Christine Lagarde
analyse

EZB-Ratssitzung Schlechte Stimmung im Eurotower

Stand: 07.03.2024 08:15 Uhr

In Frankfurt tagt der EZB-Rat. In der Belegschaft gibt es derzeit viel Kritik an Zentralbankchefin Lagarde. Die gibt sich unbeeindruckt und konzentriert sich auf den Kampf gegen die Inflation.

Das gefiel der Chefin gar nicht: Schmallippig und spürbar genervt konterte Christine Lagarde auf der vergangenen Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank unbequeme Journalisten-Fragen. Darin wurde sie auf heftige Kritik der EZB-Belegschaft an ihrer Führungsrolle angesprochen. "Ich bin extrem stolz auf das Personal der EZB", so die Präsidentin. Und "Ich bin sehr stolz darauf und fühle mich geehrt, die Institution zu führen."

"Es gibt in der Tat viel Druck", Klaus-Rainer Jackisch, HR, zu erwarteter EZB-Entscheidung

tagesschau24, 07.03.2024 09:00 Uhr

Tatsächlich ist die jüngste Umfrage der Gewerkschaft IPSO, die große Teile der rund 4.500 EZB-Beschäftigten vertritt, wenig schmeichelhaft für Lagarde. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten beurteilen die ersten vier Jahre ihrer Amtszeit als "ziemlich schwach". Fast 54 Prozent der Belegschaft halten Lagarde demnach für die falsche Person an der Spitze der EZB. Auch das EZB-Direktorium, darunter unter anderem Vize-Präsident Louis de Guindos und die Deutsche Isabel Schnabel, bekam sein Fett weg: Fast 60 Prozent der befragten Mitarbeiter hat kein Vertrauen in das Gremium.

Zu viel Einmischung in die Politik?

Vor allem Lagarde, die selbst keine gelernte Notenbankerin ist, wird vorgeworfen, dass sie sich zu stark in politische und gesellschaftliche Debatten einmische. Die hätten nichts mit der Kernaufgabe der EZB zu tun, nämlich Preisstabilität zu sichern. Ihre Vorgänger Mario Draghi und Jean-Claude Trichet waren in der Belegschaft hingegen sehr angesehen und bekamen bei ihrem Abschied Traumnoten, obwohl es auch während ihrer Amtszeit immer mal wieder Differenzen gab.

Christine Lagarde

Hat einen harten Kurs gegen die Inflation versprochen: EZB-Präsidentin Christine Lagarde

Lagarde verweist auf eigene aktuelle Umfragen der EZB, wonach 80 Prozent der Belegschaft dort gerne arbeiten. Interne Kritik gibt es indes auch am niederländischen Direktoriums-Mitglieds Frank Elderson. Der 53-Jährige soll laut der Brüsseler Wochenzeitung Politico in einem Meeting gesagt haben, er wolle keine EZB-Mitarbeiter mehr haben, die nicht akzeptierten, dass der Klimawandel Einfluss auf die Geldpolitik habe.

Entscheidung über weitere Zinspolitik

In dieser aufgeheizten Atmosphäre trifft sich der EZB-Rat, um über die weitere Leitzins-Entwicklung zu entscheiden. Knatsch ist zwischen den 26 Mitgliedern des Gremiums zwar nicht angesagt - eitel Sonnenschein aber auch nicht. Denn die Meinungen, wie es mit der Geldpolitik weitergehen soll, gehen wieder zunehmend auseinander.

Das liegt an der sprunghaften Entwicklung der Inflation, die immer wieder überraschende Wendungen nimmt und damit schwer zu analysieren ist. Im Februar sank die Inflationsrate in der Eurozone auf 2,6 Prozent - gegenüber den 8,5 Prozent vor einem Jahr ein beachtlicher Erfolg. In Deutschland sank sie nach heimischer Berechnungsweise auf 2,5 Prozent - der niedrigste Wert seit Juni 2021.

Doch so richtig Freude will nicht aufkommen. Denn in vielen Bereichen hält sich die Teuerung weiterhin hartnäckig: Bei Lebensmitteln zum Beispiel ist die Inflationsrate zwar gesunken, liegt aber weiterhin bei hohen 4,5 Prozent. Das betrifft ausgerechnet den Bereich der Teuerung, mit der die Verbraucher jeden Tag aufs Neue konfrontiert werden. Das wiederum ist ein wesentlicher Grund, warum die Kaufzurückhaltung in vielen Ländern Europas und vor allem in Deutschland so ausgeprägt ist und den Konsum schwächt.

Manchmal rätseln die Währungshüter

Bei Dienstleistungen gibt es kaum Bewegung. Dort liegt die Inflationsrate weitgehend unverändert bei 3,9 Prozent. Ursache ist, dass Handwerker und andere Dienstleister wegen der hohen Nachfrage mittlerweile Stundenlöhne nehmen, von denen normale Angestellte oder Arbeiter nur träumen können. Auch der Tourismus-Sektor heizt mit hohen Preisen weiter die Teuerung an.

Etwas merkwürdig auch die Entwicklung in einigen Mitgliedsstaaten: In Lettland, wo die Inflationsrate vor einem Jahr noch bei über 20 Prozent lag, sank sie überraschend auf nur noch 0,7 Prozent. In Kroatien, Estland und Österreich ist sie weiterhin sehr hoch und liegt teilweise deutlich über vier Prozent. In Italien und Finnland schwankt sie hingegen nur so um ein Prozent.

Zum Teil liegt das an unterschiedlichen Abhängigkeiten bei der Energieversorgung und unterschiedlichen Preisentwicklungen im Lebensmittel-Sektor. In einigen Ländern hat die Regierung durch geeignete Maßnahmen die Inflation gedrückt - etwa durch direkte Hilfen oder Steuersenkungen. Dennoch lassen sich nicht alle Entwicklungen eindeutig erklären. All das macht die Inflationsdynamik wenig greifbar und lässt manchen Währungshüter rätseln.

Inflationsschub durch hohe Tarifabschlüsse?

Was der EZB aber am meisten Sorge macht, sind die hohen Tarifabschlüsse in der Eurozone. Sie entwickeln sich zunehmend zum neuen Inflationsschub. Angetrieben durch knallharte und kompromisslose Streitigkeiten mit vielen Streiks - etwa bei Bahn und Lufthansa in Deutschland, Austrian Airlines in Österreich oder Iberia und der Bahn RENFE in Spanien - ziehen die Löhne kräftig an. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres stiegen sie laut EZB in der Eurozone um 4,5 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als zuvor, aber viel zu hoch, um das angepeilte Ziel von zwei Prozent Gesamtinflation bald zu erreichen.

Im laufenden ersten Halbjahr dürfte der Lohndruck etwas nachlassen, um danach wieder in Richtung fünf Prozent anzuziehen, schätzen die Währungshüter. Gewerkschaften und Arbeitnehmer können leicht mit harten Bandagen verhandeln. Denn die Arbeitslosigkeit in Europa ist auf einem historischen Tiefstand und der Fachkräftemangel mittlerweile auch beim kleinsten Betrieb angekommen.

Negative Folgen für die Konjunktur

Angesichts dieser teils widersprüchlichen Entwicklungen wollen viele Ratsmitglieder von einer Zinssenkung derzeit noch nichts wissen. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel und Österreichs Notenbank-Chef Robert Holznagel führen die Riege der Hardliner an, die zunächst weitere Belege für einen nachhaltigen Rückgang des Inflationsdrucks sehen wollen. Auf dieser Linie argumentiert auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie hat der Bevölkerung versprochen, nicht nachzulassen, bevor der Inflation "das Genick gebrochen" sei.

Insbesondere in Portugal und Italien, wo die Teuerung relativ niedrig ist, sieht man das ganz anders. Deren Notenbankchefs argumentieren schon seit längerem, dass es bald Zinssenkungen geben sollte. Sie haben dabei auch die negativen Folgen der hohen Zinsen für die Wirtschaft im Auge.

In der Tat macht vielen Unternehmen das hohe Zinsniveau immer mehr zu schaffen - an Investitionen, die teure Kredite nach sich ziehen, ist da kaum zu denken. Besonders heftig zeigen sich die Folgen in der Bauwirtschaft. "Wer heute baut, geht bankrott", warnte etwa jüngst Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) in Deutschland. Wegen der hohen Zinsen und der gestiegenen Kosten erwartet das Expertengremium in den kommenden Monaten einen weiteren Einbruch im Wohnungsbau.

Große Probleme in der Baubranche

Schon heute merken vor allem Projektentwickler und Baufirmen die Misere. Ein Unternehmen nach dem anderen meldet Insolvenz an. Nach den Jahren der Euphorie und des ungezügelten Höhenflugs sind es vor allem die gestiegenen Zinsen, die die Baubranche in die schwerste Krise seit Jahrzehnten katapultiert haben.

Bei dieser Gemengelage ist auf der EZB-Ratssitzung diese Woche erst einmal Abwarten angesagt. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die Währungshüter diese Woche nichts unternehmen und die Zinsen unverändert bleiben. Umso mehr wartet man auf Äußerungen von Christine Lagarde, wie es in den kommenden Monaten weitergeht. Wenn schon das eigene Personal mit der Chefin hadert, muss sie wenigstens die Bevölkerung davon überzeugen, dass sie die Inflation wieder auf die versprochenen zwei Prozent herunterbringen kann.