Händler an der NYSE
Marktbericht

Wall Street im Aufwind US-Anleger wittern Morgenluft

Stand: 21.10.2022 22:17 Uhr

Anders als in Europa haben die US-Anleger zum Wochenschluss bei Aktien kräftig zugegriffen. Überwiegend robuste Firmenbilanzen und ein neue Zinshoffnungen schoben die Börse deutlich an.

Ganz im Gegensatz zum zuletzt richtungslosen Handel in Europa zeigte die Wall Street zum Wochenschluss ein anderes Bild. Überwiegend positiv aufgenommene Firmenergebnisse, aber auch neue Zinshoffnungen trieben den Leitindex Dow Jones am Ende deutlich um 2,47 Prozent nach oben und sogar wieder über die Marke von 31.000 Punkten. Der Schlussstand lag bei 31.082 Zählern.

Auch die anderen großen Indizes zogen mit. Die technologielastige Nasdaq rückte ebenfalls deutlich um 2,31 Prozent vor, der marktbreite S&P-500-Index lag zum Schluss um 2,37 Prozent im Plus bei 3752 Punkten.

Hoffnungen auf einen künftig nicht mehr ganz so steilen Zinspfad der Fed stützten die Kurse von Aktien und Anleihen. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen (Treasuries) ging im Zuge dessen zurück und lag bei 4,21 Prozent. Auslöser war ein Bericht im "Wall Street Journal", demzufolge wollen einige Mitglieder der US-Notenbank einen Gang herunterschalten.

Das sind elektrisierende Nachrichten, auf die die Börsenbullen (Käufer) schon lange warten. "Ich würde sagen, dass die Fed jetzt versucht, das Ausmaß zu lockern oder ihre Zinserhöhungen zu verlangsamen, was ihre Preisstabilitätskampagne unterstreicht", sagte Joe Brusuelas, Chefökonom beim Beratungsunternehmen RSM.

Händler erwarten aber immer noch eine vierte Erhöhung um 75 Basispunkte bei der Sitzung der US-Zentralbank im November. Spekulationen auf einen anhaltend aggressiven Zinserhöhungszyklus lasten seit geraumer Zeit auf den Kursen von Aktien und Anleihen.

"Es besteht immer noch große Unsicherheit über die Wirtschaft, die Inflation und wo die Zinssätze enden werden, und nichts davon ist für eine starke nachhaltige Erholung der Aktienmärkte förderlich", sagte Stratege Craig Erlam vom Handelshaus Oanda.

Ansonsten stand der Tag weiter im Zeichen der laufende Berichtssaison der Unternehmen, die so manche Überraschung bereithielt. Pharmariese Pfizer aus dem Dow Jones, Impfpartner von BionTech, gehörte mit einem Kurssprung von 4,8 Prozent zu den großen Gewinnern.

Die angepeilte Vervierfachung der Preise für den Covid-19-Impfstoff in den USA von Pfizer ließ die Anleger auf klingende Kassen des Pharmariesen spekulieren. Analyst Mohit Bansal von Wells Fargo rechnet mit 2,5 bis drei Milliarden Dollar mehr Umsatz im Jahr. Auch Biontech-Papiere legten kräftig um über 11 Prozent zu.

Im Energiesektor hellten überraschend gute Quartalsergebnisse von Schlumberger die Stimmung auf. Die Aktien gewannen mehr als 10,3 Prozent. Im Nachgang besser als erwartet ausgefallener Quartalszahlen griffen Anleger bei Dow zu. Die Aktien des Chemiekonzerns gewannen 4,2 Prozent. Auch Finanzwerte wie JP Morgan und Goldman Sachs legten in dieser Größenordnung zu.

Ein schleppendes Umsatzwachstum von Snap vergraulte hingegen die Anleger. Die Aktien des Snapchat-Betreibers brachen um 28 Prozent ein. Im Sog dessen verloren die Papiere von Online-Plattformen wie Twitter und Pinterest bis zu 7,5 Prozent.

Die Zahlen von Snap deuteten auf fallende Werbeumsätze hin, schrieben die Analysten von der Investmentbank Piper Sandler. Dies sei ein schlechtes Omen für Firmen, die ebenfalls auf diese Einnahmen angewiesen sind. Die Titel des YouTube-Betreibers Alphabet und der Facebook-Mutter Meta mussten Federn lassen.

Abwärts ging es auch für American Express, trotz operativer Zuwächse. Allerdings grenzte das Amex-Papier seine Verluste im Verlauf deutlich ein und schloss letztlich 1,67 Prozent leichter bei 140,04 Dollar. Was nicht gut ankam war, dass das Kreditkartenunternehmen größere Rückstellungen gebildet hat, um sich auf mögliche Zahlungsausfälle vorzubereiten, wenn sich ein Wirtschaftsabschwung abzeichnet.

Zum Wochenschluss herrschte Ernüchterung an der Börse. Denn nach einem starken Wochenbeginn konnte der Markt im weiteren Wochenverlauf nicht an diese Avancen anknüpfen, von Trendwende daher keine Spur. Der DAX schloss bei 12.729 Punkten um 0,29 Prozent leichter und verzeichnete damit den dritten Verlusttag in Folge. Trotzdem bleibt ein Wochenplus von rund 2,3 Prozent.

"Nach den kleinen Hoffnungszeichen zu Beginn der Woche ist der Markt wieder in seinem derzeit leider normalen Fahrwasser angekommen", schrieben zu Wochenschluss die Experten des Bankhauses Metzler.

Die "Normalität" bedeutet derzeit, dass die Märkte unter massiven Zins- und Rezessionsängsten leiden, die zuletzt durch anziehende Rentenrenditen noch befeuert wurden.

Zumal die Märkte fest mit weiteren Zinserhöhungen durch die Notenbanken rechnen. Am kommenden Donnerstag dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) um weitere 75 Basispunkte erhöhen, und auch die US-Notenbank Federal Reserve ist mit ihrem Zinszyklus noch nicht am Ende.

Update Wirtschaft vom 21.10.2022

Dorothee Holz, HR, tagesschau24

Apropos Rezession: Eine erneute Gewinnwarnung des Sportartikelkonzerns Adidas rückte diese Sorge wieder in das Blickfeld der Anleger. Die anhaltende Flaute in China, der Rückzug aus Russland und eine Rabattschlacht mit Weltmarktführer Nike fordern ihren Tribut und schickten die Aktie an das DAX-Ende. Das Papier brach um rund neun Prozent ein und notiert mittlerweile nur noch knapp über 100 Euro. Binnen Jahresfrist hat sich die Aktie damit fast gedrittelt.

Konkret werde der Gewinn aus dem fortgeführten Geschäft in diesem Jahr nur noch bei 500 Millionen Euro liegen, teilte die Nummer zwei auf dem Weltmarkt gestern nach XETRA-Schluss mit. Das wäre ein Rückgang um zwei Drittel gegenüber dem Vorjahr (1,49 Milliarden). Bis zur Jahresmitte hatte Adidas noch auf einen Gewinnanstieg auf 1,8 Milliarden gehofft, danach immerhin noch auf 1,3 Milliarden.

Das Adidas-Desaster ist ein schlechtes Omen, bleibt doch die aktuelle Berichtssaison mitentscheidend über die künftige Richtung am Aktienmarkt: Es sei Gutes wie Schlechtes zu erwarten, schreiben die Fachleute der DZ Bank in ihrem Wochenausblick:

"Anleger erhoffen mehr Klarheit über die Auswirkungen einer abkühlenden Konjunkturdynamik sowie gestiegener Input- und Energiepreise auf die Margen der Unternehmen insbesondere in Bereichen des verarbeitenden Gewerbes sowie denen, die von einer Zurückhaltung beim Konsum betroffen wären."

Aber es bieten sich durchaus Kurschancen: "Aufgrund des bereits vorhandenen Pessimismus dürften negative Überraschungen allerdings weniger hart mit Kursrücksetzern bestraft werden als positive Überraschungen mit Kurssteigerungen belohnt werden könnten", lautet die Einschätzung der DZ Bank.

Die Preise für ein Barrel (159 Liter) Öl der Nordseesorte Brent oder der Sorte WTI bewegten sich bis zum Abend kaum. Der Ölpreis dürfte im Spannungsfeld zwischen Nachfragesorgen und knappem Angebot in der kommenden Woche auf der Stelle treten, lautet die Einschätzung der Experten der Commerzbank.  

Tendenziell lastet weiterhin die Sorge wegen der abflauenden Weltwirtschaft auf den Ölpreisen. Aus diesem Grund hat Nordsee-Öl seit Anfang Juni etwa ein Drittel an Wert verloren. Belastet haben unter anderem die hohe Inflation und stark steigende Zinsen, die sich immer stärker zu einer Bremse für die konjunkturelle Entwicklung entwickelten.

Der Eurokurs zog am Abend mit den neuesten Zinsspekulationen noch an, im US-Handel werden derzeit 0,9860 Dollar bezahlt. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzte den Referenzkurs auf 0,9730 (Donnerstag: 0,9811) Dollar fest.

Wichtige Wirtschaftsdaten indes blieben eher rar. Eine Ausnahme bildete das Verbrauchervertrauen der Eurozone, das sich im Oktober überraschend etwas aufhellte. Der Indikator legte gegenüber dem Vormonat um 1,2 Punkte auf minus 27,6 Zähler zu, nachdem er im September auf den tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gerutscht war. Am Devisenmarkt gingen von der Meldung allerdings keine größeren Impulse aus.

Die Zerstörungen durch Hurrikan "Ian" in Florida kosten den weltgrößten Rückversicherer Munich Re voraussichtlich eine Milliardensumme. Der Vorstand schätzt die Belastung auf etwa 1,6 Milliarden Euro. Das ist noch mehr als beim Branchenzweiten Swiss Re aus Zürich, der seinen Schaden am Dienstag auf 1,3 Milliarden US-Dollar (gut 1,3 Milliarden Euro) beziffert hatte.

Anders als die Swiss Re hält der Münchner Konzern jedoch an seinem Gewinnziel von 3,3 Milliarden Euro für 2022 fest. Ob er es erreicht, hängt jedoch von positiven Sondereffekten bei der Kapitalanlage ab, die der Vorstand derzeit erwartet. Die zuletzt gebeutelte Munich-Re-Aktie setzte sich nach den Nachrichten vom Freitag an die Spitze des DAX. In deren Sog legte auch das Papier von Konkurrent Hannover Rück zu.

Beim französischen Kosmetikkonzern L'Oreal haben die Geschäfte im dritten Quartal weiter kräftig zugelegt. Der Umsatz stieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auch infolge des schwachen Euro um 19,7 Prozent auf knapp 9,6 Milliarden Euro. Währungseffekte und Veränderungen im Geschäftszuschnitt herausgerechnet, belief sich das Wachstum auf vergleichbarer Basis auf 9,1 Prozent.

Wegen anhaltender Chip-Knappheit erwägt Toyota, das Produktionsziel von 9,7 Millionen Fahrzeugen für das Ende März auslaufende Geschäftsjahr 2022/23 zu senken. Im kommenden Monat sollen elf Produktionslinien in acht inländischen Werken stillgelegt werden, was sich auf die Produktion einer Vielzahl von Fahrzeugen auswirke. Im kommenden Monat wolle der Branchenprimus weltweit etwa 800.000 Fahrzeuge ausliefern. Die Auslieferungen lägen damit etwa 100.000 Einheiten unter dem durchschnittlichen monatlichen Produktionsplan für September bis November, den Toyota Ende September bekanntgegeben hatte.

Der harsche Wettbewerb auf dem US-Markt setzt dem Mobilfunkanbieter Verizon weiter zu. Nur dank eines leichten Überhanges bei Firmenkunden steigerte das Unternehmen aus dem Dow Jones-Index die Zahl der Netto-Neuanschlüsse im Mobilfunk um 8000. Damit schaffte Verizon nicht einmal die ohnehin niedrig gehaltenen Analystenschätzungen.

Wie in den vergangenen Monaten kehrten auch dieses Mal wieder Hunderttausende Verizon den Rücken zu und schauten sich bei Konkurrenten wie der Telekom-Tochter T-Mobile US und AT&T um, die mit satten Rabatten und besserem Service werben. Bereits am Vortag hatte AT&T die Zahl von 708.000 Neu-Mobilfunkkunden veröffentlicht und damit die Prognosen übertroffen. T-Mobile US folgt dann kommende Woche.

Der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton weitet seinen juristischen Feldzug gegen Tech-Konzerne mit einer neuen Klage gegen Google aus. Er wirft dem Internet-Riesen vor, biometrische Profile von Personen ohne deren Zustimmung zu erstellen. Damit habe Google gegen ein texanisches Datenschutz-Gesetz verstoßen, heißt es in der Klage. Es geht sowohl um Gesichts- als auch um Stimmenerkennung.

Paxton hatte im Februar bereits mit ähnlicher Begründung den Facebook-Konzern Meta wegen einer früheren Funktion verklagt, bei der Nutzer automatisch auf Fotos erkannt wurden. Eine Klage im Bundesstaat Illinois, wo es ebenfalls ein Gesetz zum Schutz biometrischer Daten gibt, legte Facebook im Jahr 2020 mit der Zahlung von 650 Millionen Dollar bei. Google stimmte dort einer 100 Millionen Dollar schweren Vergleichszahlung zu. Google wies die Vorwürfe zurück.

Die US-Regierung erwägt informierten Kreisen zufolge, einige Geschäfte des Starunternehmers Elon Musk einer Prüfung wegen nationaler Sicherheitsaspekte zu unterziehen. Dazu soll auch die geplante Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter gehören, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Freitag unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete.

Das Satelliten-Internetnetzwerk Starlink von Musks Raumfahrt-Firma SpaceX sei ebenfalls darunter. Offenbar sind die US-Behörden besorgt, weil Musk - wie zuletzt angedroht - die Finanzierung des Starlink-Netzes für die Ukraine stoppen könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. Oktober 2022 um 12:00 Uhr.