Kolumne Euroschau Mamma Mia im Eurotower
Der neue EZB-Präsident hätte keinen schlechteren Zeitpunkt für den Amtsantritt wählen können. Der Aktenstapel auf Mario Draghis Schreibtisch ist ein Albtraum. Und Draghi? Er gilt als Stabilitätsverfechter - und doch fehlt ein klares Bekenntnis zum Kurs in der Eurokrise.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Sein Büro liegt in der 35. Etage des Eurotowers. Der Blick auf Frankfurt ist spektakulär. Ruhe und Service gibt es wie in einem Luxushotel. Doch der Aktenstapel voller Probleme, der sich auf seinem Schreibtisch türmt, ist ein Albtraum.
Mario Draghi, der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, hätte keinen schlechteren Zeitpunkt für seinen Amtsantritt wählen können: In der Eurozone brennt es an allen Ecken und Enden. Sein Heimatland Italien steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Und Griechenlands Ministerpräsident Papandreou hat den letzten Akt einer hellenischen Tragödie eingeläutet. Die wird das Land voraussichtlich aus der Eurozone katapultieren. Kaum im Chefsessel, tagt der EZB-Rat. Und dann wartet schon der Jet an die Côte d`Azur zum Gipfel der G20 in Cannes - Mamma Mia, was für eine Herausforderung!
Im Dauerclinch mit dem Bunga-Bunga-Regierungschef
Stress und Kummer ist Draghi gewohnt. Seit Jahren kreidet er der Regierung in Rom an, nichts gegen das Staatsdefizit und die Stagnation der Wirtschaft zu tun. Bei seiner Abschiedsrede als Präsident der Banca d´Italia hatte er der Berlusconi-Regierung unverblümt die Leviten gelesen. Vom Bunga-Bunga-Regierungschef hielt er ohnehin nichts. Kein Wunder, dass der sich auch kein Bein ausriss, um Draghi ins Amt des EZB-Präsidenten zu hieven.
Ohnehin ist dieser "Super-Mario" kein Italiener, wie er im Bilderbuch steht: Draghi will Haushaltsdisziplin, Rückgang der Verschuldung, strikte Preisstabilität, Unabhängigkeit der Notenbank vom Regierungsklüngel - so etwas gab es in Italien noch nie. Der gebürtige Römer ist auch kein Mann der großen Worte, der mit Brimborium wenig sagt und Versprechen abgibt, die er nicht hält. Als Party-Löwe der römischen Schickeria hat Draghi noch nie getaugt. Und seinen Sommerurlaub verbringt er nicht am hippen Strand von Amalfi, sondern zusammen mit Frau und Hund beim Wandern in den Dolomiten.
Grundsolide - und mit einem dunklem Schatten
Grundsolide ist dieser Mann also, sollte man meinen. Mit deutschen Tugenden, die so gar nicht ins Klischee des Italieners passen. Der Musterschüler einer Jesuiten-Schule studierte Wirtschaftswissenschaften in Rom und am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge. Dort promovierte er auch. Jahrelang dozierte der heute 64-Jährige in Florenz und an der Harvard Universität in den USA, war geschäftsführender Direktor bei der Weltbank und mächtiger Mann im italienischen Schatzamt. Als Staatssekretär verhandelte der überzeugte Europäer für Italien die Einführung des Euro. Nur über seinem Abstecher zu Goldman Sachs in London liegt ein dunkler Schatten - die Investmentbank soll Griechenland bei der Mauschelei zum Eintritt in die Eurozone geholfen haben. Damit habe er nichts zu tun, distanzierte sich Draghi vehement vor dem Europaparlament.
Der Kurs ist unklar
Und für welchen Kurs steht er in der Eurokrise? Das ist nicht ganz klar. Zwar ließ er sich nach langem Hin und Her von Frankreichs Staatspräsident Sarkozy den Halbsatz abringen, er unterstütze die Sondermaßnahmen der EZB zur Stützung der Eurozone. Damit sind auch die Käufe von Staatsanleihen gemeint, die gegen die Statuten der Notenbank verstoßen. Doch seine Sprecherin dementierte das gleich wieder. Auch sonst hielt er sich mit Äußerungen über die EZB-Politik in den vergangenen Wochen zurück.
Der deutsche Einfluss geht gegen Null
Zum Schwur kommt es schon in dieser Woche. In der EZB-Ratssitzung wird sich zeigen, ob Draghi lieber delegiert und moderiert, wie er das in seinen bisherigen Ämtern tat. Oder ob er dem Gremium wie sein Vorgänger den Stempel aufdrückt. Leicht wird das nicht. Im EZB-Rat haben mittlerweile die klammen Eurostaaten das Sagen. Ohnehin gibt die Zentralbank ein Bild ab, das sich die Gründungsväter nie hätten träumen lassen: Ein Vertreter Italiens, dessen Wirtschaft stagniert, steht an der Spitze. Ein Portugiese, dessen Wirtschaft schon zusammengebrochen ist, vertritt ihn. Und der Einfluss der Vertreter Deutschlands, das noch relativ stabil dasteht, geht gegen Null.
So nimmt der Albtraum also seinen Lauf - im 35. Stock des Eurotowers. Wenigstens der Blick ist schön. Mamma Mia!
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.