Absichtserklärung zu Fachkräftemangel Schnellere Visa und Integrationshilfen
Wirtschaft und Bundesregierung wollen mehr ausländische Fachkräfte ins Land locken: So sollen Visaverfahren beschleunigt und Möglichkeiten zum Spracherwerb verbessert werden. Kanzlerin Merkel sprach von einem "Paradigmenwechsel".
Die Bundesregierung will verstärkt Fachkräfte außerhalb der EU anlocken. Zusammen mit der Wirtschaft unterzeichnete sie nach einem Spitzentreffen eine Absichtserklärung, damit das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schnell wirken kann. Die Wirtschaftsvertreter sagten zu, die Fachkräfte bei Spracherwerb, Wohnungssuche und Behördengängen zu unterstützen. Die Bundesregierung kündigte an, die Vergabe von Visa zu beschleunigen und die Anerkennung ausländischer Qualifikationen zu erleichtern.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz tritt am 1. März 2020 in Kraft und soll qualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten den Weg nach Deutschland erleichtern. "Es ist dringend notwendig, dass wir ein solches Gesetz haben", sagte Kanzlerin Angela Merkel nach dem Spitzentreffen. "Wir gehen das Problem an." Das Gesetz solle ein Erfolg werden. Es gebe weltweit einen großen Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte - da müsse Deutschland attraktive Arbeitsbedingungen und ein attraktives Umfeld bieten.
"Auf jeden Fall ist das wirklich Wichtige, dass wir in den Drittländern als ein weltoffenes, als ein interessiertes Land rüberkommen", sagte Merkel. Darüber, wie viele Fachkräfte aus dem Ausland nötig seien, wolle sie nicht spekulieren. Alleine im Handwerk seien 250.000 Stellen unbesetzt. Die Kanzlerin betonte, dass die Besetzung freier Stellen mit Bewerbern aus dem Inland weiter Priorität habe. Die Regierung wolle "das inländische Arbeitskräftepotenzial voll ausreizen".
"Wir akzeptieren, Einwanderungsland zu sein"
Merkel nannte das Gesetz einen "Paradigmenwechsel, wie wir auf Fachkräfte außerhalb der Europäischen Union zugehen wollen". Finanzminister Olaf Scholz sprach von einem "weitreichenden" Schritt in der Geschichte Deutschlands. "Wir akzeptieren, Einwandungsland zu sein", sagte der SPD-Politiker. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, Deutschland könnte "deutlich mehr Wachstum haben", gäbe es mehr Fachkräfte. Es seien Pilotprojekte geplant zur Anwerbung von Fachkräften in Brasilien, Indien und Vietnam. Die Zuwanderung solle in "sozialverträglicher Weise" gelingen.
Arbeitsminister Hubertus Heil erklärte, es gehe auch darum, das Fachkräftepotenzial in Deutschland zu verbessern. Ihm zufolge verlassen jedes Jahr rund 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss, etwa 1,1 Millionen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren besäßen keine berufliche Ausbildung. Viel Luft nach oben gebe es auf dem Arbeitsmarkt auch noch bei Älteren und vor allem bei Frauen. Stichwort: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Daneben aber sei Zuwanderung auch aus Nicht-EU-Staaten nötig. Es solle keine Einwanderung in die Sozialsysteme geben, sagte der SPD-Politiker und warnte vor "rechtspopulistischer Stimmungsmache".
Kritik von AfD-Fraktionschefin Weidel
Zuvor hatte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kritisiert: "Mit der geplanten Anwerbung von Fachkräften im Ausland wird sich das Problem der Zuwanderung in die Sozialsysteme weiter verschärfen. Am Ende wird es heißen: Wir riefen Fachkräfte und Sozialhilfeempfänger kamen." Es sei sinnvoller, die Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland zu stoppen, so Weidel.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte, die Wirtschaft brauche das neue Gesetz. Anfang der 2030er-Jahre gebe es wegen der demographischen Entwicklung sechs Millionen weniger Erwerbstätige aus der deutschen Bevölkerung. Kramer betonte, es dürfe keine langen bürokratischen Verfahren geben. Bewerber müssen an Deutschen Botschaften oft monatelang warten, bis sie einen Termin erhalten. Bis die Papiere für die Einreise geprüft sind, vergehen häufig weitere Monate, klagen Unternehmen. Das Auswärtige Amt erhält mit dem neuen Haushalt 109 zusätzliche Stellen, um Visumsanträge schneller bearbeiten zu können. Helfen bei der Beschleunigung der Abläufe soll auch die Digitalisierung.
Die Bundesregierung hofft außerdem, dass ihr Informationsportal "Make it in Germany" mit Hotline und Jobbörse stärker genutzt wird und Unternehmen mehr Stellenangebote für ausländische Fachkräfte melden. Da ausländische Berufsabschlüsse nicht immer mit deutschen Abschlüssen vergleichbar sind, soll die Wirtschaft mit eigenen Bildungseinrichtungen und mit Unterstützung in Betrieben bei der Qualifikation helfen.
Engpässe bei Mathematik und Informatik
Die größten Engpässe bestehen laut Fachkräftestrategie der Regierung derzeit bei Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik - daneben sind der Bau, der Hotel- und Gaststättenbereich sowie Gesundheitsberufe betroffen. Konkret gehe es etwa um Elektrotechniker, Metallbauer, Mechatroniker, Köche, Alten- und Krankenpfleger, Informatiker sowie Softwareentwickler.
Für die Wirtschaft bleibt der Fachkräftemangel trotz einer schwächeren Konjunktur das größte Geschäftsrisiko, wie aus einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hervorgeht. Für Unternehmen wirkt das wie ein Bremsklotz: Sie können Aufträge nicht annehmen, weil sie nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter haben.