Interview

EU und IWF streiten über das weitere Vorgehen in Griechenland "Schon oft wurden rote Linien überschritten"

Stand: 13.11.2012 16:08 Uhr

Angesichts der dramatischen Lage bekommt Griechenland zwei Jahre mehr Zeit zum Sparen. Doch wer trägt die Kosten? Der IWF fordert einen Schuldenerlass, die Euro-Länder sind dagegen. Schon oft wurden rote Linien überschritten, meint Brüssel-Korrespondent Martin Bohne im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Warum braucht Griechenland jetzt zwei Jahre länger Zeit zur Erreichung der Sparziele?

Martin Bohne: Die griechische Wirtschaft ist noch viel tiefer in die Rezession abgeglitten, als man dies für möglich gehalten hat. In diesem Jahr wird laut jüngsten Prognosen die griechische Wirtschaft um sechs Prozent schrumpfen, für das nächste Jahr sind viereinhalb Prozent prognostiziert. Das wäre dann das sechste Jahr in Folge, dass die griechische Wirtschaft schrumpft. Das bringt sämtliche Berechnungen völlig durcheinander. Die Euro-Länder zeigen dafür ein gewisses Maß an Verständnis und begründen es auch mit der allgemein nicht besonders guten Weltwirtschaftslage. Sie halten die Aufschiebung um zwei Jahre vor diesem Hintergrund offenbar für alternativlos.

Zur Person

Martin Bohne, geboren 1955 in Adorf bei Plauen, studierte Journalistik. Seit insgesamt acht Jahren berichtet er für die ARD aus Brüssel. Er begleitete die wichtigen EU-Gipfel und beschäftigt sich mit der Euro-Schuldenkrise.

tagesschau.de: Was können zwei Jahre Aufschub denn bringen?

Bohne: Die Griechen müssen erst 2016 die vereinbarten Haushaltsziele erreichen. Dazu gehört ganz zentral der sogenannten Primärüberschuss im Haushalt: Der Staat muss also mehr einnehmen, als er ausgibt. Wenn den Griechen für dieses Ziel mehr Zeit gewährt wird, dann kostet dies allerdings. Insgesamt entsteht in dem im Frühjahr beschlossenen zweiten Hilfspaket für Griechenland eine Finanzierungslücke von etwa 32 Milliarden Euro.

tagesschau.de: Wo soll das Geld dafür herkommen?

Bohne: Das ist die große Frage. Darüber gibt es noch keine Einigung. Die Auszahlung der nächsten Tranche von Hilfsgeldern wurde  auf nächste Woche verschoben.  Zum einen, weil Griechenland noch nicht alle Bedingungen restlos erfüllt hat. Zum anderen, weil die Auszahlung der Gelder an die Änderung des Rettungsplans gekoppelt ist. Deshalb muss erst die Finanzierungsfrage für die zusätzlichen 32 Milliarden Euro geklärt sein.

Dies soll die nationalen Haushalte kein Geld kosten, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble noch einmal hervorgehoben hat. Das Hilfspaket für Griechenland soll also nicht noch einmal aufgestockt werden. Gleichzeitig soll es keinen Schuldenschnitt für Griechenland geben, das betonen die Euro-Länder mit Nachdruck. Wo das Geld dann aber herkommen soll, ließ Schäuble völlig offen. Eine Möglichkeit wäre, die Zinsen für die Kredite für Griechenland zu senken und auch die Laufzeiten noch einmal zu verlängern. Dies aber ist derzeit eine sehr vage Option.

tagesschau.de: Schon am Freitag muss Griechenland Schulden in Höhe von fünf Milliarden Euro zurückzahlen. Wie soll das Land das machen, wenn die Hilfsgelder frühestens nächste Woche fließen?

Bohne: Die Griechen sollen sehr kurzfristige Staatsanleihen ausgeben mit einer Laufzeit von vier Wochen und sich damit Geld an den Kapitalmärkten organisieren. Dies ist jedoch ein Verfahren in der rechtlichen Grauzone, denn die Anleihen sollen von griechischen Banken gekauft werden. Diese wiederum würden sich das Geld von der griechischen Notenbank borgen. Die Notenbank ist allerdings schon an dem Limit dessen, was die Europäische Zentralbank ihr gewährt. Hier wird nun ganz offenbar etwas getrickst, denn EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte, die Griechen würden keine Probleme haben, sich die fünf Milliarden Euro zu beschaffen.

tagesschau.de: Warum sind Finanzminister Schäuble und Euro-Gruppenchef Claude Juncker strikt gegen einen Schuldenerlass, der die Lage für Griechenland ja gleich und spürbar erleichtern würde?

Bohne: Schäuble begründet das damit, dass die nationalen Verfassungen der meisten Mitgliedsstaaten einen solchen Schuldenschnitt nicht zulassen. Denn das hieße, dass zum Beispiel deutsche Steuerzahler den Griechen Geld geben. Bisher geht es ja nur um Kredite und Bürgschaften. Bei einem Schuldenerlass wäre das Prinzip des "no bailout", das ja auch in den europäischen Verträgen fixiert ist, durchbrochen.

tagesschau.de: Warum ist der IWF so sehr für einen Schuldenerlass?

Bohne: Der IWF hat klare Regeln für seine Hilfen. Er darf Hilfskredite nur gewähren, wenn die sogenannte Schuldentragfähigkeit gewährleistet ist. Griechenland muss also in die Lage kommen, seine Schulden aus eigener Kraft wieder zurückzahlen zu können. Diese Schuldentragfähigkeit ist derzeit überhaupt nicht gegeben. Nach Berechnungen der EU-Kommission wird die Gesamtverschuldung im nächsten Jahr auf 190 Prozent des Bruttosozialprodukts ansteigen. Das ist also fast das Doppelte dessen, was die griechische Wirtschaft in einem Jahr erwirtschaftet. Man hatte sich im Februar darauf geeinigt, dass diese Gesamtverschuldung bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent sinken soll. Das wäre die sogenannte Schuldentragfähigkeit. Nach den neuesten Berechnungen erscheint auch dieses Ziel als nicht erreichbar. Die Euro-Länder wollen es nun zwei Jahre nach hinten verschieben. Damit hat allerdings der IWF große Probleme, weil dadurch die rechtliche Grundlage für dessen Finanzhilfen an Griechenland infrage gestellt wird.

tagesschau.de: Können ohne einen Schuldenerlass die Ziele für Griechenland überhaupt erreicht werden? Ist der Schuldenerlass nicht alternativlos?

Bohne: Offensichtlich versucht man sich um genau diese Erkenntnis derzeit herumzumogeln. Zwar sagen alle, dass die Schließung der Finanzierungslücke unglaublich kompliziert wird, aber noch steht das offizielle Wort der Euro-Partner: kein Schuldenerlass für Griechenland. Ob es am Ende dabei bleibt, ist ungewiss. Denn schon oft mussten Positionen im Zuge der Euro-Krise korrigiert und vermeintlich rote Linien dann doch überschritten werden.

tagesschau.de: Wie gefährlich ist der Grundsatzstreit zwischen IWF und den Euro-Ländern für die Schuldenkrise?

Bohne: Dieser Streit ist potenziell sehr gefährlich, denn die Euro-Zone braucht den IWF für die Rettungspakete aus zwei Gründen: zum einen wegen der tatsächlichen finanziellen Unterstützung; zum anderen als Signal an die Finanzmärkte, dass die Euro-Länder hier nicht schutzlos und auf eigene Faust agieren. Durch den IWF wird so etwas wie ein internationales Gütesiegel auf die Hilfspakete gesetzt. Fatal wäre also, wenn irgendwann IWF-Chefin Christine Lagarde die Euro-Hilfen gegenüber ihrem Vorstand nicht mehr durchsetzen könnte.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 13. November 2012 um 16:00 Uhr.