Händler an der New Yorker Börse
Marktbericht

Zinssorgen sinken, Aktienkurse steigen Erholungsrally an den Börsen

Stand: 26.05.2022 22:12 Uhr

An den Börsen schwinden die Zinssorgen. Die schwächelnde US-Wirtschaft könnte die Fed von aggressiveren Zinserhöhen abhalten, hoffen die Anleger. Die Aktienkurse erholten sich deshalb an Himmelfahrt kräftig.

"Sell in May... and go away" (Verkaufe im Mai und gehe raus aus Aktien!) - Wer sich an diese alte Börsenweisheit in diesem Jahr bisher gehalten hat, lag teilweise richtig. Seit Anfang Mai haben die Kurse an der Wall Street nachgegeben. Vor allem Tech-Aktien erlitten teils schwere Verluste.

Nun aber könnte sich die Stimmung drehen. In den letzten zwei Handelstagen haben sich die US-Börse spürbar von den jüngsten Rückschlägen erholt. Alleine am heutigen Donnerstag zog der Dow Jones um 1,6 Prozent an und sprang auf über 32.600 Punkte. Noch größer waren die Kursgewinne bei den schwer gebeutelten Technologiewerten. Der Nasdaq-Index schnellte um gut 2,8 Prozent nach oben.

Denn die Angst vor massiven Zinserhöhungsschritten der Fed lässt allmählich nach. In ihren Protokollen der letzten Sitzung signalisierte die US-Notenbank behutsame Zinsanhebungen von jeweils einem halben Prozentpunkt in den kommenden Monaten. "Anleger sind offenbar erleichtert, dass die Fed keine aggressiveren Erhöhungen angedeutet hat, obwohl die Inflation hoch bleibt", sagte Stuart Cole, Chef-Volkswirt des Brokerhauses Equiti Capital.

Zudem könnte die drohende Rezession in den USA die Fed von einer strafferen Geldpolitik abhalten. Die im ersten Quartal noch stärker als erwartet geschrumpfte US-Wirtschaft wertet Thomas Hayes, Manager beim Vermögensverwalter Great Hill, als Zeichen, dass die Währungshüter in einigen Monaten das Tempo ihrer Zinserhöhungen reduzieren könnten. "Die Zahlen deuten darauf hin, dass das Wachstum nachlässt, die Nachfrage nachlässt und vielleicht sogar die Inflation nachlässt." Laut einer zweiten Schätzung ist die US-Wirtschaft im ersten Quartal etwas deutlicher als bislang angenommen geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel annualisiert um 1,5 Prozent. In einer ersten Schätzung war ein Rückgang von 1,4 Prozent ermittelt worden.

Für einen weiteren Lichtblick sorgten heute erfreuliche Zahlen und Ausblicke von US-Einzelhändlern. So übertraf die Kaufhauskette Macy’s beim Gewinn und bei der Jahresprognose die Erwartungen. Außerdem hoben die beiden Discounter Dollar General und Dollar Tree ihre Umsatzziele für das laufende Jahr an. Wegen der Inflation müssen viele Verbraucher jeden Dollar zwei Mal umdrehen, sagten Experten. Inzwischen kauften auch viele derjenigen, die Billig-Anbieter bisher gemieden hätten, dort ein. Die Aktien der Discounter verteuerten sich um bis zu 21 Prozent. Auch der Kurs von Macy’s schafften ein Kursplus von zeitweise fast 18 Prozent. In der vergangenen Woche hatten die Einzelhändler Wal-Mart und Target mit enttäuschenden Zahlen die Anleger vergrault.

Im Sog der starken Wall Street verzeichnete der Dax an Christi Himmelfahrt die größten Tagesgewinne seit zwei Wochen. Der deutsche Leitindex kletterte um 1,6 Prozent auf gut 14.231 Punkte nach oben. Allerdings waren feiertagsbedingt die Umsätze heute relativ dünn. Ob der deutsche Leitindex die Kraft hat, nachhaltig aus dem seit Januar andauernden Abwärtstrend auszubrechen, bezweifeln Charttechniker.

Die revidierten BIP-Daten und die Fed-Protokolle drückten etwas den US-Dollar. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, blieb mit fast 102 Punkten nur knapp über seinem Vier-Wochen-Tief vom Dienstag. Im Gegenzug verteuerte sich der Euro. Die Gemeinschaftswährung stieg auf über 1,07 Dollar.

Die russische Zentralbank hat den Leitzins um drei Prozentpunkte auf elf Prozent gesenkt. Das gaben die Währungshüter auf einer außerordentlichen Sitzung bekannt. Nach dem Zinsentscheid erklärte die Zentralbank, die Rahmenbedingungen für die russische Wirtschaft, also die Sanktionen, blieben "herausfordernd" und "behindern die wirtschaftliche Aktivität deutlich". Die russischen Behörden versuchen derzeit, den Kurs des Rubel zu stabilisieren, nachdem die Währung trotz des Ukraine-Konflikts auf ein Siebenjahres-Hoch gestiegen war. Die Zins-Sitzung der Zentralbank war eigentlich erst für den 10. Juni geplant gewesen.

Die türkische Notenbank hat dagegen den Leitzins trotz einer extrem hohen Inflation nicht angetastet und belässt ihn bei 14 Prozent. Seit Januar halten die Währungshüter den Zins stabil. Der Leitzins liegt deutlich unter der sehr hohen Inflationsrate. Die Verbraucherpreise waren im April um fast 70 Prozent zum Vorjahr gestiegen.

Die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee verteuerte sich um rund 2,6 Prozent auf 116,81 Dollar je Barrel (159 Liter). Das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht, sagte Analyst Tamas Varga vom Brokerhaus PVM. Die Sommerfahrsaison in den USA und ein EU-Embargo russischer Öllieferungen stünden vor der Tür. Kupfer verbilligte sich dagegen um bis zu ein Prozent auf 9277 Dollar je Tonne. Die Lockdowns in China schüren weiter Sorgen um eine Rezession und eine abnehmende Kupfer-Nachfrage. China ist der weltgrößte Abnehmer dieses Industriemetalls.

Besonders gefragt im DAX waren heute die zuletzt arg gebeutelten Aktien der Corona-Krisen-Gewinner Zalando, Hellofresh und Delivery Hero. Sie stiegen um teils mehr als fünf Prozent. Mehr als ein weiterer Versuch der Bodenbildung auf tiefem Kursniveau sei das derzeit nicht, meinten Händler. Die Papiere von Bayer legten um 2,5 Prozent zu. Ein Analyst der Citigroup äußerte sich sehr optimistisch zu den Umsatzaussichten des Medikamentenkandidaten Asundexian.

Eine Kaufempfehlung von Goldman Sachs trieb die Aktien von Freenet um mehr als vier Prozent an. Die Investmenbank hat die Papiere des Mobilfunkanbieters von "Verkaufen" auf "Kaufen" hochgestuft. Freenet biete den Anlegern eine seltene Kombination aus Wachstum und hohen Ausschüttungen, erklärte Goldman Sachs.

Einige Papiere wurden am Donnerstag mit Dividendenabschlag gehandelt und wirken daher nur optisch schwach. Im MDax betraf dies die Chemiekonzerne Evonik und Lanxess sowie den Autovermieter Sixt, im SDax den Leasingspezialisten Grenke und die IT-Firma Secunet.

Aktionäre des Kurznachrichtendienstes haben Tesla-Chef Elon Musk verklagt. Sie werfen dem Milliardär vor, unberechtigterweise 156 Millionen Dollar gespart zu haben, weil er nicht rechtzeitig den Kauf von mehr als fünf Prozent von Twitter bis zum 14. März bekanntgegeben habe. Vielmehr habe Musk erst Anfang April mitgeteilt, dass er 9,2 Prozent des Unternehmens halte, heißt es in der Klageschrift, die bei einem Bundesgericht in Kalifornien eingereicht wurde. Da Musk zunächst von einem vergleichsweise niedrigen Preis profitiert habe, handele es sich um eine Form der Marktmanipulation.

Nvidia hat seine Anleger mit einem trüben Ausblick verschreckt. Die Papiere büßten 4,5 Prozent ein. Das Zahlenwerk des Entwicklers von Grafikprozessoren und Chipsätzen für Personal Computer, Server und Spielkonsolen sei im Auftaktquartal stark ausgefallen, aber der Ausblick für die Gaming-Sparte sei schwach gewesen, meinte ein JPMorgan-Analyst.

Die Apple-Aktien drehten nach einem schwachen Handelsstart ins Plus und gewanen rund zwei Prozent. Insidern zufolge zweifelt der iPhone-Hersteller am Anstieg der Verkaufszahlen für sein Smartphone im laufenden Jahr. Der Konzern habe seine Zulieferer für 2022 auf die Produktion von rund 220 Millionen der Smartphones eingestellt, was ungefähr dem Vorjahresniveau entspreche, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Sache vertraute Personen. Am Markt werde bislang mit rund 240 Millionen Stück gerechnet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 26. Mai 2022 um 17:50 Uhr.