Richtungslose US-Börsen Der Wall Street fehlt der Kompass
China-Sorgen und die unklare Zinspolitik der Notenbank lasteten zum Wochenschluss auch auf den US-Aktienmärkten. Die Wall Street hangelte sich ohne Impulse durch den Tag. Der DAX gab erneut nach.
Wie schon in Europa standen heute auch die US-Aktienbörsen ganz unter dem Eindruck einer weiter ungewissen Zinspolitik der Notenbank Federal Reserve (Fed), aber auch der deutlichen Abschwächung der chinesischen Wirtschaft. Vor allem vom heiß gelaufenen chinesischen Immobilienmarkt kamen erneut schlechte Nachrichten.
"Investoren schauen sich die besser als erwartet ausgefallenen Wirtschaftsdaten an und sagen, dass die Fed wahrscheinlich noch nicht restriktiv genug vorgeht", sagte Art Hogan, Chefmarktstratege beim Vermögensverwalter B Riley Wealth. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende der geldpolitischen Straffung der US-Notenbank Fed flaute in den letzten Tagen ab. Das hatte die Anleiherenditen zuletzt hochgetrieben.
Hogan beschreibt genau das als Problem der Wall Street - die Wirtschaftsdaten bleiben robust, was einerseits zwar Rezessionssorgen dämpft, aber nicht für schnelle Erfolge der Fed im Kampf gegen die Inflation spricht. Mit dieser schwierigen Konstellation kann die Börse derzeit nicht wirklich etwas anfangen.
Im Tagesgeschäft haben sich die Anleger nach den Eröffnungsverlusten auf niedrigerem Niveau heute wieder etwas vorgewagt. Zu mehr hat es aber nicht gereicht. Der Leitindex Dow Jones, der sich den ganzen Tag relativ stabil behauptete, schloss am Ende bei genau 34.500 Punkten um 0,1 Prozent höher.
Die zinssensitive Technologiebörse Nasdaq blieb dagegen am Ende um 0,2 Prozent im Minus, konnte damit aber anfänglich stärkere Verluste eingrenzen. Der Auswahlindex Nasdaq 100 fiel 0,14 Prozent. Der marktbreite S&P-500-Index, der sowohl Standardwerte als auch Technologieaktien umfasst, schloss bei 4369 Punkten nahezu unverändert. Nennenswerte Konjunkturdaten gab es heute nicht, auch aus dem Unternehmenssektor blieb die Nachrichtenlage überschaubar.
Wer zum Wochenschluss auf eine Gegenbewegung des DAX gehofft hat, wurde heute enttäuscht. Der deutsche Leitindex sackte weiter ab auf 15.574 Punkte, ein Tagesverlust von 0,65 Prozent. Allerdings konnte der DAX die Verluste am späten Nachmittag noch eingrenzen, nachdem er im Tagestief schon bis auf 15.473 Punkten gefallen war. Dabei folgte er einer sich etwas stabilisierenden Wall Street. Auf Wochensicht ergibt sich damit ein Minus von rund 1,6 Prozent an. Der MDAX der mittelgroßen Unternehmen fiel um 1,33 Prozent auf 27.153 Punkte.
Die nächste technische Halteline im DAX ist nun das Juli-Tief bei 15.456 Punkten, nachdem der Index gestern die Marke von 15.700 Punkten gerissen und aus einer Seitwärtsbewegung zwischen 15.700 und 16.000 Punkten nach unten ausgebrochen war.
"Die Luft aus dem Aktienmarkt scheint raus und die Rally-Pause seit Monatsanfang noch nicht beendet", schrieb Analyst Konstantin Oldenburger vom Handelshaus CMC Markets.
Zudem könnten die Zinsen entgegen den Hoffnungen der Anleger für längere Zeit hoch bleiben. "Es gibt eine bemerkenswerte Neubewertung der längerfristigen Zinssätze", sagte der Stratege Jean Boivin vom Blackrock Investment Institute. Der Markt komme mehr und mehr zu der Ansicht, dass es trotz der jüngsten Fortschritte einen langfristigen Inflationsdruck geben werde. Die gesamtwirtschaftliche Ungewissheit werde in den nächsten Jahren bestehen bleiben, und das erfordere eine größere Entschädigung für den Besitz langlaufender Anleihen in Form von hohen Zinsen.
Hintergrund der derzeit schlechten Marktstimmung sind Sorgen um das Wirtschaftswachstum in China nach zuletzt schwachen Wirtschaftsdaten, aber besonders auch der unklare Zinskurs der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die am Mittwoch veröffentlichten Protokolle der jüngsten Zinssitzung der Fed hatten die Märkte diesbezüglich im Unklaren gelassen, was seitdem global für Verunsicherung sorgt.
In Sachen China haben Probleme bei den Immobilienriesen Evergrande und Country Garden zuletzt ein Zittern um den Zustand der chinesischen Wirtschaft ausgelöst. Am Montag dürfte Chinas Notenbank versuchen, die maue Konjunktur mit der Senkung von Schlüsselzinsen anzukurbeln. Evergrande hat heute in den USA Gläubigerschutz beantragt und damit weiteres Öl ins Feuer gegossen.
Die Anleger sorgen sich zudem um eine Abkühlung der Weltwirtschaft. Die Gefahr für die globalen Kapitalmärkte gehe weniger von direkten Ansteckungsgefahren vom Immobilien- und Schattenbankensektor aus, sagt Björn Jesch, globaler Investmentchef bei der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. Vielmehr liege sie in der Geschwindigkeit, mit der die Stimmung gedreht habe: "Galt China zu Jahresanfang noch als Hoffnungsträger für das globale Wachstum dank Wiedereröffnungsphantasie, gilt das Land nun als Belastungsfaktor."
Gleichzeitig geht das Rätselraten um den künftigen geldpolitischen Kurs der US-Notenbank Fed weiter. Dabei steht vor allem die alljährliche Konferenz der Währungshüter in Jackson Hole ab kommendem Donnerstag im Rampenlicht. "Ob diese aber in den Rocky Mountains zu neuen Erkenntnissen über den Zinserhöhungspfad kommen, ist ungewiss", schreiben die Experten der Helaba.
Das dreitägige Treffen der Notenbanker im US-Bundesstaat Wyoming steht dieses Jahr unter dem Motto "Strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft". Investoren erhoffen sich einen Fingerzeig, wie es mit der Zinspolitik in den USA weitergeht. Im vorigen Jahr hatte Fed-Chef Jerome Powell das vom Fed-Bezirk Kansas City ausgerichtete Forum genutzt, um einen langen Kampf gegen die Inflation auszurufen.
Die Ölpreise sind heute gefallen. Die Verluste hielten sich aber in Grenzen, nachdem die Notierungen zuvor im Verlauf der Woche stärker gesunken waren. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Oktober kostete zuletzt 83,84 US-Dollar. Das waren 30 Cent weniger als am Vortag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur September-Lieferung fiel um 15 Cent auf 80,24 Dollar.
Mit den aktuellen Verlusten steuert der Ölmarkt auf die erste Woche mit Preisrückgängen seit Juni zu. Vor allem die Sorge vor einer weiter schwachen konjunkturellen Entwicklung in China hatte die Ölpreise zuletzt belastet.
"Wir denken allerdings nicht, dass die Ölpreise nun nachhaltig auf dem Rückzug sind", kommentierten Rohstoffexperten der Commerzbank. Ihrer Einschätzung nach ist der Ölmarkt aufgrund kräftiger Produktionskürzungen der wichtigen Förderstaaten Saudi-Arabien und Russland im dritten Quartal deutlich unterversorgt. "Wir rechnen deshalb in der nächsten Woche mit einer Erholung der Preise", heißt es in einer Analyse der Commerzbank.
Nach den jüngsten Kursverlusten zum Dollar kann sich die europäische Gemeinschaftswährung zum Wochenschluss unter der Marke von 1,09 Dollar stabilisieren. Zuletzt wurden im US-Handel 1,0872 Dollar bezahlt. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0867 (Donnerstag: 1,0900) US-Dollar fest.
Es fehlte dem Handel an klaren Impulsen. Daten zur Inflationsentwicklung in der Eurozone bewegten den Markt nicht. Bei der zweiten Schätzung für den Juli wurden die Zahlen der ersten Schätzung bestätigt. Die Inflationsrate fiel demnach leicht auf 5,3 Prozent. Die Kerninflationsrate verharrte jedoch bei 5,5 Prozent. Das Inflationsziel der EZB von mittelfristig zwei Prozent wird nach wie vor klar überschritten.
Die Digitalwährung Bitcoin leidet weiter unter der Aussicht auf längerfristig höhere Zinsen an den Anleihemärkten. Hinzu kommt ein Bericht über einen Verkauf von Bitcoin-Beständen durch das Unternehmen SpaceX des US-Milliardärs Elon Musk. Der Bitcoin-Kurs setzt seinen Vortagesrutsch fort und fällt unter 26.000 Dollar, den tiefsten Stand seit zwei Monaten.
Im Rampenlicht bei den Einzelwerten am deutschen Aktienmarkt stand die Suse-Aktie aus dem SDAX. Titel der Linux-Softwarefirma schnellten um knapp 60 Prozent in die Höhe. Der schwedische Finanzinvestor EQT will die Nürnberger gut zwei Jahre nach ihrem Börsengang wieder von der Börse nehmen. EQT kündigte am Donnerstagabend ein Übernahmeangebot an die übrigen Aktionäre über 16 Euro je Aktie an, mit dem Suse mit 2,72 Milliarden Euro bewertet wird.
Der Volkswagen-Konzern leidet weiter unter der sich abkühlenden Nachfrage nach Neuwagen. Mit 773.000 Fahrzeugen aller Konzernmarken wurden im Juli 6,6 Prozent mehr Autos ausgeliefert als im schwachen Vorjahresmonat, wie der Konzern am Freitag mitteilte. Im ersten Halbjahr hatte das Plus wegen des hohen Auftragsstaus aus dem Vorjahr noch bei 12,8 Prozent gelegen.
Der Autobauer Mercedes-Benz hat weiter Ärger mit möglicherweise fehlerhaften Kraftstoffpumpen. Nach einem größeren Rückruf in den USA ruft der Konzern nun auch in China 231.249 Autos in die Werkstätten, wie die chinesische Aufsichtsbehörde SAMR (State Administration for Market Regulation) heute in Peking mitteilte.
Der österreichische Unternehmer Stefan Pierer ist seit Freitag neuer Alleineigentümer des angeschlagenen Nürnberger Autozulieferers Leoni. Der Eintrag ins Handelsregister sei am Vormittag erfolgt, der Aktienhandel an den Börsen in Frankfurt und München werde im Laufe des Tages beendet werden, sagte ein Unternehmenssprecher.
Nach dem Kurssturz der Adyen-Aktie am Vortag ging es zum Wochenschluss weiter abwärts. Nun hagelte es Kurszielsenkungen, und einige Analysten nahmen auch ihre Kaufempfehlungen zurück. Allein am Vortag waren nach katastrophalen Quartalszahlen rund 40 Prozent des Börsenwertes von Adyen, etwa 18 Milliarden Euro, mit einem Schlag vernichtet worden.
Der Schweizer Pharmakonzern Novartis treibt den Börsengang seiner Generika-Sparte Sandoz voran. Die Aktionäre sollen für fünf Novartis-Aktien jeweils eine Sandoz-Aktie erhalten. Novartis plant, Sandoz an der SIX Swiss Exchange zu notieren und in den USA Hinterlegungsscheine (American Depositary Receipts, ADRs) anzubieten. Die Abspaltung von Sandoz soll am 4. Oktober 2023 über die Bühne gehen.
Applied Materials hat mit seinen Prognosen für das vierte Quartal die Markterwartungen übertroffen. Der Chip-Zulieferer geht von einem Umsatz von 6,51 Milliarden Dollar (plus oder minus 400 Millionen Dollar) aus und verwies dabei auf weltweit milliardenschwere Subventionen der Regierungen in den USA, Europa und Japan für den Bau von Chip-Fabriken.