem Sender n-tv.
SoFFin-Bürgschaften werden verlängert
Zugleich beschloss das Kabinett Änderungen an dem Banken-Rettungspaket über 480 Milliarden Euro, das erst im Oktober beschlossenen worden war. So wird die Garantiezeit für Anleihen deutscher Banken von drei auf fünf Jahre ausgeweitet.