Kolumne Euroschau Die Krise gärt weiter
Erstmals seit anderthalb Jahren ist die Wirtschaft der Euroländer im Plus - doch anders als auch die EZB es darstellt, ist die Lage nicht rosig, meint Klaus-Rainer Jackisch: Die Daten sind durch die deutsche Konjunktur geschönt, die Kreditklemme hat Südeuropa weiter im Griff.
Superstimmung im Ferien-Nobelort Vilamoura an der portugiesischen Algarve: Wer in diesen Tagen durch die Straßen des größten Touristenkomplexes Europas schlendert, kann von Krise nichts spüren. Auch am späten Abend sind Straßen, Restaurants und Bars brechend voll - rund um den von einem findigen Geschäftsmann aus dem Nichts konstruierten Yacht-Hafen. Überall gibt es lange Autoschlangen, die Parkplätze sind völlig überfüllt. So ähnlich sieht es auch in der Touristenhochburg Albufeira und den beliebten Ferienstädten Lagos und Tavira aus. Portugals Wirtschaftsminister Antonio Pires de Lima spricht von einer der besten Saisons seit Jahren.
Es sind nicht nur Briten, Deutsche und Franzosen, die in den westlichsten Teil Europas strömen. Es sind vor allem die Portugiesen selbst, die sich durch Wirtschaftskrise und politischer Turbulenzen den Urlaub am Meer nicht vermiesen lassen.
Zwar konnte die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho nur mit Ach und Krach überleben. Zwar hat das Land große Probleme, die von der Troika aus EU, EZB und IWF auferlegten Sparziele zu erreichen - das Verfassungsgericht durchkreuzte mehrfach die Pläne. Zwar ist die Arbeitslosenquote mit 17 Prozent weiterhin erschreckend hoch und die Jugendarbeitslosigkeit mit fast 40 Prozent verheerend. Doch die Portugiesinnen und Portugiesen wollen zurück zur Normalität.
So tun, als hätte die Krise ihren Schrecken verloren
Dieses Bild passt auch der Europäischen Zentralbank gut ins Konzept. Hier versucht man seit Wochen so zu tun, als ob die Eurokrise ihren Schrecken verloren habe. Mit Erleichterung nahm der Eurotower zur Kenntnis, dass die Rezession im Euroraum zunächst überwunden sei. Tatsächlich verbuchte die Wirtschaft aller siebzehn Euroländer zusammen erstmals seit anderthalb Jahren ein leichtes Plus von 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. In Portugal war das Wachstum besonders stark. Die EZB sieht sich in ihrer Politik gerechtfertigt und auf dem richtigen Weg.
Ganz so rosig ist das Bild freilich nicht. Die Wirtschaftsdaten sind bei näherer Betrachtung durch die deutsche Wirtschaftskraft geschönt. In den meisten südlichen Ländern gibt es weiter Stagnation oder Rezession. Enttäuschend auch die Entwicklung der zweitgrößten Volkswirtschaft des Euroraumes: In Frankreich schließt die Regierung ein Schrumpfen der Wirtschaft in diesem Jahr nicht mehr aus. Ohnehin erwarten viele Volkswirte in den nächsten Monaten eine schwächere Konjunktur. Denn das Wachstum war im zweiten Quartal teilweise durch Nachholeffekte künstlich angetrieben worden.
Da auch die Dynamik in den Schwellenländern wie etwa Brasilien oder Russland stark zurückgeht, dürfte selbst die deutsche Konjunktur-Lokomotive ins Schnaufen geraten.
Höchste Arbeitslosigkeit seit Bestehen der Währungsunion
Auch auf dem Arbeitsmarkt keine Entwarnung: In der Eurozone sind mehr als 19 Millionen Menschen ohne Job - eine Million mehr als im Vorjahr und so viele wie noch nie seit Bestehen der Währungsunion. Besonders gravierend ist die Jugendarbeitslosigkeit: Sie beträgt in Griechenland fast 60 Prozent, in Spanien über 55 Prozent und in Italien rund 40 Prozent. Diese Situation raubt der Generation Perspektiven und fördert nicht gerade Enthusiasmus für Europa.
Auch die Kreditklemme hat Südeuropa weiter fest im Griff. Nach jüngsten EZB-Angaben gingen Darlehen an Unternehmen und Private im Juli erneut um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Die bereinigten Daten sind sogar so schlecht wie noch nie seit Einführung des Euro. Geldschwemme und niedrige Zinsen bringen der Realwirtschaft weiter nichts: Unternehmen investieren nicht, weil sie die Konjunktur-Aussichten zu schlecht einschätzen. Auch der Interbankenmarkt funktioniert nicht: Kreditinstitute vertrauen sich weiterhin nicht. Die Kreditvergabe zwischen den Banken ist auf den Stand von vor 15 Jahren zurückgefallen. Für eine Währungsunion ist das verheerend.
Ein erneuter Schuldenschnitt für Griechenland droht
Unterdessen wird ein weiteres Rettungspaket für Griechenland immer wahrscheinlicher. Selbst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schließt es nicht mehr aus. Ein erneuter Schuldenschnitt droht. Dagegen wehrt sich vor allem die EZB: Sie ist der größte Gläubiger griechischer Staatsanleihen.
Insgesamt gärt die Eurokrise also weiter. Normalität sieht anders aus.
Angesichts dieser Situation werden die Währungshüter in den nächsten Monaten nichts tun: Der Zinssatz dürfte noch lange auf dem niedrigen Niveau verharren. Das hatten EZB-Präsident Mario Draghi und andere Direktoriumsmitglieder mehrfach deutlich gemacht.
EZB wird Zinserhöhung nicht wagen
Faktisch könnte die Eurozone auch eine Zinserhöhung vertragen, ohne dass dies an der Situation der Real-Wirtschaft etwas ändern würde. Vor allem gebeutelte Versicherer und Pensionskassen würden aufatmen. Weil aber die Akteure an den Aktienmärkten dann sofort aufschreien, wird die EZB diesen Schritt nicht wagen.
Verblüffend bei alledem ist die Entwicklung des Konsums. Weil Europas Bürger nur noch wenig Vertrauen in den Euro haben, hauen sie ihn lieber auf den Kopf. Sich etwas gönnen und das Geld verpulvern heißt die Devise. Dies wiederum erklärt auch den Tourismus-Boom an der Algarve und in anderen Ländern. Kein Wunder also, dass es Portugiesen bei Super-Bock und Seeteufel nur so krachen lassen.
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.