Zweiter Verlusttag in Folge Frühjahrsblues an den Börsen
An den Aktienmärkten gibt’s in der Karwoche bisher nur Magerkost: DAX, Dow & Co schlossen heute den zweiten Tag hintereinander im Minus. Die US-Inflationsdaten sorgten nur kurz für Beruhigung.
8,5 Prozent Inflation - solch hohe Teuerungsraten haben manche Anleger an der Wall Street in New York noch nie erlebt. Tatsächlich sind die Verbraucherpreise so stark gestiegen wie seit 41 Jahren nicht mehr. Zwar war dieses Niveau von den meisten Experten erwartet worden.
Doch nun dürfte der Zinsdruck auf die Fed wieder zunehmen. Die US-Notenbank wird angesichts solch dramatisch steigender Verbraucherpreise nicht umhinkommen, bald erneut an der Zinsschraube zu drehen. An den Geldmärkten wird momentan eine Wahrscheinlichkeit von 93,5 Prozent gesehen, dass es eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte bei der Sitzung der US-Notenbank im nächsten Monat geben wird.
Die entscheidende Frage sei nun, ob die Inflation ihren Höhepunkt erreicht habe und wenn ja, mit welchem Tempo sie zurückgehe, meinte Analyst Matt Peron vom Vermögensverwalter Janus Henderson. Nach Ansicht von Volkswirt Bastian Hepperle von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe ist der Gipfel wohl noch nicht erreicht.
Da einige Anleger eine noch höhere Inflation befürchtet hatten, herrschte zunächst Erleichterung an den Aktienmärkten. Im Laufe des Abends drehte dann aber die Stimmung. Der Dow Jones kippte ins Minus und schloss 0,26 Prozent niedriger - aus Furcht vor rasant steigenden Zinsen. Der US-Blue-Chip-Index markierte ein neues Tief seit Mitte März. Auch der breiter gefasste S&P 500 sowie die Nasdaq verzeichneten Verluste.
Am deutschen Aktienmarkt sah es zeitweise ganz düster aus. Am Vormittag sackte der DAX auf unter 14.000 Punkte und fiel auf den tiefsten Stand seit vier Wochen, erholte sich dann aber wieder im Sog der freundlichen Eröffnung an der Wall Street. Der deutsche Leitindex ging mit einem Minus von 0,5 Prozent aus dem Handel. "Inflationsangst, Ukraine-Krieg und Lockdowns in China - dieser Angstcocktail lastet auf den Aktienmärkten", hieß es in einem Kommentar. Kein Anleger könne die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs abschätzen.
Auch beim Zinsentscheid der EZB an diesem Donnerstag dürfte die Inflation das bestimmende Thema sein. Ein negativer Vorbote sind die Großhandelspreise für den Monat März, die das Statistische Bundesamt am Morgen veröffentlichte. Sie stiegen um durchschnittlich 22,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Ein größeres Plus gab es seit Beginn der Berechnungen 1962 noch nie. Allein von Februar auf März zogen die Großhandelspreise um 6,9 Prozent an - auch das ist ein Rekordanstieg.
Die Entwicklung gilt als Indikator für künftige Inflationstendenzen, da der Großhandel das Scharnier zwischen Herstellern und Endkunden darstellt und höhere Kosten am Ende meist bei den Verbrauchern landen. Nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute werden die Preise in diesem Jahr um durchschnittlich mehr als sechs Prozent anziehen. Erst 2023 wird eine spürbare Entspannung erwartet. Dann soll die Inflationsrate mit knapp drei Prozent weniger als halb so hoch ausfallen wie in diesem Jahr. Im März ist die Teuerungsrate wegen steigender Energie- und Lebensmittelpreise auf 7,3 Prozent geklettert, den höchsten Stand seit Herbst 1981.
Dass Finanzmarktakteure die Lage kritisch einschätzen, zeigt auch der aktuelle ZEW-Index. Das Stimmungsbarometer fiel im April gegenüber dem Vormonat um 1,7 Punkte auf minus 41,0 Punkte, wie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mitteilte. Im März war der Indikator - belastet durch den Krieg in der Ukraine - mit Rekordtempo eingebrochen. "Die Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die aktuelle wirtschaftliche Lage schlecht ist und sich noch weiter verschlechtern wird", kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach.
Mit Sorge blicken Anleger auf die Ölpreise, die sich wieder verteuert haben. Der Preis für die Nordsee-Sorte Brent zog um über sieben Prozent auf 105,45 Dollar pro Barrel an. Rohstoff-Experten verwiesen auf die neuesten Entwicklungen in China. Nach dem strikten Corona-Lockdown in der Wirtschafts- und Finanzmetropole Shanghai durften erstmals seit mehr als zwei Wochen einige Menschen wieder ihre Wohnungen verlassen. Die ersten Lockerungen der scharfen Restriktionen milderten auch die Nachfragesorgen am Rohstoffmarkt.
Nach wie vor erwarten Börsianer aber weitere Schwankungen: "Der Ölmarkt ist immer noch anfällig für einen großen Schock, wenn russische Energie sanktioniert wird, und dieses Risiko bleibt auf dem Tisch", sagte Edward Moya, Marktanalyst beim Brokerhaus Oanda. Die OPEC senkte ihre Wachstumserwartungen für die weltweite Ölnachfrage für 2022 aufgrund der Virusverbreitung in China, des Ukraine-Krieges und der steigenden Inflation. Zudem warnte sie, dass sie möglicherweise ausfallende Mengen russischen Öls nicht ausgleichen könne.
Der Bitcoin und andere Kryptowährungen standen erneut unter Druck. Der Kurs der Digitalwährung fiel auf der Handelsplattform Bitfinex um rund fünf Prozent bis auf 39.223 US-Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit knapp einem Monat. Andere Digitalwerte gaben ebenfalls nach.
Die steigenden Zinsen lasten auf zinslosen Anlagen wie Kryptowerten. Zum anderen bewegen sich die als besonders riskant geltenden Digitaldevisen häufig mit der Kursentwicklung an den Aktienbörsen.
Am deutschen Aktienmarkt kamen vor allem die Aktien der beiden deutschen Großbanken unter die Räder. Nach dem Ausstieg eines Großinvestors brachen die Titel der Deutschen Bank um 9,4 Prozent ein. Die Aktien der Commerzbank fielen um 8,5 Prozent.
Ein Großinvestor hatte bei der Commerzbank und der Deutschen Bank seinen Anteil verringert. Bei erstgenanntem Institut handele es sich um rund 72,5 Millionen Papiere und bei letztgenanntem um rund 116 Millionen Anteilscheine. Der Name des Verkäufers wurde bislang nicht genannt.
Die europaweiten Corona-Lockerungen stimmen die britische Fluggesellschaft Easyjet optimistisch für eine weitere Belebung des Reiseverkehrs. Im März habe die Airline bereits 80 Prozent ihrer Vor-Corona-Kapazität angeboten, teilte der Ryanair-Konkurrent mit. "Wir bleiben zuversichtlich bei unseren Plänen, dass wir diesen Sommer ein Flugangebot nahe des 2019-Niveaus erreichen werden", sagte Easyjet-Chef Johan Lundgren. Allerdings buchten Kunden nach wie vor kurzfristiger vor dem geplanten Abflug.
Das Hamburger Biotechunternehmen Evotec hat im vergangenen Jahr dank höherer Meilensteinzahlungen aus seinen Partnerschaften kräftig zugelegt. Der Umsatz stieg 2021 um 23 Prozent auf 618 Millionen Euro. Evotec profitierte von mehr als doppelt so hohen Meilensteinzahlungen im Vergleich zum Vorjahr sowie von einem guten Basisgeschäft. Gegenwind kam dagegen von negativen Wechselkurseffekten. Das bereinigte Betriebsergebnis (Ebitda) erhöhte sich trotz höherer Forschungsausgaben um ein Prozent auf gut 107 Millionen Euro.
Dermapharm will nach einem Gewinnsprung im vergangenen Jahr deutlich mehr an seine Aktionäre ausschütten. Die Dividende soll auf 2,17 Euro je Aktie steigen. Ein Jahr zuvor hatte der Arzneimittelhersteller 0,88 Euro gezahlt. Der Gewinn legte von 85,9 Millionen Euro im Vorjahr auf 208,9 Millionen zu.
Die Shop-Apotheke expandiert mit einem Zukauf. Sie übernimmt sämtliche Unternehmensanteile an First A. Das 2021 als Start-up in Berlin gegründete Unternehmen ist einer der führenden Quick-Commerce-Apotheken-Lieferdienste und bietet Medikamentenlieferung innerhalb von 30 Minuten in fünf deutschen Großstädten. Das Unternehmen solle auch künftig eigenständig agieren. Den Deal lässt sich die Shop-Apotheke einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.
Die Berliner Gastro-Bestellplattform Choco gehört nach ihrer jüngsten Finanzierungsrunde zu den "Einhörnern" unter den deutschen Startups. Es seien 102 Millionen Euro für das Wachstum eingesammelt worden, teilte das 2018 von Daniel Khachab und Julian Hammer gegründete Unternehmen. Damit liege die Firmenbewertung bei 1,2 Milliarden Euro und damit über der Milliardengrenze, ab der man im Jargon der Investmentbanker von einem Einhorn spricht.
Renault erwägt, seine E-Auto-Aktivitäten separat an die Börse zu bringen. Laut Konzernchef Luca de Meo werde dies aktuell geprüft, sagte er am Abend vor der Presse. Die Auftrennung der Geschäfte mit Verbrennungs- und E-Autos könnten Nissan oder langfristige Investoren interessieren.
Der französische Luxusgüterkonzern LVMH mit den Marken Louis Vuitton, Hublot und Givenchy ist gut ins Jahr gestartet. Die Erlöse legten vor allem dank des Geschäfts mit Mode und Lederwaren um 29 Prozent auf 18 Milliarden Euro zu. Dies war deutlich mehr als Analysten im Schnitt erwartet hatten. Auf Tradegate stieg die LVMH-Aktie um 1,7 Prozent zu. Zu den Folgen des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland für das LVMH-Geschäft äußerte sich der Konzern nur vage: LVMH bleibe im aktuellen geopolitischen Kontext "wachsam und zuversichtlich".
Der finnische Netzwerkausrüster Nokia will wegen der russischen Invasion in die Ukraine keine Geschäfte mehr in Russland machen. Nokia ziehe sich aus dem Markt zurück, sagte Firmenchef Pekka Lundmark. Das sei die einzige Option. "Wir sehen einfach keine Möglichkeit, in dem Land unter den derzeitigen Umständen weiterzumachen", sagte Lundmark. Damit geht der Konzern einen Schritt weiter als der schwedische Konkurrent Ericsson, der angekündigt hat, alle Aktivitäten in Russland auf unbestimmte Zeit auszusetzen.