Kolumne Euroschau Neue Geldspritzen für die Banken?
Europas Geldpolitik kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Weil die Konjunktur schwächelt, spielt die EZB mit dem Gedanken, Banken neue Hilfen zu gewähren. Die Zinswende scheint vertagt.
Peter Praet ist nach dem Präsidenten der zweitwichtigste Mann im EZB-Tower. Zum Anfang einer jeden Ratssitzung setzt er die Themen - mit einem einführenden Vortrag. Damit prägt er die Diskussion im EZB-Rat. Alle wichtigen Daten gehen über seinen Tisch. Und an allen wichtigen Entscheidungen ist er maßgeblich beteiligt. Praet ist Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, der ökonomische Kopf der Währungshüter. Seit rund acht Jahren hat der Belgier dieses Amt inne.
Praet ist maßgeblich mitverantwortlich für den Kauf von Anleihen, die Null-Zins-Politik und die Negativ-Zinsen für Banken. Denn Praet gehört zusammen mit seinem Direktoriumskollegen Benoît Cœuré zum engsten Führungskreis des EZB-Präsidenten - einem Kreis, den viele auch gerne Mario Draghis Küchenkabinett nennen. Doch Ende Mai wird sich das ändern. Dann endet Praets Amtszeit.
Ire Lane soll neuer EZB-Chefvolkswirt werden
Sein Nachfolger steht schon fest, nur die Staats- und Regierungschefs müssen die Amtsübergabe noch formell beschließen: Der irische Notenbankchef Philip Lane soll der nächste Chefvolkswirt werden. Der 49-Jährige gilt ebenso wie Praet als eine "Taube", verfolgt also eine lockere Geldpolitik. In Finanzkreisen wird er als Pragmatiker geschätzt.
Am Kurs im engsten Führungszirkel wird sich nicht viel ändern. Bevor Lane 2015 Notenbankchef wurde, war er rund zwei Jahrzehnte Professor am berühmten Trinity College in Dublin, wo er zuletzt einen Lehrstuhl für politische Ökonomie inne hatte. Der Harvard-Absolvent arbeitete auch zwei Jahre an der New Yorker Columbia Universität und gilt als einer der Top-Ökonomen der Welt. Lane ist Familienvater und glühender Fan des FC Liverpool.
Der Ire Philip Lane soll der nächste EZB-Chefvolkswirt werden.
Auf Lane kommen schwierige Zeiten zu. Denn die Konjunktur im Euroland entwickelt sich schwächer als erwartet. Bislang ging die EZB davon aus, dass es in diesem Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent geben werde. Doch der Wert dürfte kaum noch zu halten sein. Der Handelsstreit zwischen den USA und China, die weltweiten poltischen und ökonomischen Konflikte, der anstehende Brexit, die ständige Unsicherheit und Unruhe: All das hat dazu geführt, dass Verbraucher und Unternehmen vorsichtiger geworden sind. Selbst die größte Volkswirtschaft im Euroraum, Deutschland, verliert ihre Stärke. Im zweiten Halbjahr 2018 stagnierte die Konjunktur.
Spekulationen um Lockerung der EZB-Geldpolitik
All dies führt dazu, dass sich die Inflationsrate weiterhin schwächer entwickelt als erwartet. Sie ist das Maß aller Dinge für die EZB. Ob in diesem Jahr tatsächlich 1,6 Prozent Preissteigerung erreicht werden, wie die Währungshüter erwarten, ist fraglich - wenngleich die Preise im Euroraum im vergangenen Monat etwas angezogen haben. Auch der eigentlich angestrebte Zielwert von knapp zwei Prozent ist weiterhin nicht in Sicht.
An den Finanzmärkten wird daher spekuliert, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik schon bald wieder lockern wird - nachdem sie die Zügel mit dem Ende des Kaufs neuer Anleihen erst kürzlich gestrafft hatte. Vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments machte EZB-Präsident Draghi deutlich, dass sich die EZB im Extremfall alle Optionen offen halte. Eine Wiederaufnahme neuer Anleihekäufe halte er zur Zeit aber nicht für wahrscheinlich, sagte er vor den Parlamentariern.
Im Frankfurter EZB-Tower steuert man die europäische Geldpolitik weiter durch schwieriges Fahrwasser.
Banken sollen wieder mehr Kredite vergeben
So wird die Unterstützung wohl an einer anderen Stelle ansetzen: nämlich direkt bei den Banken. Ihnen könnten erneut großzügige Finanzspritzen zu günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt werden. Solche Mittel hatte die EZB den Instituten bereits im Zuge der Euro- und Finanzkrise angeboten - und die Geldinstitute machten kräftig Gebrauch davon. Zuletzt lag das abgerufene Volumen bei über 720 Milliarden Euro.
Vor allem italienische Banken haben davon kräftig profitiert, aber auch spanische und deutsche Institute. Im kommenden Jahr laufen diese Hilfspakete aus. Deshalb deutet vieles darauf hin, dass die EZB in den nächsten Monaten neue Liquiditäts-Spritzen zur Verfügung stellen wird. Dies dürfte auch ein zentrales Thema auf der Ratssitzung in dieser Woche sein.
Die Absicht, die hinter dieser Maßnahme steckt, ist nicht neu: Die Kreditinstitute sollen dieses Geld Unternehmen zu günstigen Bedingungen für Investitionen zur Verfügung stellen. Denn in den vergangenen Wochen ist die Bereitschaft der Banken dazu deutlich gesunken. Überall im Euroraum lässt die Kreditvergabe wieder nach. Mit neuen Finanzspritzen durch die EZB soll dieser Trend zumindest gestoppt werden. Doch Kritiker sind skeptisch, ob die Maßnahme wirken kann: In Zeiten zurückgehender Nachfrage und großer Unsicherheit zögern viele Unternehmen, zu investieren - auch wenn ein Kredit noch so günstig ist.
Anhebung des Zinssatzes unwahrscheinlich
Weiter eingetrübt haben sich auch die Aussichten auf eine Zinswende. Ursprünglich war spekuliert worden, dass die Notenbank die Zinsen im Euroraum Ende des Jahres erstmals wieder anheben würde. Doch angesichts der Konjunkturentwicklung ist dies wenig wahrscheinlich. Auch EZB-Präsident Draghi machte jetzt deutlich, dass eine Zinswende möglicherweise erst 2020 kommen könnte. An den Finanzmärkten wird mit einem ersten Zinsschritt nach oben teilweise sogar erst zum Ende 2020 gerechnet.
Auch mehr als zehn Jahre nach dem Ausbruch der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte befindet sich die Geldpolitik weiterhin in schwierigem Fahrwasser. Mit normalen Verhältnissen hat sie jedenfalls wenig zu tun.