Euroschau Keine Zinserhöhung in Sicht
In Kürze endet das Anleihe-Kaufprogramm der EZB. Damit wäre der Weg für eine Zinswende frei. Doch schwache Inflations- und Konjunkturzahlen könnten höhere Zinsen verhindern.
Auf dieses Urteil hatte man im Frankfurter Eurotower sehnsüchtig gewartet. Denn es ist ganz nach dem Geschmack der Währungshüter: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschloss diese Woche, dass die umstrittenen Anleihekäufe der EZB rechtens und keine verbotene Staatsfinanzierung seien.
Genau dies hatten Kritiker den Währungshütern immer wieder vorgeworfen. Nicht ganz ohne Grund. Zumindest äußerte auch das Bundesverfassungsgericht gravierende Bedenken gegen das Verfahren. Doch Karlsruhe wollte nicht entscheiden und schob den schwarzen Peter nach Luxemburg ab. Jetzt liegt die Materie wieder auf dem Tisch der obersten deutschen Richter. Sie können das Urteil des EuGH zwar nicht kippen. Sie könnten aber zu dem Schluss kommen, dass die Bundesbank sich aus dem Programm zurückziehen sollte. Das würde die Frage aufwerfen, ob der deutsche Anteil rückabgewickelt werden müsste.
Anleihen im Wert von 2,6 Billionen Euro gekauft
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes kommt wenige Tage vor dem offiziellen Ende des Kaufprogramms. Kurz vor Silvester ist Schluss mit dem Neu-Erwerb von Anleihen. Dann hat die EZB Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von rund 2,6 Billionen Euro gekauft.
In Luft löst sich das Programm natürlich nicht auf: Die Anleihen bleiben weiterhin im Bestand der EZB. Das Geld auslaufender Anleihen wird wieder in neue Papiere investiert. Somit existiert das Programm auf dem jetzigen Niveau weiter, es wird aber nicht mehr erweitert.
Ziel der Maßnahme war und ist die Stabilisierung der europäischen Konjunktur, um angemessene Inflationsraten zu erreichen. In den Hochzeiten der Krise ging es auch darum, Deflation zu vermeiden - also eine Spirale immer weiter sinkender Preise. Dieses Phänomen hätte extrem negative Folgen für die Wirtschaft gehabt.
Kein höherer Leitzins vor Oktober 2019
Das offizielle Ende des Kaufs neuer Anleihen ist dennoch von zentraler Bedeutung. Denn aus Sicht der EZB ist es die Grundvoraussetzung dafür, das Zinsniveau neu zu justieren. Die Hoffnungen der Sparer, Banken und Versicherungen waren daher groß, dass es im kommenden Jahr wieder anziehende Zinsen gibt. Doch im Frankfurter Eurotower tritt man schon seit längerem wieder auf die Bremse.
Bereits auf der Ratssitzung im lettischen Riga im Juni dieses Jahres wurde beschlossen, die Zinsen auf jeden Fall bis nach dem Sommer kommenden Jahres bei null Prozent zu belassen. Vor September passiert also gar nichts. Danach dürfte der EZB-Rat erst einmal die Negativzinsen für Banken aus dem Weg räumen. Eine Anhebung der Leitzinsen wäre frühestens auf der Sitzung im Oktober 2019 möglich.
Konjunktur könnte Zinswende verhindern
Doch ob EZB-Präsident Mario Draghi mit diesem Abschiedsgeschenk seine achtjährige Amtszeit beendet, ist völlig ungewiss. Glaubt man den aktuellen Prognosen, wird sich die europäische Konjunktur nach ihrer Erholung zu diesem Zeitpunkt schon wieder abgeschwächt haben.
Das dürfte auch die Inflationsrate erneut dämpfen. Schon jetzt zeichnet sich ab: Das von der EZB angestrebte und derzeit auch erreichte Inflationsziel von rund zwei Prozent wird nicht zu halten sein. Einer der großen Preistreiber, die Notierungen für Rohöl, schwächen sich seit Wochen ab. Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China, der Brexit und die Konflikt zwischen der EU und Italien dürften ein Übriges tun, um die Konjunktur zu schwächen und damit auch die Inflationsrate.
Dann hätten die Befürworter einer ultra-lockeren Geldpolitik ein wunderbares Argument, die Zinswende auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu schieben. Wer will schon in einen Konjunktur-Abschwung hinein die Zinsen erhöhen, wenn die Inflationsrate unterhalb des Zielwertes liegt?
Dilemma für die EZB
Es sieht also nicht gut aus für Europas Sparer, denen die Null-Zins-Politik ihre Rücklagen und ihre Altersvorsorge zerfrisst. Es sieht nicht gut aus für Europas Banken, die ein normales Zinsniveau für attraktive Geschäfte und damit auch für Solidität und Arbeitsplätze benötigen. Und es sieht nicht gut aus für Versicherungen und Pensionskassen, bei denen ein Großteil der privaten Absicherung für das Alter hinterlegt ist, die aber mit Null-Zinsen die versprochenen Gewinne nicht erwirtschaften können.
Insgesamt hat die EZB zu lange gezögert, um den Beginn einer einigermaßen normalen Geldpolitik mit angemessenem Zins-Niveau einzuleiten. Jetzt steht sie vor dem Dilemma, dass ihr die Möglichkeit dazu schon wieder aus den Händen gleitet.
Dabei muss die EZB selbst größtes Interesse an der Rückkehr zu normalen Verhältnissen haben. Denn kommt es zu einer Rezession, also einem deutlichen Abschwung der Wirtschaft, stehen die Währungshüter mit leeren Händen da. Sie haben an der Zinsfront keinen Puffer mehr. Sie können die Zinsen nicht weiter senken, weil sie schon auf null Prozent sind. Sie könnten sie im Fall einer neuen schweren Krise zwar ins Negative drehen. Doch damit würde die Finanz- und Wirtschaftswelt endgültig auf den Kopf gestellt.
Die Währungshüter stehen im kommenden Jahr also vor großen Herausforderungen. Die Gestaltung der Geldpolitik dürfte in Zukunft noch schwerer werden. Zu tragen haben das die Bürgerinnen und Bürger der Eurozone, deren Sparvermögen schrumpft. Kurz nach dem Jahrestag der Lehman-Pleite und den Schlaglichtern auf die wirklichen Verursacher der schweren Wirtschafts- und Schuldenkrise, die letztendlich die Not-Politik der EZB ausgelöst haben, ist das eine bittere Erkenntnis.