EZB-Neubau wird eingeweiht Ein Monolith, der polarisiert
Man kann viel in das neue EZB-Gebäude hineinlesen: die Macht der Währungshüter, die Stärke oder Schwäche des Euro. Am Mittwoch werden die Türme offiziell eingeweiht und es gibt massive Proteste - auch, weil die Türme Frankfurt verändern.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Was für ein Ausblick: Friedlich schlängelt sich der Main durch die City von Frankfurt, das Stadtzentrum ist gut erkennbar. Im Hintergrund zeichnen sich sanft die Höhen des Taunus ab. Ein Postkarten-Motiv.
Diese Traum-Sicht bietet sich seit einigen Wochen dem Rat der Europäischen Zentralbank im 41. Stockwerk des neuen Gebäudes der Notenbank im Osten der Stadt. Vergangenen November wurde es bezogen, jetzt wird es feierlich eingeweiht. Ohne großen Pomp. EZB-Chef Mario Draghi hält ein kurzes Statement, ebenso Vertreter von Stadt und Land Hessen. Schnipp Schnapp, das rote Band wird zerschnitten. Das war´s.
Strahlend oder düster?
Dabei verdient das neue Gebäude durchaus mehr Beachtung. Von "architektonischer Meisterleistung" bis "düsterer Monolith" reichen die Kritiken. Der österreichische Star-Architekt Wolf Dieter Prix, Mitbegründer und Chef des Wiener Architektur-Büros Coop himmelb(l)au, ließ sich bereits im Vorfeld feiern und wurde mit Preisen überhäuft. Dies sei kein normaler Büroturm, betonte er immer wieder: "Dieses Gebäude hat die Bedeutung, ein dreidimensionales Zeichen für die Europäische Union zu sein."
Schlicht und prachtvoll zugleich ist der Neubau, gut sichtbar aus Stadt und Umland. Zeichen und Symbol für das neue Zentrum der Eurozone. Noch nie hatte die Europäische Zentralbank so viel Einfluss wie heute. Noch nie griff sie so massiv in das Schicksal von 335 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Währungsunion ein. Und noch nie gab es dafür ein so deutliches Symbol.
Höher als der Kölner Dom
Gut zwölf Jahre wurde geplant und gebaut. Nun ist die neue "Ikone für die Europäische Union", so der anspruchsvolle Auftrag an den Architekten, fertig: Zwei ineinander geschlungene Türme ragen in den Himmel. Der größere Nordturm bringt es auf 185 Meter, der Südturm ist zwanzig Meter kleiner, etwa so hoch wie der Kölner Dom. Verbunden sind beide mit großen Glasflächen und zahlreichen Übergängen - ein Symbol für die Brücken-Motive auf den Euro-Geldscheinen. Auf vielen Etagen gibt es großzügige Flächen zum Verweilen und Diskutieren, alle mit herrlichem Blick.
In den Neubau integriert ist die unter Denkmalschutz stehende Großmarkthalle aus dem Jahr 1928. Wo einst Äpfel und Tomaten den Besitzer wechselten, wird jetzt über die Höhe der Leitzinsen entschieden. Der Neubau bietet Platz für 2600 Mitarbeiter. Großen Luxus gibt es nicht: Die Büros sehen aus wie in jedem anderen Gebäude auch. Oben ist das anders. Dort sitzt das Direktorium wie in einem Raumschiff mit Blick auf Skyline und Umland, schick und edel wie es sich für eine mächtige Notenbank gehört.
Vor der Ausschreibung des Projektes wurden 35 Standorte in Frankfurt am Main auf ihre Brauchbarkeit untersucht. Das Gelände der Großmarkthalle war unter den letzten fünf. "Sie hatte sehr gute funktionale Vorteile, es war das geeignetste Grundstück und auch das preiswerteste", sagt EZB-Projektleiter Thomas Rinderspacher, der von Anfang an dabei war.
Der Preis stieg und stieg
Günstig ist das Projekt allerdings nicht: Ursprünglich waren 850 Millionen Euro Gesamtkosten veranschlagt, die reinen Baukosten lagen bei 500 Millionen. Für diesen Preis fand sich aber kein Generalunternehmer. Die EZB glaubte, sie könne das Projekt auch alleine managen. Schwierigkeiten mit Baufirmen waren die Folge, die Fertigstellung verzögerte sich um Jahre. Hinzu kamen unerwartete Kosten für die Sanierung der denkmalgeschützten Großmarkthalle. Jetzt kostet der Prachtbau knapp 1,2 Milliarden Euro - fast ein Drittel mehr als geplant.
Teuer wird es auch für viele Bewohner des Stadtteils. Einst ein Arbeiterviertel, etwas runtergekommen und ungepflegt, wandelt sich Frankfurts Osten durch den EZB-Neubau jetzt zur angesagten Adresse. Eine Anwohnerin bringt die Stimmung so auf den Punkt: "Das war früher so ein schönes, ruhiges Viertel und jetzt ist alles nur noch Schicki-Micki wegen der Bank." Tatsächlich explodieren die Mieten, viele Wohnungen und Häuser wurden und werden luxussaniert. Mittlerweile ist das Ostend eines der teuersten Viertel der Stadt.
Ein Gebäude wie der Euro
Den Wandel sieht man überall: Wo einst Lastwagen Fleisch, Obst und Gemüse für die Großmarkthalle anlieferten, Krach und Staub an der Tagesordnung waren, ist eine große Flaniermeile entstanden - mit Cafes und Rasenflächen, direkt am Main. Immer mehr Passanten lockt es hierher, viele bleiben vor dem Neubau stehen, schauen auf die futuristische Architektur. "Die Türme sind so krumm und schief wie der Euro selber", sagt eine Frau. "Nichtsdestotrotz glaube ich schon, dass es ein neues Wahrzeichen von Frankfurt wird."
Andere sind da etwas skeptischer. Ein Mann schaut auf den Gebäudekomplex und schüttelt mit dem Kopf: "Gucken Sie sich doch das Gebäude von innen drin an: Das ist alles Luft. Das ist viel Schau und nichts dahinter. Wie unsere Währung."
Distanz erwünscht
Unglücklich sind viele Frankfurter auch, weil sich die EZB in dem neuen Gebäude massiv von der Außenwelt abschottet. Während das alte Gebäude im Stadtzentrum frei zugänglich war, wurde hier im Ostend ein großer, massiver Zaun um das Areal gezogen, teilweise mit großen Betonplatten. Die Stadtverwaltung Frankfurt war gar nicht glücklich darüber, denn ursprünglich war auch hier ein offener, zugänglicher Bereich geplant. Doch Sicherheitsüberlegungen der EZB setzten sich durch.
Ein wesentlicher Grund: Die Zentralbank wird heute deutlich kontroverser angesehen und steht viel mehr in der Kritik als zu Planungsbeginn. Nicht nur ihre Politik, sondern auch das neue Gebäude sind Stein des Anstoßes für viele Kapitalismuskritiker. Sie manifestieren sich vor allem in der Blockupy-Bewegung.
Felix, Ende 30, von der Friedenswerkstatt Frankfurt, sympathisiert seit vielen Jahren mit diesen Protesten. Im neuen Standort der EZB am Rande der Stadt sieht auch er eine düstere Symbolik: "Das alte EZB-Gebäude befand sich mitten im Zentrum zwischen den anderen Türmen", sagt er. Jetzt stehe der Neubau abgegrenzt als "einsamer Monolith" am Rande von Frankfurt. "Für mich ein Zeichen", so Felix, "für das, was auch wirklich passiert: dass dort eine Institution immer mehr an Macht oder Einfluss gewinnt, die sie teilweise einfach nicht haben sollte."
Star-Architekt Wolf Dieter Prix will davon nichts wissen. Er schwebt längst in anderen Sphären und sieht sein Gebäude schon in den Geschichtsbüchern: "Sie werden sehen - in zehn bis 15 Jahren wird es ein wahrnehmbares und merkbares Symbol geworden sein, nicht nur, weil es dann auf dem 500-Euro-Schein gedruckt sein wird." Wenigstens das dürfte der Stadt Frankfurt am Main gut gefallen.