Fragen und Antworten Was passiert bei einer Griechenland-Pleite?
Hätte ein Bankrott Griechenlands automatisch einen "Grexit" zur Folge? Welche Szenarien für einen möglichen Austritt aus der Eurozone gibt es? ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam und Tobias Sindram beantworten die wichtigsten Fragen zur Griechenland-Krise.
Führt ein griechischer Staatsbankrott automatisch zum "Grexit"?
Nein, diese beiden Punkte muss man auseinanderhalten. Wenn der griechische Staat Pleite geht, führt das nicht automatisch zum griechischen Austritt aus dem Euro.
Gibt es spezielle rechtliche Regeln für einen Staatsbankrott?
Nein. Wenn ein Unternehmen oder eine Privatperson zahlungsunfähig wird, gibt es für die rechtlichen Folgen klare Regelungen, das "Insolvenzrecht". Die Gläubiger haben dann nach einem festgelegten Verfahren die Chance, einen Teil ihrer Forderungen ausbezahlt zu bekommen, die sogenannte "Insolvenzquote". Ein Insolvenzrecht für Staaten existiert aber nicht. Es ist daher wahrscheinlich, dass Griechenland und seine Gläubiger über Jahre hinweg in schwierige rechtliche Auseinandersetzungen verwickelt würden. Forderungen nach einem "Insolvenzrecht für Staaten" hat es immer wieder gegeben, sie werden auch jetzt wieder laut. Ob die Griechenland-Krise dazu führt, dass man sich auf europäischer Ebene oder gar weltweit auf verbindliche Regeln einigt, ist aber zweifelhaft.
Gab es in jüngerer Zeit schon mal einen Staatsbankrott?
Ja. Besonders gut in Erinnerung ist der Staatsbankrott Argentiniens zu Silvester 2001/2002. Der Bankrott und die anschließenden Schuldenschnitte von 2005 und 2010 führten dazu, dass am Ende fast alle Gläubiger auf 70 Prozent ihrer Forderungen an Argentinien verzichteten. Bis heute gibt es aber erbitterte Rechtsstreitigkeiten. Denn mehrere Hedgefonds, die in der Krise zwischen 2001 bis 2003 argentinische Staatsanleihen für einen Bruchteil des ursprünglichen Wertes von anderen Gläubigern aufgekauft haben, wollen den Schuldenschnitt nicht mitmachen. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich jüngst zu den Folgefragen geäußert und gab im Februar 2015 den Klagen von zwei Privatanlegern gegen die Republik Argentinien statt (Az. XI ZR 47/14 und XI ZR 193/14).
Ist die Möglichkeit eines Austritts aus dem Euro rechtlich irgendwo geregelt?
Nein. Diese Möglichkeit ist im europäischen Recht nirgendwo ausdrücklich vorgesehen. Gleichzeitig hört und liest man immer wieder, dass "findige Juristen" das schon irgendwie hinbekommen würden. Das kann sein, ist aber auf jeden Fall eine extrem schwierige Sache.
Welche Möglichkeiten eines Euro-Austritts Griechenlands könnte es geben?
Sollte es irgendwann um ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro gehen, kann es theoretisch mehrere Szenarien geben.
- Einen einseitigen Ausstieg gegen den Willen der anderen Euro-Staaten
- Einen "Rausschmiss" durch die anderen Euro-Staaten gegen den Willen Griechenlands.
- Das einvernehmliche Ausscheiden: Sowohl Griechenland als auch alle anderen Beteiligten einigen sich darauf, dass Griechenland aus der Euro-Zone ausscheidet.
In rechtlicher Hinsicht gibt es je nach Szenario aber deutliche Unterschiede, auf die später eingegangen wird. Zunächst aber noch ein paar Worte zum oft diskutierten Szenario eines "Graccident".
Ist ein "Graccident" rechtlich möglich?
Die Wortschöpfung "Graccident“ meint das unabsichtliche Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro für den Fall, dass Griechenland zahlungsunfähig wird. Eine Art griechischer Unfall - auf Englisch "Greek accident", sprich "Graccident".
Ein "Graccident" ist rechtlich nicht möglich. Auch wenn Griechenland zahlungsunfähig wird, bleibt der Euro das gesetzliche Zahlungsmittel. Der Passauer Europarechtsprofessor Christoph Herrmann beschäftigt sich intensiv mit diesen rechtlichen Fragen. Er sagt: "Griechenland kann zwar aus Versehen Pleite gehen. Der Euro hat aber rechtliche Grundlagen, und die ändern sich nicht einfach so aus Versehen."
Rechtliche Basis ist die "Euro-Einführungsverordnung" von 1998. Sie ist, wie jede EU-Verordnung, unmittelbar geltendes Recht und macht den Euro zum gesetzlichen Zahlungsmittel. In Artikel 3 heißt es: "Der Euro tritt zum Umrechnungskurs an die Stelle der Währungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten." Griechenland ist seit 1. Januar 2001 Euro-Mitgliedsstaat. Das ist ebenfalls in der Verordnung geregelt. Ohne eine Änderung der Verordnung gibt es kein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro.
Kann Griechenland einseitig aus dem Euro aussteigen?
Ein häufig genannter Weg würde über Artikel 50 des EU-Vertrags führen. Jedes EU-Mitglied "kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten", heißt es dort. Geregelt ist aber nur der Austritt aus der Europäischen Union, nicht aus dem Euro. Der Austritt aus dem Euro wäre dann aber die automatische Folge des Austritts aus der EU. Allerdings: das ist eine Lösung, die man nicht "mal eben so" in die Tat umsetzen kann. Ein einseitiger Austritt würde erst zwei Jahre nach einem offiziellen griechischen Austrittsbeschluss wirksam. Darauf weist der Passauer Professor Christoph Hermann hin.
Theoretisch könnte Griechenland sich auf "Allgemeine Regeln des Völkerrechts" berufen - und seine Euro-Mitgliedschaft zum Beispiel mit Hinweis auf einen "Staatsnotstand" kündigen. Allerdings ist fraglich, ob für das allgemeine Völkerrecht neben den EU-Verträgen und der Euro-Einführungsverordnung überhaupt noch Platz ist. Rechtssicherheit sähe jedenfalls anders aus.
Was wäre, wenn Griechenland einfach eine "Neue Drachme" einführt?
Die einseitige Einführung einer "Neuen Drachme" als offiziellem Zahlungsmittel wäre ein Verstoß gegen das Europarecht. Christoph Herrmann verweist darauf, dass die Euro-Staaten das Recht, ihre Währung frei festzulegen, durch den Euro-Beitritt aus der Hand gegeben und auf die Europäische Union übertragen haben. Das könne ein Staat nicht einfach einseitig ändern. Weil Europarecht grundsätzlich Vorrang vor nationalem Recht hat, könnten sich Gläubiger gegenüber Griechenland und gegenüber privaten Schuldnern in Griechenland weiterhin auf den Euro als gesetzliches Zahlungsmittel berufen.
Könnten die anderen Euro-Staaten Griechenland aus dem Euro-System "rausschmeißen"?
Das ist aus rechtlicher Sicht noch schwieriger als ein einseitig erklärter Austritt Griechenlands. Zwar verstößt Griechenland seit Jahren gegen die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, zum Beispiel gegen das Limit beim Haushaltsdefizit. Allerdings sind die Sanktionen für einen solchen Verstoß klar geregelt. Der "Rauschmiss" aus der Eurozone gehört nicht dazu.
Bei Verstößen gegen die Grundwerte der EU - hierzu gehören Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte - können dem betroffenen Staat verschiedene Rechte entzogen werden. Aber selbst bei solchen schweren Verstößen ist kein "Rausschmiss" aus der EU vorgesehen.
Ein Ausschluss Griechenlands aus dem Euroraum ist wohl nur auf Grundlage der allgemeinen Regeln des Völkerrechts denkbar. So regelt die "Wiener Vertragsrechtskonvention" in Artikel 60 das Recht, völkerrechtliche Verträge gegenüber einem Staat zu beenden, der eine "erhebliche Vertragsverletzung" begangen hat. Dabei stellt sich aber die Frage, ob neben den detaillierten Regeln in den europäischen Verträgen überhaupt auf diese allgemeinen Vorschriften des Völkerrechts zugrückgegriffen werden kann. Prof. Christoph Herrmann hält den Sanktionskatalog für Vertragsverstöße im Europarecht für abschließend und verweist darauf, dass die gegebenen Sanktionsmöglichkeiten bisher noch nicht ausgeschöpft wurden. Dennoch dürfte diese Variante wohl eine gewisse Rolle spielen, falls es bei der Suche nach einer rechtlichen Lösung ernst wird.
Wäre ein Euro-Austritt rechtlich möglich, wenn Griechenland und die Euro-Staaten sich darüber einig sind?
Am ehesten dürfte ein Euro-Austritt Griechenlands funktionieren, wenn er im Einvernehmen zwischen allen Beteiligten angegangen wird, also Griechenland, den anderen Euro-Ländern und der EU. Nur dann dürfte es auch schnell genug gehen mit der Umstellung von Euro auf eine mögliche neue Währung. Rechtlich kompliziert und mit Unsicherheiten behaftet wäre aber auch dieser Weg.
Der Europarechtler Christoph Herrmann weist auf folgende Möglichkeit hin, bezeichnet sie aber gleichzeitig als "rechtliche Akrobatik". Man könnte die Vorschrift aus den EU-Verträgen als Rechtsgrundlage nehmen, die - mit bestimmten Abstimmungsregeln - den Beitritt zum Euro regelt (Art.140 Absatz II und III AEUV), und sie gleichzeitig auch als Rechtsgrundlage für das genaue Gegenteil nehmen, also den Austritt. Rechtlich würde man das einen "actus contrarius" nennen. Griechenland würde dann währungsrechtlich in den Stand vor 2001 zurückversetzt. Parallel müsste das Land dann die notwendigen Rechtsakte erlassen, um eine neue Währung einzuführen und diese auch tatsächlich in Verkehr bringen. Auch diese Lösung dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen, betont Herrmann.
Welches Fazit kann man ziehen?
Klare rechtliche Regeln für einen Euro-Austritt gibt es nicht. Die zu erwartenden rechtlichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten sind groß und ohne historisches Vorbild. Ein Euro-Austritt im Einvernehmen aller Beteiligten dürfte der einzige Weg sein, um eine tragbare rechtliche Lösung zu finden.