Kolumne Euroschau "Despacito-Man" zögert Geldwende hinaus
Seit Jahren pumpt die EZB Milliarden in die Märkte mit dem Ziel, den Eurokurs zu schwächen und die Wirtschaft anzukurbeln - vergeblich. EZB-Chef Draghi hält sich zurück und setzt auf Zeit - ihm kommt die Entwicklung entgegen.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Da stehen sie die Drei - nachdenklich, mit einem Becher Kaffee in der Hand, milde lächelnd - und schauen etwas bedröppelt in die herrliche Landschaft. Die Kameraleute vor ihnen, die Wanderwege neben ihnen und die Berge der Rocky Mountains rundherum: Haruhiko Kuroda, Janet Yellen und Mario Draghi, die obersten Währungshüter aus Japan, den USA und Europa vereint im amerikanischen Jackson Hole vor wenigen Tagen.
Stundenlang sprachen sie auf der wichtigen Notenbank-Konferenz fernab im verschlafenen Wyoming über Gott und die Welt, warnten vor Protektionismus und beklagten Tendenzen, die Bankenregulierung wieder aufzuweichen. Doch über ihr eigenes Geschäft, die Geldpolitik, verloren sie kaum ein Sterbenswort - und auch nicht über die Unruhe an den Devisenmärkten.
Euro klettert weiter
So schoss der Euro weiter in die Höhe, kletterte zeitweise über 1, 20 Dollar und trieb so manchem europäischen Exporteur die Sorgenfalten auf die Stirn. Denn die erstarkte Währung droht, die endlich Tritt gefasste Wirtschaft gleich wieder abzuwürgen. Schließlich werden europäische Waren auf den Weltmärkten immer teurer. Seit Jahren pumpt die EZB Milliarden in die Märkte, letztendlich genau mit dem Ziel, den Eurokurs zu schwächen und die Wirtschaft anzukurbeln. Da hätte es doch nahegelegen, dass Draghi zumindest verbal in Jackson Hole mal auf die Pauke haut - um den Kursanstieg zu stoppen. Doch es kam nichts.
Draghi hält am Kurs der lockeren Geldpolitik fest
Es kam nichts, weil dem EZB-Präsidenten die Entwicklung gar nicht so unrecht ist. Denn der steigende Außenwert der Gemeinschaftswährung ist für ihn das beste Argument, am Kurs der lockeren Geldpolitik festzuhalten. So kann er den Ausstieg aus dem umstrittenen Anleihekaufprogramm weiter auf die lange Bank schieben. Man sei noch nicht am Ziel, heißt es immer wieder von Draghi und aus seinem Umfeld. Ein zu früher Ausstieg könne gefährlich sein, die Wirtschaft brauche weiter Unterstützung, die Wende müsse wohl überlegt sein. "Despacito-Man" ist deshalb schon das geflügelte Wort für den EZB-Präsidenten an den Finanzmärkten - in Anspielung auf das spanische Wort für "gemächlich", das gerade durch den gleichnamigen Sommer-Hit von Luis Fonsi in aller Munde ist.
Mechanismen wirken nicht mehr
Draghi braucht Zeit. Denn bei der EZB, aber auch in vielen anderen Notenbanken, ist man ratlos, wie es weitergehen soll. Die Welt der Wirtschaft und des Geldes ist so sehr aus den Fugen geraten, dass Mechanismen, wie sie im Lehrbuch stehen, nicht mehr wirken. Zwar hat die lockere Geldpolitik die Konjunktur im Euroraum stark angetrieben und manche Nachbarn schauen schon mit Neid auf brummende Wachstumsraten in Ländern wie Spanien, den Niederlanden oder Lettland. Zwar ist die Arbeitslosigkeit in vielen Eurostaaten rückläufig. Zwar wird allenthalben konsumiert, dass sich die Regale biegen. Doch das, was eigentlich passieren müsste, passiert nicht: Die Preissteigerung bleibt weiterhin relativ gering und entwickelt sich sehr zäh - jedenfalls im Eurozonen-Durchschnitt. Mit einem Plus von 1,5 Prozent im August ist die Inflationsrate zwar etwas stärker als im Vormonat. Sie liegt aber weiter unter dem von der EZB selbst gesetzten Ziel von knapp zwei Prozent.
Suche nach Gründen
Ratlosigkeit in der EZB, Ratlosigkeit in Jackson Hole, Ratlosigkeit in Tokio: Denn in den USA und Japan ist die Entwicklung auch nicht viel anders. Liegt es an den Löhnen, die zu gering steigen? Liegt es am scharfen Wettbewerb im Zuge der Globalisierung, der Preise stärker in Schach hält als in früheren Jahrzehnten? Oder liegt es am viel diskutierten Hysteresis-Effekt, der vereinfacht zusammengefasst besagt, dass Dinge erst mal konstant bleiben, auch wenn sich die Bedingungen ändern?
Die Notenbank-Welt diskutiert viel darüber - aber sie weiß es nicht und sie hat keine profunde Antwort. So tut man erst mal das, was in solchen Phasen immer ansteht: Man wartet ab, kauft Zeit und lässt alles beim alten.
Treffen des EZB-Rates in Frankfurt
Genau in dieser Stimmung trifft sich in dieser Woche der EZB-Rat in Frankfurt. Große Erwartungen, die Notenbank werde dieses Mal einen Fahrplan für den Ausstieg aus dem Anleihekaufprogramm vorlegen, dürften wohl enttäuscht werden. Zwar hatte Mario Draghi den für den Herbst angekündigt - doch die Jahreszeit ist lang und hat kalendarisch ja auch noch gar nicht begonnen.
Die Mehrheit im EZB-Rat wird dafür plädieren, die lockere Geldpolitik fortzuführen. Zwar könnte über Ausstiegs-Szenerien gesprochen werden. Doch einen Zeitplan wird es wohl frühestens auf der Sitzung Ende Oktober geben. "Despacito" wird es also zugehen bei der Geldwende. Doch "despacito" heißt nicht "jamás" - niemals. Die Geldwende kommt - aber es wird deutlich länger dauern als erwartet.