Ökonom warnt vor Griechenland-Risiko Verdacht auf Vogel-Strauß-Politik
Wenn die Abgeordneten heute über den Haushalt 2013 abstimmen, haben sie einen großen Posten nicht auf dem Zettel: die Kosten für die Griechenland-Rettung. Der Ökonom Jens Boysen-Hogrefe warnt im Interview mit tagesschau.de vor den versteckten Risiken: Nicht nur ein Schuldenschnitt werde teuer für Deutschland.
tagesschau.de: Wie realistisch ist die Haushaltsplanung, über die die Parlamentarier heute abstimmen? Bleibt es beim Umfang von 302 Milliarden Euro oder müssen noch Kosten für die Griechenland-Rettung eingepreist werden?
Jens Boysen-Hogrefe: Das hängt davon ab, wie in der Griechenland-Rettung weiter verfahren wird. Tatsächlich sind auch Wege vorstellbar, die zwar kostspielig sind, aber den Haushalt 2013 nicht belasten. Zum Beispiel wenn weitere Kredite über die Rettungsschirme gewährt werden. Dann würde man das jetzige Verfahren einfach verlängern und weitere Hilfstranchen auszahlen. Finanzierungslücken könnten durch einzelne Sondermaßnahmen wie eine Reduktion der Zinszahlungen überbrückt werden. Dadurch könnte man sich über die nächsten zwei Jahre hangeln. Aber das Problem bleibt: Der Schuldenberg Griechenlands wird immens sein.
Schäuble kontra Brüderle
tagesschau.de: Die Opposition fordert eine Verschiebung der Abstimmung, die Koalition scheint (wieder mal) uneins. So betont Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU, keine der diskutierten Maßnahmen im Rahmen der Griechenland-Hilfe sei haushaltsrelevant. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle aber räumt ein, dass die Rettungsaktion Geld kosten werde. Wer hat Recht?
Boysen-Hogrefe: Minister Schäuble geht davon aus, dass Griechenland weitere Kredite erhält. Wenn man sehr positiv denkt, kann man die Hoffnung haben, dass das Land eine plötzliche Renaissance erfährt. Dass es mit der Wirtschaft aufwärts geht und dass die Schuldentragfähigkeit steigt. Aber, wie gesagt: Man muss sehr positiv denken.
Realistisch ist dagegen, was der Internationale Währungsfonds in seiner Schuldentragfähigkeitsanalyse festgestellt hat. Dass Griechenlands Schuldenstand nicht im notwendigen Maß sinkt. Und dass ein Schuldenschnitt für Griechenland sehr sinnvoll ist, wenn nicht 2013, dann in den Jahren darauf. Von daher dürfte Brüderle näher an der Wahrheit sein.
tagesschau.de: Mit welchen Szenario rechnen Sie?
Boysen-Hogrefe: Es ist absehbar, dass die Krise in Griechenland zu Kosten führen wird. Die wirtschaftliche Lage des Landes hat sich verglichen mit der Anfang 2012 deutlich verschlechtert. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands dürfte inzwischen niedriger als damals liegen. Das führt dazu, dass nicht alle Kredite aus dem Rettungsschirm EFSF oder von Deutschland direkt zurück erwartet werden können. Dieses Problem kann man verschieben, indem man immer neue Kredite gewährt, die dann die alten Kredite ablösen. Das ist aber kein Vorgehen, das langfristig von allen Parteien gewünscht sein wird. Deshalb ist ein Forderungsverzicht, ein Schuldenschnitt, wahrscheinlich.
Wie hoch der ausfallen muss, hängt auch vom Zeitpunkt ab. Für Griechenland wäre ein möglichst baldiger Termin und ein möglichst großer Schnitt attraktiv. Dann wäre es sogar vorstellbar, dass sich das Land wieder an den Kapitalmärkten finanzieren kann. Inzwischen hat man genügend Maßnahmen ergriffen, dass sich der griechische Haushalt wieder in einer einigermaßen günstigen Lage befindet.
Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe
tagesschau.de: Um wie viel Geld dürfte es denn gehen und inwieweit wirken sich die Kosten auf den Haushalt aus?
Boysen-Hogrefe: Einen Kredit über 15,2 Milliarden Euro hat Deutschland direkt über die KfW-Bank an Griechenland vergeben. Ein weiterer Kredit über knapp 74 Milliarden Euro kommt aus dem Rettungsschirm EFSF. Die Summe wird sich aber noch auf mehr als 144 Milliarden Euro erhöhen, wenn das zweite Anpassungsprogramm von Anfang 2012 vollständig realisiert worden ist. Das Programm hatte die Hilfe noch einmal aufgestockt. Zeitgleich wurde ein Forderungsverzicht bei den privaten Gläubigern durchgesetzt. Nur: Die Planzahlen aus diesem Programm lassen sich nicht halten, denn die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands ist weit hinter den Erwartungen zurück geblieben. Wieder mal.
Wenn die EFSF-Kredite ausfallen, haftet Deutschland mit einem Anteil von knapp 30 Prozent. Für den KfW-Kredit müsste Deutschland entsprechend dem Schuldenschnitt aufkommen. Diese Summen, die der Bund dann finanzieren würde, wären dann auch keine Eventualverpflichtungen mehr, sondern würden zu tatsächlichen Defiziten führen. Das wäre dann haushaltsrelevant.
tagesschau.de: Heißt das im Umkehrschluss, dass im Vorfeld der Bundestagswahl systematisch gelogen wird?
Boysen-Hogrefe: Der Verdacht steht im Raum, dass man sich in einer Art Vogel-Strauß-Taktik bis zur Bundestagswahl retten will. Ich kann nicht ausschließen, dass sich Griechenland viel schneller erholt als gedacht. Aber das Ausmaß dieser Erholung müsste immens sein. Dabei geht es nicht einmal so sehr um die öffentlichen Finanzen. Hier ist es inzwischen tatsächlich so, dass die laufenden Ausgaben zu einem Großteil durch die Einnahmen gedeckt werden. Aber der Schuldenberg und die damit verbundene Zinslast machen es Griechenland sehr schwer, diese Belastung auf Jahre hinaus zu tragen. Auch die Unsicherheit an den Kapitalmärkten wird bleiben, ob Griechenland auch willens sein wird, das zu tun. Also bleibt es sehr unsicher, dass Griechenland den Schuldenberg am Kapitalmarkt wird finanzieren können.
Aus deutscher Sicht mag es sich auszahlen, mit einem Schuldenschnitt bis nach der Wahl zu warten, in der Hoffnung, die Verluste für Deutschland gering zu halten, wenn es zu einer Erholung kommt. Würde man jetzt einen Schuldenschnitt, müsste der wohl sehr hoch ausfallen, um Griechenland den Rückweg an den Kapitalmarkt zu ermöglichen. Ich finde es unangemessen, dass ein Schuldenschnitt vor diesem Hintergrund nicht entsprechend diskutiert wird.
tagesschau.de: Welche Alternative sehen Sie zum Schuldenschnitt?
Boysen-Hogrefe: Deutschland könnte Griechenland günstige Refinanzierungsmöglichkeiten anbieten. Man müsste dann zunächst mal keine Verluste realisieren, wenn man die griechische Staatsschuld auf die eigene Kappe nimmt. Dieses Verfahren birgt aber erhebliche Unsicherheitsfaktoren, sowohl was die wirtschaftliche Entwicklung als auch was die politische Lage angeht. Und: Irgendwann wird Deutschland auch in dieser Konstruktion große Verluste machen.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de