Nach Credit-Suisse-Notrettung Markt für "CoCo-Bonds" in Aufruhr
Mit der Notübernahme durch die UBS sind sogenannte CoCo-Bonds der Credit Suisse über das Wochenende wertlos geworden. Was sind das für Anleihen und welche Folgen hat ihr Ausfall?
Das rigorose Vorgehen der Schweizer Aufseher bei der Notrettung der Großbank Credit Suisse konnte die Finanzmärkte insgesamt beruhigen. Ein Teilmarkt befindet sich seither jedoch in Aufruhr. Es handelt sich um den noch recht jungen Markt für so genannte Additional-Tier-1-Anleihen, griffiger auch "CoCo-Bonds" genannt.
Die Credit Suisse hatte solche AT1-Anleihen im Volumen von 15,8 Milliarden Schweizer Franken ausgegeben. Diese waren am Wochenende von der Schweizer Finanzaufsicht Finma per Federstrich für wertlos erklärt worden.
Neues Instrument der Risiko-Verteilung
Es war ein Donnerschlag für den insgesamt rund 250 Milliarden Euro schweren Markt. Dennoch sind AT1-Anleihen weniger ein neuer Krisenherd, als ein neuartiges Instrument der Risiko-Verteilung. Sie wurden nach der Finanzkrise 2007/2008 entwickelt, um Banken krisenfester zu machen.
Mit der Ausgabe dieser Anleihen können die Institute Kapital aufnehmen, das fast so gut wie Eigenkapital ist und zum "zusätzlichen Kernkapital" ("Additional Tier 1") gezählt wird. Das stärkt die Bilanzen und hilft den Banken bei der Erfüllung der gestiegenen Eigenkapital-Anforderungen. Das zusätzliche Kapital wirkt dabei wie ein Risikopuffer. Denn CoCo-Bonds sind eine besondere Art der sogenannten Wandelanleihen ("Contingent Convertibles"), die zwingend in Aktien umgewandelt oder abgeschrieben werden, wenn die Kennzahlen einer Bank unter bestimmte Schwellen fallen.
Steuerzahler soll weniger Lasten tragen
Durch die mögliche Zwangsumwandlung in Eigenkapital wird die Krisenfestigkeit der Banken gestärkt - allerdings auf Kosten der Anleihegläubiger, die im Krisenfall schlechter gestellt werden, wenn sie durch die Umwandlung zu Aktionären werden. Da sie gegenüber anderen Anleihegläubigern in jedem Fall im Rang nachstehen, werden diese Papiere auch zu den Nachranganleihen gezählt.
Im Extremfall des Zusammenbruchs einer Bank kann es zu einer Totalabschreibung des Wertes kommen. Das bedeutet auch, dass ein Teil der Rettungskosten von den Steuerzahlern hin zu den Anleiheinvestoren verlagert wird.
Der Markt ist gelähmt
Einem Großteil der Gläubiger dürfte dieses enorme Risiko nicht bewusst gewesen sein - insbesondere Privatanlegern, die auf der Suche nach höheren Renditen auf die neue Anlageklasse gesetzt hatten. Zwar hat es bereits einmal eine Totalabschreibung von AT1-Anleihen gegeben, als 2017 die spanische Banco Popular von der Banco Santander übernommen wurde. Damals gingen allerdings auch die Aktionäre leer aus. Im Fall der Credit Suisse wurden dagegen erstmals die Gläubiger einer nachrangigen Anleihe schlechter als die Aktionäre gestellt.
Dieser Präzedenzfall stürzte den AT1-Markt in heftige Turbulenzen. Während sich die deutschen Banken beeilten zu erklären, dass sie keine oder fast keine AT1-Anleihen der Credit Suisse halten, sackten ihre eigenen AT1-Emissionen und die anderer europäischer Institute am Montag deutlich ab. Auch die Fondsgesellschaften DWS, Union Investment und Deka betonten, dass sie keine oder nur marginale Anteile dieser Emissionen in ihren Fonds halten. Ein börsennotierter AT1-Anleihenfonds (ETF) von Invesco stürzte dagegen um bis zu 14 Prozent ab.
Die Allianz-Fondstochter Pimco büßte mit den AT1-Papieren der Credit Suisse angeblich 340 Millionen Dollar ein. Der angesehene US-Anleiheninvestor soll diese Verluste aber durch die Kursgewinne seiner normalen Credit-Suisse-Anleihen ausgeglichen haben, die im Zuge der Zwangsfusion mit der UBS deutlich an Wert gewannen. Diese Möglichkeit, das Risiko abzufangen, dürften viele andere Investoren nicht gehabt haben.
Auch wenn sich die Lage heute beruhigte und erste Anleger wieder einstiegen, wiegt der Vertrauensverlust in den Markt schwer. Neuemissionen sind unter diesen Umständen derzeit undenkbar - eine mögliche Belastung für den Finanzsektor. Das Vorgehen der Finma werde die Refinanzierung und die Kapitalkosten der europäischen Institute allgemein verteuern, kommentierten die JPMorgan-Analysten Kian Abouhossein und Amit Ranjan. Die meisten Banken hätten den Anlegern zuletzt zwischen acht und zehn Prozent Zins für solche Anleihen geboten. Nun dürften die Käufer aber eine höhere Risikoprämie verlangen, so die Analysten. Damit steige der Kostendruck, und die Finanzierungsstruktur der Banken werde insgesamt kritischer beäugt werden.
Finanzaufseher besorgt
Die dramatische Entwicklung hat auch die Finanzinstitutionen der EU auf den Plan gerufen. Die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB), die Banken-Abwicklungsbehörde der EU und die EU-Bankenaufsicht EBA betonten noch am Montag, echtes Eigenkapital werde normalerweise zuerst zum Ausgleich von Verlusten herangezogen. AT1-Kapital sei erst an der Reihe, wenn das Eigenkapital aufgebraucht sei. Das werde man auch bei künftigen Kriseninterventionen so halten, hieß es in bewusster Abgrenzung zum Vorgehen in der Schweiz.
"Additional Tier 1 ist und bleibt ein wichtiger Baustein der Kapitalstruktur europäischer Banken", betonten die Aufseher in der gemeinsamen Mitteilung.
Investoren sind empört
Viele Investoren reagierten denn auch empört auf das Vorgehen der Finma. "Bizarre, merkwürdige Parallelwelt, in der Aktieninhaber etwas bekommen und Besitzer von Hybdridanleihen leer ausgehen", schimpfte John Likos vom Anleihenberater BondAdviser. "Die Hierarchie des Kapitals unverfroren einfach umzudrehen, wird Folgen haben", schrieb Neil Wilson, Chefanalyst des Online-Brokers Markets.com.
Sogar der ehemalige portugiesische EZB-Vizechef Vitor Constancio twitterte, die Schweizer Behörden hätten einen Fehler gemacht, der Konsequenzen haben und möglicherweise viele Gerichtsverfahren nach sich ziehen werde. Tatsächlich sollen die ersten Investoren Klagen gegen die Schweiz vorbereiten.