Keine neuen Rekorde mehr Wall Street-Anleger drosseln das Tempo
Nach gemischt ausgefallenen Firmenbilanzen hat die Wall Street heute inne gehalten. In den Fokus rückte nach der jüngsten Tech-Rally auch die nächste Zinssitzung der Notenbank.
An der Wall Street ist die vom Technologie- und Chipsektor getriebene Rekordjagd der vergangenen Tage zum Stehen gekommen. Die Anleger drosselten deutlich das Tempo.
"Der Markt hat sich ziemlich verausgabt, und die Sorge ist, wie sehr er Zinssenkungen einkalkuliert hat und wie viele, und ob er enttäuscht sein wird, wenn diese Zinssenkungen nicht eintreten", sagte Robert Pavlik, Portfolio-Manager bei Dakota Wealth.
Gemischt ausgefallene Geschäftszahlen aus dem Standardwertesektor sorgten zudem für gedämpfte Stimmung nach der jüngsten KI-Euphorie bei den Tech-Aktien. Die führenden Indizes haben sich in moderaten Bandbreiten bewegt und schlossen letztlich uneinheitlich. Der Leitindex Dow Jones lag am Schluss des Tages leicht um 0,25 Prozent im Minus bei 37.905 Punkten. Der Index war gestern erstmals in seiner Geschichte über 38.000 Punkte gestiegen.
Alle Indizes bleiben trotz des Durchschnaufens heute aber auf hohem Niveau und knapp unter ihren erst gestern markierten neuen Allzeithochs. An der Technologiebörse Nasdaq ging es moderat um 0,43 Prozent nach oben, auch der marktbreite S&P-500-Index schloss 0,29 Prozent höher bei 4.864 Stellen. Der Index bleibt damit in Schlagweite seines gestrigen Rekordhochs bei 4.868 Punkten.
Neben der laufenden Berichtssaison rückt auch der anstehende Zinsentscheid der Notenbank Federal Reserve (Fed) am Monatsende in den Fokus der Investoren. Diese fragen sich schon lange, wann die Fed die Zinszügel lockern wird, sprich erste Zinssenkungen vornimmt. Hoffnungen, dies könnte schon im März geschehen, waren zuletzt aber gedämpft worden.
Die vorbörslich veröffentlichten Quartalszahlen und Ausblicke von General Electric und vom Dow-Jones-Mischkonzern 3M kamen bei den Anlegern nicht gut an. Aktien des Industriekonzerns GE erholten sich allerdings im Verlauf von ihren Anfangsverlusten etwas und schlossen ein Prozent leichter. 3M-Papiere kamen hingegen mit einem Minus von elf Prozent schwer unter die Räder. Vor allem der Ausblick gefiel den Anlegern nicht.
Nach Börsenschluss legte der Streamingdienst Netflix Geschäftszahlen vor, die positiv aufgenommen wurden. Die Aktie stieg in einer ersten Reaktion über fünf Prozent.
Der Erfolg von Serien wie "The Crown" und Filmen wie "The Killer" hat Netflix so viele Kunden zugetrieben wie noch nie. Im abgelaufenen Quartal wuchs die Zahl der Nutzer um 13,1 Millionen auf insgesamt 260 Millionen, teilte der Streamingdienst mit. Analysten hatten lediglich mit einem Plus von knapp neun Millionen gerechnet.
Dies verhalf dem US-Konzern zu einem überraschend deutlichen Anstieg des Umsatzes auf 8,8 Milliarden Dollar. Der Überschuss blieb mit 2,11 Dollar je Aktie dagegen hinter den erwarteten 2,22 Dollar zurück. Netflix machte negative Wechselkurseffekte im Volumen von 239 Millionen Dollar hierfür verantwortlich. Für das angelaufene Jahr stellte die Firma ein zweistelliges prozentuales Wachstum in Aussicht.
Auch der Pharma- und Medizintechnik-Konzern Johnson & Johnson aus dem Dow Jones öffnete seine Bücher. Johnson hat dabei 2023 von einem starken Medizintechnikgeschäft und der Abspaltung der Konsumgütersparte profitiert. Das Schlussquartal beendeten die US-Amerikaner auch dank eines überraschend starken Pharmageschäfts besser als von Analysten erwartet.
Bei der Vorlage der Bilanzzahlen bekräftigte das Management seine Prognosen für das neue Jahr, rechnet allerdings mit etwas geringeren Wachstumstempo als 2023. Die Anleger waren wenig begeistert, für die J&J-Aktie ging es 0,8 Prozent bergab.
Aktien des Pharma- und Konsumgüterkonzerns Procter & Gamble stiegen hingegen um 4,1 Prozent. Anlegern gefiel der im Quartal gestiegene Bruttogewinn, unterstützt durch sinkende Rohstoffkosten und Preiserhöhungen.
Unter dem Strich schrumpfte der auf die Aktionäre entfallende Gewinn um 12 Prozent auf 3,47 Milliarden Dollar. Der Konsumgüterkonzern begründete dies mit einer Wertminderung für Gillette-Produkte sowie höheren Restrukturierungskosten in nicht zum Kerngeschäft gehörenden Bereichen. Bereinigt um Sondereffekte kletterte das Ergebnis je Aktie (EPS) auch dank günstigerer Rohstoffe um 16 Prozent auf 1,84 Dollar. Das war mehr als Analysten erwartet hatten.
Der US-Telekomkonzern Verizon hat nach längerer Zeit ohne Kundenwachstum im Schlussquartal wieder zugelegt. Der US-Konkurrent von T-Mobile verzeichnete in den letzten drei Monaten des Jahres bei privaten Mobilfunkvertragskunden ein Plus von 318.000 Telefonanschlüssen, wie er heute in New York mitteilte.
Analysten hatten zwar mit einem Ende des Kundenschwunds gerechnet, aber nicht mit einem so großen Zustrom. Beim Ausblick erwartet der Dow-Jones-Konzern 2024 einen bereinigten Gewinn je Aktie von 4,50 bis 4,70 Dollar, was den Erwartungen im Mittel entsprach. Die im Dow Jones enthaltene Aktie legte um 6,7 Prozent deutlich zu.
Die Anleger am deutschen Aktienmarkt haben heute größere Risiken gemieden. Der Leitindex DAX konnte damit nicht an seine Gewinne des Vortages anknüpfen und schloss am Ende am Tagestief bei 16.627 Punkten, ein Abschlag von 0,34 Prozent. Das Tageshoch lag zur Eröffnung am Morgen bei 16.753 Punkten, konnte aber nicht lange gehalten werden. Besser hielt sich der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, der 0,35 Prozent zulegte auf 25.839 Punkte.
Zwei Tage vor dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) und inmitten einer Welle von Firmenbilanzen gingen die Anleger damit keine weiteren Risiken ein. Damit konnte der DAX die Vorlage starker US-Börsen nicht aufnehmen. Zumal deren jüngste Avancen primär vom Technologiesektor getragen wurden, der wiederum von der Fantasie um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) profitiert. Da können die Aktien auf den heimischen Kurszetteln nicht mithalten, sind doch die großen KI-Marktteilnehmer meist an der Wall Street beheimatet.
Die jüngste Euphorie in New York komme nur sehr bedingt hierzulande an, so Thomas Altmann, Portfoliomanager vom Vermögensverwalter QC Partners. "Die meisten warten aktuell lieber ab, welche Botschaften die EZB am Donnerstag bereithält."
Experten gehen davon aus, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde versuchen wird, die an den Börsen weit verbreiteten Erwartungen baldiger geldpolitischer Lockerungen zu dämpfen.
"Diejenigen, die bei der Sitzung am Donnerstag eine Kehrtwende in der Zinspolitik der EZB erwarten, dürften wahrscheinlich enttäuscht werden. Nach der jüngsten aggressiven Rhetorik und den Hinweisen von Präsidentin Lagarde in Davos auf die Möglichkeit einer Zinssenkung in diesem Sommer wird die EZB unserer Meinung nach diese Woche an ihrem Kurs festhalten und die Zinsen ab Juni um 25 oder sogar 50 Basispunkte senken, ganz im Einklang mit der Fed", sagte Claudia Fontanive-Wyss, Portfoliomanagerin bei Vontobel.
Der Euro schwächelte wie schon am Vortag auch heute. Zuletzt kostete die Gemeinschaftswährung im US-Handel 1,0854 Dollar und damit rund 0,25 Prozent weniger als gestern. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzte den Referenzkurs auf 1,0872 (Montag: 1,0890) Dollar fest. Am Devisenmarkt wurde die Euro-Schwäche mit der schlechteren Stimmung an den europäischen Aktienbörsen begründet. Der Dollar als Reservewährung erhielt dadurch etwas Auftrieb.
In Europa und den USA bleibt der Kalender an Wirtschaftsdaten relativ leer, wodurch ein Haupttreiber für den Devisenmarkt ausfällt. Geldpolitische Äußerungen aus der EZB sind ebensowenig zu erwarten wie aus der US-Zentralbank Federal Reserve, weil die vor Zinssitzungen übliche Schweigephase läuft.
Die Ölpreise hatten ihre Gewinne vom Vortag zunächst leicht ausgebaut, sind inzwischen aber wieder etwas zurückgefallen. Zuletzt kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent gut 0,3 Prozent weniger. Auftrieb erhielten die Erdölpreise zuletzt durch geopolitische Risiken. Am Rohölmarkt rückte der Gaza-Krieg wieder stärker in den Fokus. Die USA und Großbritannien haben mit Verbündeten erneut Stellungen der Huthi-Milizen im Jemen angegriffen.
Der durch seine spanische Windanlagen-Tochter Gamesa in Turbulenzen geratene Technologiekonzern Siemens Energy ist im ersten Quartal 2023/24 in die Gewinnzone zurückgekehrt. Das Ergebnis inklusive Veräußerungsgewinnen erreichte 1,878 Milliarden (Vorjahresquartal minus 384 Millionen) Euro, vor Sondereffekten ergab sich immer noch ein Gewinn von 208 (minus 282) Millionen Euro. Allerdings verschlechterte sich der Free Cashflow vor Steuern auf minus 283 von minus 58 Millionen Euro, was das Unternehmen am Abend nach Börsenschluss mit dem "erwartet hohen Mittelabfluss bei Siemens Gamesa" erklärte.
An seinen Prognosen für das Gesamtjahr (per Ende September) hielt der aus dem Siemens-Konzern hervorgegangene Hersteller von Energieanlagen fest: "Insgesamt sieht Siemens Energy ein weiterhin positives Marktumfeld." Das Unternehmen kämpft um die Ertragswende bei der hochdefizitären Tochter Gamesa und hat im Herbst ein massives Sparprogramm angekündigt.
Commerzbank-Chef Manfred Knof dämpft Spekulationen über ein Zusammengehen seines Instituts mit der Deutschen Bank. Auf die Frage, ob die Commerzbank erneut eine Fusion mit dem Branchenprimus in Deutschland ausloten könnte, sagte Knof am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters: "Nein, das ist nicht unser Thema. Das ist, glaube ich, immer eher ein Thema für Journalisten und Medien – aber nicht für uns."
Die beiden größten deutschen Banken hatten 2019 eine Fusion durchgespielt, diese dann aber abgesagt, um zunächst eigene Hausaufgaben zu erledigen. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing und der seit Anfang 2021 amtierende Knof haben zuletzt mit dem Abbau tausender Jobs und teilweise dem Schließen von hunderten Filialen versucht, ihre Banken jeweils wieder auf Kurs zu bringen. Knof hat in der Vergangenheit wiederholt betont, dass die Commerzbank auf eigenen Füßen gut klarkomme und die Unabhängigkeit des Instituts verdeutlicht.
Unter den Einzelwerten im DAX setzten Zalando ihre Erholungsrally nach den schweren Verlusten seit Jahresbeginn fort. Auch Siemens Energy machen Boden gut. Gefragt waren auch die im Leitindex enthaltenen VW-Vorzugspapiere, die als Tagessieger durchs Ziel gingen. Händler verwiesen auf VW-Aussagen aus einer Telefonkonferenz mit Analysten, denen zufolge die jüngste Geschäftsentwicklung offensichtlich Grund zu Optimismus gibt.
Die zuletzt gut gelaufenen Technologietitel wie SAP und Infineon konsolidierten. Auch die T-Aktie, die gestern auf den höchsten Stand seit August 2001 gestiegen ist, gab leicht nach. Das Analysehaus Jefferies hat die Einstufung für SAP anlässlich der anstehenden Jahreszahlen auf "Hold" mit einem Kursziel von 135 Euro belassen.
Der italienische Nutzfahrzeughersteller Iveco will Batterien aus Elektrofahrzeugen von BASF recyceln lassen. Der Chemiekonzern soll den gesamten Recyclingprozess für Lithium-Ionen-Batterien organisieren, die in den elektrischen Fahrzeugen von Iveco eingesetzt werden, so BASF. Finanzielle Details wurden nicht genannt. Der Chemiekonzern hatte im vergangenen Jahr in Schwarzheide ein Zentrum für Batteriematerialproduktion und Batterierecycling eröffnet - nach eigenen Angaben das erste dieser Art in Europa.
Die EU-Kommission hat ein Prüfverfahren zum Einstieg der Lufthansa bei der italienischen Fluggesellschaft ITA Airways angekündigt. Der Zusammenschluss könnte den Wettbewerb "auf einigen Kurz- und Langstrecken verringern", teilte die Kommission heute zur Begründung mit. Die Lufthansa habe bislang keine ausreichenden Maßnahmen vorgelegt, um die Bedenken der EU-Wettbewerbshüter auszuräumen.
Der Zusammenschluss dürfe nicht "zu höheren Preisen, geringeren Kapazitäten oder einer geringeren Qualität" im Luftverkehr führen, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Bislang seien die Lufthansa und ITA Airways "auf bestimmten von Italien ausgehenden Strecken starke und enge Wettbewerber", hieß es in der Mitteilung der Kommission weiter. Die Lufthansa versprach eine enge Zusammenarbeit und setzt auf einen baldigen Abschluss des Verfahrens.
Lufthansa-Aktien blieben im MDAX zwar im Plus, gaben einen Teil ihrer Gewinne vom Vormittag aber wieder ab. Sie profitierten zuvor von guten Vorgaben aus der Branche. So hatte der LH-Partner United Airlines am Abend einen besser als erwarteten Gewinnausblick für das Geschäftsjahr 2024 abgegeben. Allerdings rechnet die US-Fluggesellschaft für das laufende Quartal mit einem deutlichen Verlust, weil Dutzende Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 9 nach einem Unfall am Boden bleiben müssen.
Den größten Kurssprung seit mehr als einem halben Jahr verschafft ein positiver Analystenkommentar Hellofresh. Der Kochbox-Versender schoss um mehr als 12 Prozent an die Spitze des MDAX. Die Analysten von Morgan Stanley stuften die Aktie auf "Overweight" hoch und verwiesen dabei auf das Wachstumspotenzial des Geschäfts mit Fertiggerichten.
Der Telekomausrüster Ericsson ist im vergangenen Jahr tief in die roten Zahlen gerutscht. Die Schweden hatten vor allem im Netzwerkgeschäft mit der geringen Investitionsbereitschaft ihrer Kunden bei 5G-Bauteilen zu kämpfen. Zwar lief das Schlussquartal besser als von Experten erwartet, doch sieht der Konzern weiter wenig Licht am Horizont: 2024 dürften die Absatzmärkte mit Ausnahme von China weiter schrumpfen. Unter dem Strich fiel ein Verlust von 26,1 Milliarden Kronen an, der unter anderem durch Abschreibungen und steigende Kosten zusammenkam. 2022 hatte Ericsson noch 19,1 Milliarden Kronen Gewinn verbucht.