Vor dem EZB-Entscheid Geldpolitik beherrscht das Geschehen
An den amerikanischen und europäischen Märkten war jeweils die Geldpolitik das bestimmende Thema. Allerdings in sehr unterschiedlichen Nuancen. Die Wall Street erholte sich kräftig.
Die Wall Street hat sich zur Wochenmitte kräftig von ihren jüngsten Verlusten erholt. Der Standardwerteindex Dow Jones erreichte mit einem Plus von 1,4 Prozent wieder in etwa den Stand von Ende August. Der am Abend veröffentlichte Konjunkturbericht der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) beflügelte die Kurse weiter. So trat die US-Wirtschaft nach Einschätzung der Fed im Juli und August unter dem Strich auf der Stelle. Die Nachfrage dürfte sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten abschwächen, hieß es weiter in dem so genannten "Beige Book".
Das Preisniveau sei insgesamt hoch geblieben, in neun Bezirken habe sich jedoch die Beschleunigung der Teuerung verringert, so die Fed. An der Wall Street wurde der Bericht insgesamt so aufgefasst, dass die Notenbank möglicherweise etwas Tempo aus ihrem aggressiven Straffungskurs herausnehmen könnte. Die besonders zinssensitiven Technologiewerte des Nasdaq 100 verteuerten sich sogar um 2,07 Prozent. Der nächste Zinsentscheid der Fed steht am 21. September an.
Ganz anders war die Stimmung noch am deutschen Markt, wo der DAX nur ein paar Punkte zulegen konnte. Vielleicht war es die Aussicht auf baldige Klarheit über den nächsten Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB), die dem deutschen Leitindex ein leichtes Plus von 0,35 Prozent bescherte.
Die meisten Experten erwarten, dass die EZB den Leitzins erstmals in ihrer Geschichte um einen großen Schritt von 0,75 Prozentpunkten erhöht. Am 21. Juli hatten die Währungshüter nach langem Zögern erstmals seit elf Jahren den Leitzins im Euroraum wieder angehoben, auf ein Niveau von 0,5 Prozent. Ökonomen halten ein deutlich höheres Zinsniveau für notwendig, um die Inflation wirksam zu bekämpfen.
Die deutschen Unternehmen haben ihre Produktion im Juli angesichts von Materialengpässen und hoher Energiepreise gedrosselt. Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 0,3 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Gleichzeitig warnte der Industrieverband BDI angesichts explodierender Energiekosten vor einer Pleitewelle. Viele Ökonomen fürchten, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr vor allem aufgrund der Energieknappheit in die Rezession fällt.
Die Wirtschaft in der Eurozone ist im Frühjahr noch etwas stärker gewachsen als bisher angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt im europäischen Währungsraum stieg zwischen April und Juni um 0,8 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistikamt Eurostat heute mitteilte. Zum Jahresanfang hatte die Wirtschaft in den Euroländern um 0,7 Prozent zugelegt. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen sowie anhaltende Lieferengpässe machen Firmen und Verbrauchern zu schaffen.
Der Euro, der schon von der morgen anstehenden Zinserhöhung der EZB gestützt worden war, schaffte es im Zuge der Veröffentlichung des Beige Book wieder bis an die Parität zum Dollar. Am späten Abend notierte die Gemeinschaftswährung bei 1,0003 Dollar.
Die Ölpreise standen ganz unter dem Eindruck der grassierenden Konjunktursorgen. Die Rohölsorte Brent aus der Nordsee fiel um 4,3 Prozent auf ein Acht-Monats-Tief von 88,40 Dollar. Der Preis für die US-Sorte WTI fiel erstmals seit Januar unter 85 Dollar pro Barrel. "Trotz einiger besser als erwarteter US-Dienstleistungsdaten sieht das globale Wachstum überhaupt nicht gut aus, und das ist ein Problem für die Rohölpreise", kommentierte Edward Moya vom Broker Oanda.
Eher stützend könnten sich dagegen die stockenden Verhandlungen um die Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran auswirken. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA erklärte heute, sie könne nicht "garantieren, dass das iranische Atomprogramm ausschließlich friedlich" sei. Der Iran habe weitaus mehr Uran angereichert als in dem Abkommen von 2015 vereinbart. Das könnte die Aussichten auf eine baldige Rückkehr des Landes an den internationalen Ölmarkt dämpfen.
In New York stand die Apple-Aktie im Fokus. Der Elektronikkonzern stellte bei seinem Produkt-Event neben einer größeren und robusteren Apple Watch Ultra vor allem technische Neuerungen seines iPhone 14 vor. Dazu gehört etwa die Möglichkeit, Notfall-Nachrichten per Satellit abzuschicken. "Die große Frage ist aber, wie viele Käufer es finden wird", sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. "Schließlich hat jeder mit steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Nicht viele werden mehr als 1000 Dollar auf den Tisch blättern wollen, während sie sich um steigende Hypothekenzinsen und Energie-Rechnungen Sorgen machen."
Die 258 Milliarden Dollar schwere Klage gegen Elon Musk wegen der angeblichen Manipulation des Kurses der Kryptowährung Dogecoin zieht immer weitere Kreise. Zuletzt haben sich sieben weitere Investoren dem Verfahren angeschlossen. Die Kläger werfen Musk vor, gemeinsam mit seinem Elektroautokonzern Tesla, der Raumfahrtfirma SpaceX und dem Tunnelbauer Boring Co ein Schneeballsystem aufgebaut zu haben. Sie hätten den Kurs der Cyber-Devise erst hochgetrieben und ihn dann abstürzen lassen. "Die Beschuldigten wussten seit 2019, dass Dogecoin keinen Wert hat, haben aber trotzdem für Dogecoin geworben, um von seinem Handel zu profitieren." Musk hatte sich über Twitter mehrfach positiv über Dogecoin geäußert und der als Parodie auf Bitcoin gestarteten Internet-Währung jeweils zu Kurssprüngen verholfen. Anfang Mai 2022 stürzte Dogecoin ab, nachdem der Tesla-Chef die Devise als Schwindel bezeichnet hatte.
Die weltweit zweitgrößte Kinokette Cineworld flüchtet unter den Schutz des US-Insolvenzrechts. Das hochverschuldete britische Unternehmen hat heute für sein Geschäft in den USA und Großbritannien ein Sanierungsverfahren nach "Chapter 11" angemeldet. Die 747 Cineworld-Kinos in zehn Ländern sollen geöffnet bleiben. Das Unternehmen mit 28.000 Mitarbeitern ächzt unter einem Schuldenberg von 8,9 Milliarden Dollar (Stand Ende 2021). Die Gläubiger stellten für die Sanierung und die Fortführung des Geschäfts knapp zwei Milliarden Dollar bereit. Sie dürften damit letztlich das operative Geschäft übernehmen. Cineworld warnte, die Aktionäre könnten fast leer ausgehen.
Im DAX gehörte die Deutsche-Bank-Aktie zu den größten Kursverlierern. Vorstandschef Christian Sewing warnte vor anstehenden Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft und die Banken. Eine Rezession in Deutschland sei nicht mehr abzuwenden, sagte er zum Auftakt des "Handelsblatt"-Bankengipfels. Für die Branche sei eine Konsolidierung notwendig. "Größe zählt im Bankgeschäft - und wenn wir nicht den Amerikanern das Feld überlassen wollen, muss Europa die Voraussetzungen für große Banken schaffen", so Sewing. Die Dominanz der US-Banken sei kein Naturgesetz.
Die Aktie von Siemens Energy verlor über drei Prozent. Der DAX-Rückkehrer hatte gestern Abend bekanntgegeben, den ersten Schritt zur Finanzierung der angekündigten Komplettübernahme von Siemens Gamesa getan zu haben. Siemens Energy hat sich 960 Millionen Euro mit einer Pflichtwandelanleihe beschafft. Insgesamt kostet die noch in diesem Jahr geplante Übernahme der restlichen 33 Prozent der spanischen Windkrafttochter gut vier Milliarden Euro.
Dank höherer Ziele für das Gesamtjahr waren die Papiere des Kohlefaserspezialisten SGL Group gefragt. SGL traut sich nun ein bereinigtes operatives Ergebnis (Ebitda) von 170 Millionen bis 190 Millionen Euro zu. Zuvor hatte das Unternehmen 130 bis 150 Millionen Euro in Aussicht gestellt.