Zinswende angekündigt Ökonomen kritisieren EZB-Vorgehen
Viele Ökonomen werfen der EZB auch nach der Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Juli vor, zu zögerlich zu handeln. Sie kritisieren das Vorgehen als zu spät und als unzureichend.
Aus der deutschen Wirtschaft und von Ökonomen kommt Kritik am Tempo der Europäischen Zentralbank (EZB) bei den geplanten Zinserhöhungen. So bewertet der Präsident des Münchener ifo-Instituts, Clemens Fuest, das Signal zwar als "einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt". Es sei nicht akzeptabel, dass die Notenbank bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihekäufen festgehalten habe.
Die EZB hatte zuvor für Juli die erste Zinsanhebung seit elf Jahren signalisiert, die mit 0,25 Prozentpunkten aber klein ausfallen soll. Im September soll dann nachgelegt werden - womöglich mit einem stärkeren Anstieg.
Leidet die Glaubwürdigkeit der EZB?
Die Regierungen der Euro-Länder müssten nun aufpassen, sagte Fuest auf der Jahresversammlung des ifo-Instituts. Zusätzliche Staatsschulden seien angesichts der schon durch Corona stark erhöhten Schuldenstände sowie der aktuellen Angebotsverknappung und Zinssteigerungen gefährlich. Wenn die Zeit des billigen Geldes und der Anleihekäufe durch die EZB vorbei sei, müssten die Staaten entscheiden, welche Ausgaben wirklich nötig seien.
"Dass die EZB von einer Zinsanhebung abgesehen hat und diese erst für die nächsten Monate ankündigt, erhöht die geldpolitischen Risiken unnötig", kritisiert auch Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel. Die verkündeten Schritte seien ein überfälliger Anfang, "aber eben auch nur das". Die EZB müsse dringend weitere Schritte unternehmen, um die Geldpolitik zu normalisieren, denn ihre Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel.
"Ihr zentraler Auftrag ist die Geldwertstabilität, und der sollte sie sich jetzt ausschließlich widmen", so der IfW-Experte. Verfestige sich der Eindruck, dass sie sich vor allem von den Nöten der Finanzpolitik in einigen Euro-Ländern treiben lässt, drohe sich die Erwartung einer weiter steigenden Inflation zu verselbstständigen.
Inflation könnte sich dauerhaft festsetzen
Auch Commerzbank-Ökonom Jörg Krämer sieht das als großes Problem der EZB: "Durch dieses Zögern riskiert sie, dass die Inflationserwartungen der Bürger weiter steigen und sich die hohe Inflation dauerhaft festsetzt." Stattdessen solle die EZB ihren Einlagensatz spätestens auf der nächsten Sitzung im Juli um einen halben Prozentpunkt erhöhen. 25 Basispunkte würden der massiven Inflation nicht gerecht.
Für Friedrich Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, kommt das Ende der Wertpapierkäufe zudem mindestens drei Monate zu spät. "Eine zu geringe Inflation hat die EZB immer rasch und mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft. Der jetzt viel zu hohen Inflation begegnet Europas Notenbank hingegen sehr langsam", so der Ökonom.
Bleibt der Einlagezins bis zum Herbst negativ?
Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft halten das Vorgehen der EZB für zu zögerlich. "Zu wenig und zu spät", sagte etwa der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, der Nachrichtenagentur Reuters zu der angekündigten Zinswende. "Anstelle der notwendigen, deutlichen und schnellen Zinserhöhung, läuft die EZB der Zinsentwicklung weiter hinterher". Zudem schade die zögerliche Entscheidung dem Euro. Je später und je sachter die ersten Zinsschritte werden, umso heftiger werde die dann nötige Korrektur ausfallen müssen.
Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Christian Ossig, betonte: "Dieser Zeitplan ist immer noch zu zögerlich." Das fundamental geänderte Preisumfeld rechtfertige einen negativen Leitzins bis in den Herbst hinein nicht mehr, sagte er mit Blick auf den Einlagezins von aktuell minus 0,5 Prozent, den Banken für bei der EZB geparktes Geld zahlen müssen. Dieser bliebe damit zumindest bis September im negativen Bereich.
Die EZB sollte deshalb im Juli und damit noch vor der Sommerpause ihre Negativzinspolitik mit einer Erhöhung um einen halben Prozentpunkt in einem Schritt beenden. "Das wäre ein deutliches und dringend notwendiges Signal an Verbraucher, Unternehmen und Tarifparteien", sagte Ossig.
DIHK befürwortet maßvolle Zinserhöhung
Kritik kommt auch von den Familienunternehmern. "Durch ihre völlige Fehleinschätzung der Inflation ist die EZB nun selbst eine Getriebene und muss jetzt ein deutliches Zeichen setzen, dass sie die Preisstabilität überhaupt noch ernst nimmt", sagte Hauptgeschäftsführer Albrecht von der Hagen. "Von klug eingeleiteter geldpolitischer Wende kann nicht die Rede sein." Schon lange habe die EZB ihre eigentliche Aufgabe - stabile Preise zu gewährleisten - aus den Augen verloren. Die Geldflut der EZB gelte als einer der wesentlichen Treiber der Kerninflation. "Die Kosten für Bürger und Unternehmen sind bereits unverantwortlich hoch", sagte von der Hagen.
Für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht die Entscheidung dagegen insgesamt in die richtige Richtung. Die EZB könne zwar mit ihrem Handeln nicht die importierten Inflationstreiber in Form der dramatisch gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise komplett einfangen. "Jedoch würde ohne Zinswende der Euro gegenüber dem Dollar noch schwächer werden", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Dann würde importiere Energie sogar noch teurer werden als ohnehin schon."
Die EZB stehe insgesamt vor keiner leichten Aufgabe. "Es ist aus Sicht der Wirtschaft wichtig, mit einer maßvollen Zinserhöhung gegen die Erwartung einer sich hartnäckig festsetzenden Inflation anzugehen und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern", so der DIHK-Experte. Die Konjunktursignale seien derzeit aber so negativ, dass der Spielraum für Zinserhöhungen begrenzt sei.