Die EZB und das "Quantitative Easing" Die Grenzen der "nuklearen Option"
Seit Wochen befeuert die EZB Spekulationen, sie könnte im Kampf gegen fallende Preise zur ultimativen Waffe greifen - dem Aufkauf von Wertpapieren im großen Stil. Offen bleibt bislang die Frage: Wie soll das eigentlich gehen?
Die Europäische Zentralbank hat getan, was sie tun konnte - und noch einiges mehr. Sie hat die Zinsen fast auf Null gesenkt, hat Billionen von Euro in die Banken gepumpt, hat mit ihrem Geld Regierungen am Leben gehalten. Im Juni 2012 leitete EZB-Chef Mario Draghi mit seiner "Whatever-it-takes"-Rede schließlich auch noch die Rettung des Euro ein. Draghis Versprechen damals: Die EZB werde alles tun, was nötig ist, um die Panik an den Märkten zu beenden.
Das Versprechen hat gewirkt: Die Wirtschaft in Südeuropa wächst, die Kurse der Staatsanleihen haben sich erholt, neuerdings gelten Portugal und selbst Griechenland sogar wieder als kreditwürdig. Und doch, so scheint es, hat die Zentralbank noch nicht genug. Seit Wochen befeuert Draghi Spekulationen, wonach die EZB im Kampf gegen fallende Preise bald zur ultimativen Waffe greifen könnte - dem Aufkauf von Wertpapieren im großen Stil, im Fachjargon "Quantitative Easing" ("QE") genannt. "Das wäre die nukleare Option", sagt Ökonom Carsten Brzeski von der ING Diba.
Was verwundert ist, auf welch geringen Widerstand Draghi mit seinen Gedankenspielen diesmal trifft. Schließlich war der Krisenkurs der EZB in den vergangenen Jahren hochumstritten; er führte unter anderem zum Rücktritt von Bundesbankchef Axel Weber, der die Politik seiner Zentralbankkollegen nicht länger mittragen wollte. Doch nun? Sind die deutsche Notenbank und die traditionell eher EZB-kritischen deutschen Zeitungen eigentümlich still. Als wäre die "nukleare Option" der logische nächste Schritt. Aber ist er das?
Wie die Amerikaner es machen ...
"Quantitative Easing", auf deutsch: quantitative Lockerung, bedeutet, dass die Notenbank Geld druckt, um damit Staatsanleihen und andere Wertpapiere am Kapitalmarkt aufzukaufen. Vor der Finanzkrise musste man schon tief in den ökonomischen Lehrbüchern blättern, um zu erfahren, dass es eine solche Option überhaupt gilt. Seit dem großen Crash allerdings wird das Undenkbare nicht nur gedacht, sondern auch fabriziert, die Bank of Japan betreibt quantitative Lockerung, die Bank of England tut es und vor allem: die US-Notenbank Fed.
Seit fast fünf Jahren kauft die Federal Reserve Monat für Monat für Dutzende Milliarden Dollar Staatsanleihen der eigenen Regierung. Die Idee dahinter: Großinvestoren werden aus den Staatspapieren herausgedrängt und sehen sich gezwungen, ihr Geld in riskantere Wertpapiere wie Aktien oder Unternehmensanleihen zu stecken. Dadurch fließt der Wirtschaft frisches Kapital zu, was schließlich in reale Investitionen und neue Jobs münden soll.
Neben diesem Mechanismus umfasst das "Quantitative Easing" der Fed auch noch eine zweite, direkter wirkende Komponente: Die Washingtoner Notenbank erwirbt, wenn auch in geringerem Umfang, sogenannte Hypothekenverbriefungen – also ziemlich genau jene mit Baudarlehen unterlegten Risikopapiere, die 2007 das Subprime-Desaster auslösten. Damit hat die Fed in den vergangenen Jahren sowohl zur Erholung des Immobilienmarkts beigetragen als auch die Situation vieler Familien erleichtert, die sich mit ihrem privaten Hausbau übernommen hatten. "Durch den Kauf der Hypothekenpapiere ist die Fed zwei der drängendsten Probleme sozusagen auf einen Schlag angegangen", sagt Brzeski.
... und warum das in Europa kaum was bringen würde
In der europäischen "QE"-Debatte hat man momentan den Eindruck, als müsste das amerikanische Beispiel bloß auf den alten Kontinent übertragen werden. Aber geht das so leicht? Beziehungsweise: Ist es überhaupt möglich?
Die Grundidee ist zunächst einmal einleuchtend: Wenn die EZB Wertpapiere aufkauft, dann erhöht sich erstens die Geldmenge. Und mit ein bisschen Glück sickert zweitens ein Teil des frischen Geldes tatsächlich in die reale Wirtschaft. Beides könnte dazu beitragen, wieder für ein bisschen mehr Inflation zu sorgen, nachdem die Teuerung in der Eurozone zuletzt bis auf 0,3 Prozent gefallen war - was laut Experte ein gefährlich niedriger Wert ist, weil ein dauerhafter Verfall der Preise ("Deflation") den zarten Aufschwung im Süden Europas gleich wieder abwürgen könnte.
Hier nun aber beginnen die technischen Probleme:
- Welche Wertpapiere soll die EZB kaufen? "Die Eurozone umfasst 18 Ländern - und damit auch 18 verschiedene Staatsanleihenmärkte", sagt Ökonom Brzeski. Soll die Notenbank nur die Papiere südlicher Ländern kaufen, weil da die Not am größten ist? Oder die Anleihen der Nordländer, weil die sicherer sind? "Das ist alles andere als trivial", meint Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg. Dazu kommt: Ob die EZB überhaupt Staatsanleihen kaufen darf, ist juristisch durchaus umstritten.
- Doch selbst wenn sich ein Modus finden ließe - würden die Käufe überhaupt etwas bringen? "Seit Draghis Whatever-it-takes-Rede sind die Renditen auf Staatsanleihen ohnehin schon drastisch gefallen, zum Beispiel bei zehnjährigen portugiesischen Papieren von 17 auf 3,5 Prozent", sagt Brzeski. "An dieser Schraube weiter zu drehen, ist unsinnig", meint Schmieding.
- Was ist mit Hypothekenpapieren – also der zweiten Komponente der Fed-Politik? "Auch schwierig", sagt Brzeski. In Europa ist allenfalls die Lage auf dem spanischen Häusermarkt vergleichbar mit der Situation in den USA. "Hier einzugreifen würden dem Rest Europas wenig helfen", so Brzeski.
- Das Hauptproblem der Eurozone ist, dass die Geschäftsbanken die niedrigen Zinsen der EZB nicht an die Unternehmen weiterleiten. "Eigentlich müsste die EZB hier ansetzen", erklärt Schmieding. "Doch das ist schwierig, weil es in Europa praktisch keine Wertpapiere gibt, die auf den Krediten kleiner und mittelgroßer Firmen basieren."
- Auf den ersten Blick wären die Anleihen großer Konzerne eine Alternative. "Doch auch das würde wenig bringen, weil die Großunternehmen noch am leichtesten auch ohne die EZB an Geld kommen", sagt Brzeski.
Dass ein europäisches "Quantitative Easing" so viel schwieriger würde als das amerikanische, hat letztlich auch mit unterschiedlichen Traditionen zu tun: In den USA besorgen sich die Unternehmen seit jeher einen Großteil ihrer Mittel über Anleihen - und damit über Wertpapiere, die die Notenbank direkt kaufen könnte. In Europa hingegen sind Industrie und Mittelstand viel stärker von den Banken abhängig.
"Theoretisch wäre es daher am effektivsten, wenn die EZB Anleihen oder gar Aktien von Geschäftsbanken kaufen würde", meint Brzeski. Und in der Praxis? Die EZB übernimmt von diesem Herbst an die Aufsicht über Europas Banken. "Ein Bankenaufseher, der in großem Stil Bankanleihen kauft - das wäre ein unmöglicher Interessenkonflikt", sagt Schmieding.