Kolumne Euroschau Italiens Zentralbank wurschtelt sich weiter durch
Die italienische Zentralbank hat in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen versagt. Der Berg fauler Kredite beläuft sich auf rund 360 Milliarden Euro. Die EZB hält das Thema unter der Decke.
Gaetano Koch war ein fleißiger Architekt. Rund 30 repräsentative Gebäude baute der Römer mit Tiroler Wurzeln im 19. Jahrhundert in Italiens Hauptstadt. Dabei verausgabte er sich so sehr, dass er sich eine Lungenentzündung zuzog, von der er sich nicht mehr erholte. Sein berühmtestes Bauwerk ist der Palazzo Koch in der Via Nazionale mitten im Zentrum von Rom, wo die italienische Zentralbank residiert. Draußen glänzt der pompöse Bau, dessen Eingang mit großen Palmen wie an der Riviera geschmückt ist, wie in alten Zeiten. Drinnen geht derzeit alles drunter und drüber.
Hausherr und Italiens Notenbank-Präsident Ignazio Visco stochert in einem Sumpf von Skandalen, Schlamperei und Missmanagement. Denn seine Banca d'Italia ist nicht nur Zentralbank, sondern gleichzeitig auch Bankenaufsicht, die in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen versagt hat.
Rund 200 Milliarden gelten als verloren
Auf rund 360 Milliarden Euro hat sich der Berg fauler Kredite bei Italiens Banken aufgehäuft und rund 200 Milliarden Euro gelten schon jetzt als verloren. Das haben nicht einmal die griechischen Kollegen geschafft. Bei der Kreditvergabe war man lax, geprüft wurde nur selten. Wenn der Schuldner nicht zahlte, wurde die Tilgung eben ausgesetzt. Weil Italiens Wirtschaft seit einem Jahrzehnt am Boden liegt, fließt sowieso kaum noch ein Euro.
Einige Häuser drehten auch das große Rad aber alle schauten weg: Die Skandalbank Monte dei Paschi di Siena etwa verspekulierte sich mit dubiosen Derivaten und setzte Milliarden in den Sand der Toskana. Der Fall wurde zum Krimi, weil man in dessen Folge die Leiche des Instituts-Pressesprechers fand. Dieser soll auf mysteriöse Weise Selbstmord begangen haben.
Seit Jahren hangelt sich das Institut am Rande des Abgrunds. Doch hinter die hohen Mauern der ältesten existierenden Bank der Welt wollte keiner so richtig schauen. Auch nicht Mario Draghi, als er noch Chef der Banca d´Italia war. Passiert ist bislang nichts.
Nach EU-Regeln müssen sich Institute selber retten
Mittlerweile klafft bei allen italienischen Instituten eine akute Finanzlücke von rund 40 Milliarden Euro. Ein mit Hängen und Würgen auf den Weg gebrachter privater Rettungsfonds reicht vorne und hinten nicht. Die Finanzwelt ist aufgeschreckt, die Kurse gehen in den Keller und der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock ruft lautstark nach Staatshilfen.
Auch der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, möchte 150 Milliarden Euro vom Steuerzahler für alle europäischen Banken, offenbar auch für die eigene. Sein Institut hatte ebenfalls die windigen Derivate an die Monte dei Paschi verscherbelt und dabei gut verdient.
Doch der Ruf nach erneuter Staatshilfe ist nicht nur unfair, sondern auch gar nicht mehr so einfach umzusetzen. Denn nach den neuen EU-Regeln müssen sich die Institute jetzt selber retten. Anteilseigner und Kunden müssen zuerst ran, außerdem die privaten Rettungsfonds. Nur wenn es eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem gibt, können Staat oder EU im Ausnahmefall eingreifen.
"Keine akute Krise"
Europas Politiker tun deshalb alles, um das Problem klein zu reden: Für die Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt es "keine krisenhafte Entwicklung" in Italien. Der dortige Finanzminister Pier Carlo Padoan befand, man solle nicht so viel Aufsehen machen, die Institute seien solide. Und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem behauptet: Wir haben "keine akute Krise".
Nur merkwürdig, dass im Palazzo Koch in Rom, im Berlaymont in Brüssel und im Eurotower in Frankfurt eine Sondersitzung die andere jagt. Merkwürdig auch, dass in Italien darüber nachgedacht wird, die Ausnahmereglung der EU anzuwenden, denn die Renzi-Regierung hat kein Interesse, die vielen italienischen Kleinsparer zu belasten und sie ins europafeindliche Lager zu treiben.
Schließlich steht auch in Italien im Herbst ein Referendum über die Verfassung an, das Europa-Gegner für ihre Zwecke nutzen könnten. Doch wie soll die Ausnahmeregel angewendet werden, wenn es gar keine Krise gibt?
EZB hält Thema unter der Decke
Auch die EZB, die seit 2014 für die Bankenaufsicht der größten Institute in Europa zuständig ist, hat sich bislang nicht mit Ruhm bekleckert. Vollmundig trat Aufsichts-Chefin Danièle Nouy ihr neues Amt an: Institute würden sofort geschlossen, wenn an ihrer Solvenz gezweifelt werde. Doch passiert ist bislang nichts. Keiner will riskieren, eine neue Eurokrise anzustoßen. Eine Krise, die alle bisherigen Dimensionen sprengen und den Euroraum in ernste Gefahr bringen würde.
Doch die EZB hat auch noch einen anderen Grund, das Thema unter der Decke zu halten. Bei vielen Kreditinstituten hat sich die Lage drastisch verschärft, seitdem die Zentralbank von ihnen Strafzinsen verlangt.
Jetzt hangeln sich auch die Branchenführer Unicredit und Intesa Sanpaolo am Abgrund von Lombardei und Piemont entlang. Wieder einmal zeigt sich der knallharte Interessenskonflikt zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht. Beide Bereiche hätten niemals unter dem Dach der EZB vereint werden dürften.
Europa lügt sich in die Tasche
So wird auch der Ende Juli anstehende Stresstest von EZB und Europäischer Bankenaufsicht (EBA) weichgespült. Das Londoner Institut nimmt ohnehin keiner mehr ernst. Es hat Stress-Szenarien entwickelt, die allen Bezug zur Realität verloren haben. Danach nimmt man künftig für Italien eine durchaus günstige Wirtschaftsentwicklung an, während sie für Deutschland realitätsfern schwach ausfällt. Auch durchfallen können die Banken dieses Mal nicht. Der Test ist somit von vornherein Makulatur.
So lügt sich Europa weiter in die Tasche. Branchenkenner sagen, Italien sei wie Griechenland, nur noch schlimmer. Bei den Verantwortlichen beschwichtigt man lieber oder schaut weg. Auch Italiens Notenbank-Chef Ignazio Visco ist nicht der Mann, der im Palazzo Koch nun Besen und Wisch-Mopp aus der Ecke kramt. Augen zu und Durchwurschteln heißt die Devise. Denn am Ende wird die Politik ohnehin den Steuerzahler einspringen lassen.