Folgen für das Gehalt Fluch und Segen der Inflationsprämien
Steuerfreie Sonderzahlungen spielen in den Tarifverhandlungen eine wichtige Rolle, sie bringen Beschäftigten schnelle Entlastung. Langfristig allerdings müssen sie dafür deutliche Einkommensverluste in Kauf nehmen.
Die anhaltend hohe Inflation spürt Kai Schaub wie viele in Deutschland fast täglich: beim Tanken, im Supermarkt, wenn er den Stromabschlag zahlt. Erst Anfang dieses Jahres hat sein Energieversorger die monatliche Vorauszahlung für den Strom von 130 Euro auf 170 Euro nach oben gesetzt, ein Plus von knapp 31 Prozent. "Spritkosten, Lebensmittel, Energie, all das reißt ein großes Loch in die Haushaltskasse", sagt er.
Schaub ist Zusteller bei der Deutschen Post und wohnt im hessischen Büdingen. Seine Frau arbeitet als Erzieherin in einer Kita, eines seiner zwei Kinder hat vor kurzem eine Lehre begonnen. Der 47-Jährige ist seit zehn Jahren bei der Post und verdient derzeit pro Monat 2743 Euro brutto.
Ver.di fordert kräftige Lohnerhöhung
Als ver.di-Mitglied unterstützt er die Forderung seiner Gewerkschaft: Eine Lohnerhöhung von 15 Prozent müsse her, allein für dieses Jahr. Die Tarifverhandlungen mit dem Post-Konzern sind längst gescheitert, noch bis nächste Woche läuft die Urabstimmung über einen unbefristeten Streik. Das Angebot der Post reicht ver.di nicht.
Der Konzern bietet seinen Beschäftigten eine Kombination aus dauerhafter Lohnerhöhung und Sonderzahlung an: Im nächsten Jahr zwei Steigerungen um 150 Euro und um 190 Euro, dazu eine steuerfreie Inflationsprämie in Höhe von 3000 Euro, die in mehreren Tranchen ab diesem Jahr ausgezahlt würde. Laufzeit des Tarifvertrags: Zwei Jahre. "3000 Euro hört sich erst mal sehr viel an", sagt Kai Schaub. "Aber die 3000 Euro sind irgendwann vom Gehaltszettel weg, das muss man sich auch vor Augen führen."
Inflationsgeld als Krisen-Joker
Der Post-Angestellte spielt auf ein Problem an, das vor kurzem der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke auf den Punkt brachte: "Eine Einmalzahlung ist nicht nachhaltig. Die Preise bleiben auch dann noch hoch, wenn die Prämien längst nicht mehr wirken."
Die sogenannte Inflationsausgleichsprämie ist Teil des dritten Entlastungspakets, das die Bundesregierung im vergangenen Herbst auf den Weg gebracht hatte. Unternehmen dürfen jedem ihrer Angestellten bis zu 3000 Euro zusätzlich überweisen, steuer- und abgabenfrei. Arbeitgeber zahlen darauf also keine Sozialversicherungsbeiträge, genauso wenig wie die Arbeitnehmer - sie erhalten die Sonderzahlung netto wie brutto. Die Regelung gilt bis Ende 2024.
Prämie bringt schnelle und spürbare Entlastung
Der Ökonom Reinhard Bispinck, der früher das WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geleitet hatte, verweist zunächst auf die Vorteile der Prämie. Gerade Geringverdiener, die unter der hohen Inflation besonders litten, würden deutlich stärker als Gutverdiener entlastet. "Von daher macht es Sinn, ein solches Inflationsgeld mit einem einheitlichen Betrag vorzusehen und das nicht etwa gestaffelt zu machen, dass womöglich dieser Entlastungseffekt bei den unteren Einkommensgruppen nicht entsteht", sagt er.
Den großen Nachteil von Sonderzahlungen will der Finanzwissenschaftler aber nicht verschweigen: "In dem Zeitraum, in dem das Inflationsgeld gezahlt wird, fällt die Tarifsteigerung in der Regel niedriger aus". Denn Gewerkschaften und Arbeitgeber handeln einen neuen Tarifvertrag immer im Paket aus. Heißt: Je höher die auf 3000 Euro gedeckelte Sonderzahlung, desto geringer eine zusätzliche prozentuale Steigerung.
Mehrere tausend Euro gehen langfristig verloren
Was das konkret in Euro-Beträgen bedeutet, hat Reinhard Bispinck in einer Modellrechnung gegenübergestellt. Ausgangspunkt sind zwei Arbeitnehmer, jeweils mit einem Bruttojahresverdienst von 48.000 Euro, ein Durchschnittsgehalt in Deutschland. Beide sind in unterschiedlichen Tarifverträgen. Im ersten Fallbeispiel bekommt die Person im ersten Tarifjahr eine steuerfreie Einmalzahlung in Höhe von 3000 Euro, im zweiten Jahr eine Lohnerhöhung von vier Prozent.
Der andere Arbeitnehmer erhält keine Inflationsprämie, dafür in beiden Jahren eine Gehaltserhöhung um vier Prozent. Während Person 1 im ersten Jahr wegen der hohen Einmalzahlung mehr verdient, kehrt sich das Bild ab dem zweiten Jahr um. Ab dann verdient Person 2 mehr.
"Wir haben gewissermaßen einen Zinseszinseffekt", sagt Bispinck. "Der Verzicht auf eine Tarifsteigerung im ersten Jahr wächst sozusagen durch die Jahre hindurch, und am Schluss hat man dann einen steigenden Betrag des Verlustes beim Tarifentgelt". In einem Zeitraum von fünf Jahren verdient der erste Arbeitnehmer so knapp 7400 Euro weniger. Langfristig lohnt sich die steuerfreie Einmalzahlung also nicht.
Ruf nach Inflationsgeld in den Belegschaften
Bei vergangenen Tarifverhandlungen war den Gewerkschaftsvertretern die Problematik durchaus bewusst. Beispiel Chemie-Industrie: Hier gab es im Oktober den bundesweit ersten Tarifabschluss mit dem neuen Inflationsgeld. "Dauerhaft ist das natürlich gefährlich, sich nur auf solche Komponenten einzulassen", sagt Ralf Sikorski, damals der Verhandlungsführer der Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE). "Das führt natürlich zu Kaufkraftverlusten. Einmalzahlungen kriegen keine Kinder, die werden einmal gezahlt und sind dann im Zinseszins verloren", weiß Sikorski.
Die Arbeitgeberseite wiederum spürte den Druck aus der Belegschaft, das Inflationsgeld voll auszuschöpfen. "Wenn wir es nicht in den Tarifverhandlungen angeboten hätten, wären die Forderungen dann in den Betrieben gekommen", sagt Hans-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC). "Eine Befriedung auf betrieblicher Ebene hätten wir dann nicht erreicht." Am Ende einigten sich beide Seiten auf eine Kombination: Zweimal 1500 Euro Inflationsgeld und zusätzlich zwei Lohnerhöhungen in Höhe von 3,25 Prozent bis Mitte 2024.
Sonderzahlungen gegen die Lohn-Preis-Spirale
Während Sonderzahlungen die Beschäftigten langfristig Kaufkraft kosten, können sie volkswirtschaftlich ein Gewinn sein. Dann nämlich, wenn es darum geht, die Inflation im Zaum zu halten. Denn bei hohen prozentualen Gehaltssteigerungen sehen manche Ökonomen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Die Bundesbank zum Beispiel schreibt in ihrem aktuellen Monatsbericht vom Februar: "In den jüngsten Tarifabschlüssen sind die Auswirkungen der hohen Preissteigerungsraten bereits klar erkennbar. Spürbare Zweitrundeneffekte auf die Preise sind absehbar."
Auch Friedrich Heinemann, Ökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, befürchtet, dass (zu) hohe prozentuale Tarifabschlüsse die Inflation befeuern könnten: "Es reicht schon aus, wenn die Löhne mit vier oder fünf Prozent steigen. Das hätte wieder einen Effekt und würde die Inflationsrate deutlich über zwei Prozent halten."
Auch wenn die Beschäftigten durch die Inflationsprämie also langfristig Einkommen verlieren - am Ende werden sie womöglich durch eine etwas niedrigere Inflation wieder belohnt.