Fragen und Antworten zu den EU-Sanktionen Beginnt jetzt ein Wirtschaftskrieg?

Stand: 26.07.2014 04:45 Uhr

Die "schwarze Liste" ist nur der Anfang. Denn nächste Woche könnte die EU erstmals harte Sanktionen gegen Russland verhängen. Was wären die Konsequenzen? Droht nun sogar ein Wirtschaftskrieg? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Welche Sanktionen sind bereits verhängt?

Die Sanktionen gegen Russland umfassen drei Eskalationsstufen. Zunächst ging es um die Einschränkung diplomatischer Kontakte (Stufe 1). Das tat kaum jemandem weh. Dann verhängte die EU gegen erste Vertreter der Moskauer Nomenklatura Einreiseverbote, zudem fror sie deren Vermögen auf ausländischen Konten ein (Stufe 2). Das war für die Betroffenen zwar schmerzlich - fiel tendenziell aber auch noch unter die Rubrik Symbolpolitik. Die EU fügte der "schwarzen Liste" in dieser Woche nochmals 15 Einzelpersonen hinzu. Darunter sind die Chefs der russischen Inlands- und Auslandsgeheimdienste, Alexander Bortnikow und Michail Fradkow. Auch andere Mitglieder des russischen Sicherheitsapparats wurden in die Liste aufgenommen. Betroffen ist auch der tschetschenische Präsident Ramsan Kadirow. Ebenfalls aufgeführt sind 18 Unternehmen und Einrichtungen. Darunter fallen auch die selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk sowie illegale bewaffnete Separatistengruppen.

Welche Sanktionen sollen kommen?

Fix ist zwar noch nichts. Doch immer mehr deutet darauf hin, dass die EU in der kommenden Woche die dritte Eskalationsstufe zünden könnte. Diskutiert werden zum Beispiel temporäre Exportverbote für einzelne Branchen der russischen Wirtschaft - die Unternehmen dürften also vorübergehend ihre Produkte nicht mehr nach Europa verkaufen. Denkbar ist auch, (zumindest den staatlichen) russischen Banken einstweilen den Zugang zu den westlichen Kapitalmärkten zu verbieten. Die USA übrigens haben einen Teil der Maßnahmen, die die EU erst plant, bereits umgesetzt.

Wie sind die Positionen innerhalb der EU?

Bislang gibt es offenbar noch keine einheitliche Front für harte Sanktionen. Das liegt unter anderem an Sonderinteressen, wie sie zum Beispiel die französische Regierung verfolgt - sie hatte noch in Vor-Krisen-Zeiten eine Lieferung von zwei Kriegsschiffen an Russland vereinbart. Auch die deutsche Industrie hatte lange für einen konzilianten Umgang mit Moskau plädiert und dies unter anderem mit dem drohenden Verlust von Arbeitsplätzen in der deutschen Exportindustrie begründet. Die Stimmung scheint jedoch zu kippen: In einem Interview mit dem "Handelsblatt" kritisiert Eckhard Cordes, der einflussreiche Chef des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, die Rolle von Kreml-Chef Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt scharf: "Wenn Putin diesen Weg weitergeht, dann ist es nicht der Weg der deutschen Wirtschaft." Das heißt: Wenn die EU nun ihre Sanktionen verstärke, "dann tragen wir die zu 100 Prozent mit", so Cordes.

Wie sehr treffen die Sanktionen die russische Wirtschaft?

Auch wenn die bisherigen EU-Maßnahmen eher symbolischer Natur waren - sie genügten offenbar, um das Vertrauen vieler Investoren in die russische Wirtschaft zu untergraben. So flossen nach Angaben der Moskauer Zentralbank im ersten Halbjahr per saldo rund 75 Milliarden Dollar an Kapital aus Russland ab. Um die Kapitalflucht einzudämmen, hat die Notenbank in dieser Woche den Leitzins auf satte acht Prozent erhöht.

Der Internationale Währungsfonds geht inzwischen davon aus, dass das russische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr sinken wird. Und die Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit der Regierung herabgestuft - was bedeutet, dass die Zinskosten tendenziell steigen, wenn Moskau im Ausland neue Schulden aufnehmen will.

Sollten in der kommenden Woche tatsächlich erste Exportverbote verhängt werden, bleibt den betroffenen Unternehmen nichts anderes übrig, als die Lage auszusitzen oder sich andere Absatzmärkte zu suchen. Prekär könnte ein möglicher Kapitalstopp für die großen Staatsbanken Sberbank und VTB werden. Denn die beiden Institute betreiben viel internationales Geschäft und sind darum eigentlich auf frische Devisen angewiesen. Kurioserweise könnte die VTB ausgerechnet auf deutsche Kleinsparer als Refinanzierungsquelle ausweichen - jedenfalls ein Stück weit. Über ihre Tochter "VTB Direkt" sammelt das Institut hierzulande seit Jahren Tages- und Festgeld ein, per Ende 2012 waren es laut Geschäftsbericht rund 2,5 Milliarden Euro . Zuletzt wurden die Zinsangebote auffällig erhöht, um frische Spareinlagen anzuziehen. Auch die Sberbank bereitet den Eintritt in den deutschen Markt vor. Nach tagesschau.de-Informationen sondierte das Institut zuletzt bereits Kooperationen mit möglichen Vertriebspartnern, also zum Beispiel Zinsvergleichsportalen im Internet.

Wie kann sich Russland wehren?

Die russische Regierung kann auf mögliche Sanktionen natürlich jederzeit mit Gegenmaßnahmen reagieren. Das effektivste Mittel wäre, den Export von Öl und Gas in den Westen zu beschränken. Allerdings würde sich Moskau mit solch einem Schritt auch selber schaden, denn das Land ist dringend auf Deviseneinkünfte aus dem Energiegeschäft angewiesen.

In der Tat halten Ökonomen die westliche Wirtschaft im Falle eines Sanktionswettlaufs für weniger verwundbar als die russische. Ausfuhren nach Russland machen beispielsweise nur rund zwei Prozent der gesamten deutschen Exporte aus. Und: Für Öl gibt es momentan genügend alternative Bezugsquellen, auch die westeuropäischen Gaslager sind einem Bericht der "Zeit" zufolge zu drei Vierteln gefüllt. Das alles bedeutet natürlich nicht, dass weitere Sanktionen der deutschen Wirtschaft nicht trotzdem wehtun: Die Ausfuhren nach Russland sind zuletzt bereits merklich gesunken.

Droht nun ein regelrechter Handelskrieg?

Gemach. Selbst wenn die EU in der kommenden Woche "Stufe 3" einläutet, wird es sich um eine begrenzte Eskalation handeln. Bislang wird nun über einzelne Branchen diskutiert. Und über zeitliche begrenzte Maßnahmen. Es geht darum, der anderen Seite weh zu tun, nicht darum, einen Handelskrieg auszulösen. Trotzdem: Die Zeit der reinen Symbolpolitik, so scheint es, ist vorbei.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 25. Juli 2014 um 20:00 Uhr.