Referendum zu Reformvorschlägen Tag der Entscheidung in Griechenland
Erstmals seit 1974 entscheiden die Griechen heute in einem Referendum über die Zukunft des Landes. Seit dem Morgen stimmen sie über Reformvorschläge der Geldgeber ab. Premier Tsipras erhofft sich Rückhalt für seinen Kurs. Doch das Ergebnis ist offen.
In Griechenland sind seit dem Morgen fast zehn Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, in einem Referendum über Reform- und Sparvorschläge der internationalen Geldgeber zu entscheiden. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras wirbt für ein "Nein" und erhofft sich dadurch eine stärkere Verhandlungsposition über weitere Hilfen. Die Opposition rief die Bevölkerung auf, mit "Ja" zu stimmen. Sie sieht das Referendum auch als Votum über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone.
Vier Stunden vor Schließung der Wahllokale um 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr deutscher Zeit) lag die Wahlbeteiligung bei 35 Prozent. Dem griechischen Fernsehsender Mega TV zufolge bildeten sich lange Schlange vor den Wahllokalen in Athen. Damit das Referendum rechtsverbindlich ist, müssen mehr als 40 Prozent der 9,8 Millionen Wahlberechtigten abstimmen.
Staatspräsident ruft zur Einheit auf
Tsipras wertete die Abstimmung erneut als einen Sieg der Demokratie. "Man kann den Willen einer Regierung ignorieren, aber nicht den Willen eines Volkes", sagte er am Vormittag bei seiner Stimmabgabe in Athen. Die Abstimmung sende die Botschaft, dass die Griechen ein vereinigtes Europa annähmen, aber in Würde leben wollten, ergänzte er.
Der konservative Oppositionsführer Antonis Samaras erklärte seinerseits: "Wir Griechen entscheiden heute über das Schicksal unseres Landes. Wir sagen Ja zu Griechenland und Ja zu Europa."
Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos rief die Griechen zur Einheit auf. "Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung werden wir den schweren Weg, der nach dem Referendum vor uns liegt, gemeinsam gehen müssen", sagte er.
"Oxi" oder "Nai"
Nach Angaben des Innenministeriums verlief das Referendum nach Öffnung der Wahllokale um 7.00 Uhr Ortszeit (6.00 Uhr deutscher Zeit) bislang ohne große Zwischenfälle. Es gebe landesweit keine Probleme bei der Stimmabgabe in den mehr als 19.000 Stimmlokalen. In einzelnen Wahlbüros im Großraum Athen hätten anfangs die Umschläge für die Stimmzettel gefehlt, aber das Problem sei rasch behoben worden.
Die Griechen können auf den Stimmzetteln "Oxi" (Nein) oder "Nai" (Ja) ankreuzen. Ihnen liegt dabei folgende Frage zur Entscheidung vor: "Soll der Einigungsplan, der die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds am 25. Juni 2015 der Eurogruppe vorgelegt hat, und der aus zwei Teilen besteht, die den gemeinsamen Vorschlag ausmachen, akzeptiert werden? Das erste Dokument trägt den Titel 'Reformen für die Vollendung des aktuellen Programms und darüber hinaus' und das zweite 'Vorläufige Schulden-Nachhaltigkeits-Analyse.'"
Vorschläge der Geldgeber nicht mehr aktuell
Problematisch ist dabei, dass die zugrunde liegenden Vorschläge der Geldgeber aus den Verhandlungen über die Auszahlung der letzten Kredithilfen aus dem zweiten Griechenland-Hilfsprogramm stammen. Dieses Programm endete allerdings am 30. Juni nach dem Scheitern der Gespräche ersatzlos. Ein mögliches neues Hilfsprogramm müsste aber über einen anderen Rettungsschirm laufen als das alte und komplett neu ausgehandelt werden.
Dies dürfte sich nach Ansicht der Bundesregierung und der Regierungen anderer Euro-Staaten auch bei einer Zustimmung der Griechen zu den Geldgeber-Voschlägen lange hinziehen. Dagegen erklärte die griechische Regierung wiederholt, sie gehe davon aus, dass nach dem Referendum rasch ein Abkommen mit den Gläubigern stehen werde. "Ich erwarte, dass wir am Montag eine Einigung haben werden", sagte Finanzminister Yanis Varoufakis der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Das gelte "unabhängig davon, ob bei dem Referendum mehrheitlich mit ,Ja‘ oder mit ,Nein‘ gestimmt wird".
Gestern hatte Varoufakis nicht nur bekräftigt, dass er im Falle eines "Ja" beim Referendum zurücktreten werde. Vor allem hatte er die Gläubiger scharf angegriffen und ihnen Terrorismus vorgeworfen.
Ergebnisse am Abend erwartet
Erste Prognosen zum Ausgang des Referendums werden nach Schließung der Wahllokale erwartet. Falls die Entscheidung ähnlich knapp wird, wie es die letzten Umfragen erwarten lassen, könnten erst die ab 20.00 oder 21.00 Uhr erwarteten Ergebnisse Aufschluss darüber geben, ob Tsipras eine Mehrheit für seine Politik bekommen hat.
Unabhängig vom Ergebnis gilt die weitere Entwicklung des Landes als ungewiss. Mit Spannung werden die Reaktionen der Finanzmärkte am Montag erwartet. Mehrere europäische Großbanken beriefen für heute Abend Telefonkonferenzen ein, um über die Folgen der griechischen Entscheidung zu beraten und ihre Kunden auf die Auswirkungen am Montag vorzubereiten.