Kolumne Euroschau Zypern gerettet, Vertrauen verspielt
Ein Sieg der Vernunft - so wird der Rettungsplan für Zypern von den Politikern der Eurozone gepriesen. Doch der Weg dahin könnte das Vertrauen der Bürger in die Politik nachhaltig geschädigt haben. Wieder einmal habe sich gezeigt, dass EU-Garantien nur gelten, wenn sie opportun sind.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Als Georgios Georgiou morgens das Radio anmachte, traute er seinen Ohren nicht: In einer Nacht- und Nebelaktion hatte die Regierung von Zypern die teilweise Enteignung auch seines Sparguthabens veranlasst. Obwohl es noch nicht einmal ein gültiges Gesetz des zyprischen Parlaments gab, waren knapp sieben Prozent seiner gesparten 22.000 Euro einfach einkassiert worden. Ohne Rechtsgrundlage.
Auch die EU-Garantie wurde zumindest in Frage gestellt. Danach sollen Einlagen in der Eurozone bis 100.000 Euro sicher sein. Der 74-jährige Rentner war fassungslos: "Bin ich etwa für die Krise verantwortlich?"
Nein. Georgiou hat zwar wie die gesamte Bevölkerung des Inselstaates in den vergangenen Jahren vom aufgeblähten Bankensektor und den dubiosen Geschäftspraktiken Zyperns gut gelebt und von hohem Zins reich profitiert. Für die Krise verantwortlich ist er nicht. Auch die vielen anderen Rentner, Hausfrauen und kleinen Geschäftsleute kann man nicht ernsthaft in Haftung nehmen wollen. Es waren die Großbanken, die das große Rad drehten und sich mitunter auch mit zwielichtigen Gestalten einließen.
Schäden durch inkompetentes Krisenmanagement
Trotzdem waren die Finanzminister und Politiker der Eurozone fast einhellig einer Meinung: Die Maßnahme der Regierung in Nikosia sei richtig und notwendig. Kaum irgendwo gab es Zweifel, dass die Rechtsbrüche vielleicht das Vertrauen auch in ihre Politik und in den Euro untergraben könnten - weder bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, noch beim Oppositionsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Erst nach Tumulten in Zypern, einem Aufschrei in Europa und einem eiskalten Auftreten Moskaus dämmerte es so manchem, welch Flurschaden das inkompetente Krisenmanagement hier angerichtet hat.
Mittlerweile ist der Plan vom Tisch. Nach dramatischen Tagen rettet sich Zypern auf anderem Weg: mit der Zerschlagung zweier Banken und der teilweisen Enteignung von Geldanlagen über 100.000 Euro. Dieser Weg wird als großer Sieg der Vernunft gepriesen, sogar als Blaupause für andere Länder gehandelt. Natürlich muss Zypern einen Eigenbeitrag zur Lösung der Krise leisten. Natürlich muss Zypern sein Geschäftsmodell ändern. Merkwürdig nur, dass bei dieser konkreten Maßnahme das zyprische Parlament nicht mehr gefragt wurde. Möglich war dies, weil die Abgeordneten bereits zuvor der Regierung freie Hand bei der Restrukturierung des Bankensektors gegeben hatten. Allerdings wussten sie da wohl noch nicht, was die genau vor hat. So kann man Demokratie auch praktizieren.
Verträge gelten nichts mehr, wenn sie nicht opportun sind
Insgesamt zeigt das Beispiel Zypern in erschreckender Weise, was bereits die gesamte Euro-Krise offenbart: Verträge, Regeln, Absprachen gelten nichts mehr, wenn sie nicht mehr opportun sind. Die demokratischen Grundrechte werden bis an ihre Grenzen gedehnt oder gar ausgehöhlt. Angefangen hatte das schon vor der Krise: mit dem Verstoß gegen die Kriterien des Maastrichter Vertrages. Sie wurden als Kavaliersdelikte abgetan. Wenn sich die Verhältnisse änderten, dann müsse man die Regeln eben anpassen, so die Devise aus Brüssel.
Hoch problematisch auch der Schritt der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen. Eigentlich ist das verdeckte Staatsfinanzierung, die nach den EU-Verträgen verboten ist. Offiziell redet sich die Notenbank damit heraus, dass sie Anleihen am Sekundärmarkt kauft, was die Verträge erlauben. Aber entspricht das wirklich dem Geist der Gründerväter? Kann diese Art der Staatsfinanzierung gerechtfertigt werden, nur weil die Anleihen vorher einmal durch die Hände von Geschäftsbanken gegangen sind?
Schränkt die Eurokrise demokratische Grundrechte ein?
Dann ist da noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit des permanenten Rettungsschirms ESM. Hier muss man schon sehr guten Willen haben und beide Augen zudrücken. Nur dann kann man den Vorwurf unterdrücken, dass das Urteil vor allem politischer Natur ist.
Dem normal denkenden Bürger, dem in der Schule die Vorzüge der Demokratie als Lehre schlimmer Zeiten eingebläut wurden, läuft es angesichts solcher Verhältnisse kalt über den Rücken. Längst wird in Debattierclubs und juristischen Kreisen darüber diskutiert, inwieweit die Eurokrise demokratische Grundrechte zurückdrängt und einschränkt.
Auch schleicht sich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ein ungutes Gefühl ein: das Gefühl, dass man Aussagen der Politiker und Notenbanker im Zuge der Eurokrise nicht trauen kann. Als Folge des Zypern-Debakels sah sich die Bundeskanzlerin deshalb genötigt, ihre 100.000-Euro-Garantie bestätigen zu lassen. Ihr Herausforderer Peer Steinbrück, der diese Garantie während der Großen Koalition mitgetragen hatte, sah sich ebenfalls zu einer Bestätigung veranlasst. Trotzdem glauben nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift "stern" mehr als die Hälfte der Deutschen, dass ihr Geld nicht mehr sicher ist. 67 Prozent machen sich Sorgen um ihr Erspartes.
Die EZB goß reichlich Öl ins Feuer
Und was macht die Europäische Zentralbank bei alledem? Sie gießt richtig Öl ins Feuer. Ihr beispielloses Ultimatum an Zypern ist der beste Beweis. Danach wollte die EZB den maroden Banken des Landes den Geldhahn abdrehen, wenn nicht bis Anfang vergangener Woche ein akzeptabler Rettungsplan auf dem Tisch läge. Ein gefährlicher Poker. Was wäre passiert, wenn der Rettungsplan nicht gekommen wäre? Dann wäre Zypern jetzt bankrott und aus der Eurozone geflogen. Die EZB nahm hier sehenden Auges in Kauf, dass ein Euroland in die Insolvenz geht - mit unabsehbaren Folgen für die Gemeinschaftswährung. Die EZB hat ihre zentrale Garantie für den Euro damit relativiert.
Auch sonst hat sich die EZB im Fall Zypern nicht mit Ruhm bekleckert: Schon beim Beitritt zur Eurozone war klar, mit welch merkwürdigen Praktiken das Land sein Geld verdient. Die EZB hat das damals nicht gestört. Sie hat auch nichts unternommen, als Zypern in den vergangenen Jahren die Einlagen der Sparer überproportional hoch verzinste. Allein der gesunde Menschenverstand hätte jedem sagen müssen, dass dieses Geschäftsmodell im Chaos enden kann. Aber die Währungshüter in Frankfurt und Nikosia ließen alles laufen. Hinterher war das Geschrei groß.
Das Drama um die Mittelmeerinsel hinterlässt einen Haufen Scherben und viele Sorgen. Für Rentner Georgios Georgiou ist die Sache vorerst noch einmal glimpflich ausgegangen: Die Teilenteignung seines Vermögens wurde rückgängig gemacht. Sein Vertrauen in die Eurozone dürfte dennoch in Trümmern liegen.
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft