Diskussion um Steuersenkungen "Hoffentlich durchschaut die Regierung diese Spiele"
Für die Befürworter eines weitreichenden Konjunkturprogramms ist die Sache klar: Nur Steuersenkungen können die Folgen der Wirtschaftskrise abfedern. Doch noch sträubt sich die Bundeskanzlerin. Zu Recht, findet Finanzexperte Kai Konrad im Gespräch mit tagesschau.de.
Für die Befürworter eines weitreichenden Konjunkturprogramms ist die Sache klar: Nur Steuersenkungen können die Folgen der Wirtschaftskrise abfedern. Doch noch sträubt sich die Bundeskanzlerin. Zu Recht, findet Finanzexperte Kai Konrad im Gespräch mit tagesschau.de
tagesschau.de: Sollte die deutsche Regierung in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ein massives Konjunkturprogramm auflegen?
Kai Konrad: Wie tief die derzeitige weltwirtschaftliche Krise ist, und vor allem, wie lang sie anhalten wird, kann heute niemand mit hinreichender Verlässlichkeit sagen. Die richtige Wirtschaftspolitik hängt aber entscheidend von dieser Frage ab. Konjunkturpolitik benötigt Zeit, um zu wirken. Wenn sie erst wirkt, wenn sich die Krise bereits erledigt hat, ist die Politik nur teuer und schädlich. Sollte die Krise aber anhaltend und tief sein, würde man am besten bald handeln. In dieser Unsicherheit besteht das Dilemma.
Kai Konrad ist Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München und Forschungsprofessor des Forschungsprojektes "The Future of Fiscal Federalism" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
tagesschau.de: Aber sollten nicht genau Wirtschaftsexperten mit dieser Unsicherheit aufräumen können?
Konrad: Es wäre natürlich toll, wenn man das beantworten könnte. Und ganz ehrlich, wenn ich das könnte, würde ich wahrscheinlich keine Wissenschaft betreiben, sondern wäre unendlich reich und würde mein Vermögen verwalten. Aber ernsthaft: Ich halte es für ungeheuer schwierig, darüber verlässliche Aussagen zu treffen. Es mag vielleicht irgendwo jemanden geben der das kann - ich kann es nicht.
tagesschau.de: Besteht an der Schwere der aktuellen Wirtschaftskrise denn wirklich ein Zweifel?
Konrad: Es sieht jetzt so aus als sei das Wachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen negativ gewesen. Vermutlich werden auch die nächsten Quartale nicht besonders rosig. Trotzdem bleibt die Frage: Wie lange dauert es, bis die Konjunktur wieder anspringt? Ergreift die Regierung jetzt konjunkturpolitische Maßnahmen, dauert es eine ganze Weile, bis diese wirken. Bis dahin kann viel passieren.
tagesschau.de: Andere Länder wie China, Großbritannien oder die USA scheinen sich zum Handeln entschlossen zu haben. Wie beurteilen Sie diese Aktivitäten?
Konrad: Die weltwirtschaftliche Entwicklung wird für die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland ganz entscheidend sein. Die Möglichkeiten, im bestehenden internationalen Umfeld durch nationale Konjunkturpolitik das Wachstum in Deutschland schnell und deutlich zu beeinflussen, sind eher begrenzt. Da ist es sehr beruhigend und aus deutscher Sicht erfreulich, dass große Länder wie die USA oder China erhebliche Anstrengungen unternehmen, das Verbrauchervertrauen zu stärken und die Nachfrage anzuregen. Von diesen Anstrengungen profitiert Deutschland.
tagesschau.de: In Deutschland werden verschiedene konjunkturpolitische Vorschläge diskutiert. Was halten Sie von der Forderung, die Einkommenssteuer in Deutschland zu senken?
Konrad: Durch Inflation und Wachstum hat sich die Einkommenssteuerbelastung für breite Teile der Bevölkerung schleichend erhöht. Man bezeichnet dieses Phänomen als "kalte Progression". Eine Tarifreform der Einkommensteuer könnte und sollte diese Wirkung von Zeit zu Zeit korrigieren. Unter konjunkturellen Gesichtspunkten halte ich eine solche Tarifreform für weniger hilfreich.
tagesschau.de: Wieso?
Konrad: Weil eine Einkommenssteuersenkung vor allem die Menschen trifft, die überdurchschnittlich verdienen, und nicht die im unteren Einkommensbereich. Für sie gibt es keine spürbare Entlastung. Aber gerade diese Käufergruppen sind für den Markt sehr wichtig, weil sie eine besonders hohe Konsumneigung haben. Mit einer Einkommenssteuersenkung trifft man also genau die nicht, die konjunkturpolitisch angesprochen werden sollten.
tagesschau.de: Was denken Sie über die Forderung nach der Senkung der Mehrwertsteuer?
Konrad: Auch eine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer ist konjunkturpolitisch kein Instrument, von dem ich überzeugt bin, selbst wenn sie schnell umgesetzt würde. Es ist unklar, ob und wie schnell die niedrigere Mehrwehrtsteuer von den Produzenten an die Verbraucher weitergegeben würde. Und selbst bei einer sofortigen Umsetzung und vollständigen Weitergabe an die Verbraucher muss man fragen, ob eine zweiprozentige Senkung der Preise erhebliche Konsumanreize auslösen würde. Die fiskalischen Kosten sind im Verhältnis zur mutmaßlichen Wirkung hoch. Die deutlich erhöhte Staatsverschuldung wäre eine große Hypothek für die Zukunft.
tagesschau.de: Was würden Sie der Bundesregierung jetzt konkret raten?
Konrad: Ich würde den folgenden Rat geben: Bei allem, was sie jetzt tut, sollte man die konjunkturpolitischen Vorteile und die langfristigen Kosten abwägen. Bei allen Maßnahmen, die dauerhaft und langfristig kaum mehr umkehrbar sind, sollte man fragen: Würde man diese Maßnahmen auch bei normaler Konjunkturlage für vertretbar halten?
tagesschau.de: Steht die Bundesregierung momentan in der Gefahr, das zu tun?
Konrad: Ich beobachte mit Sorge, dass viele Interessengruppen versuchen, die Krise für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Liste solcher Versuche ist lang. Die wahren Interessen hinter vielen sogenannten konjunkturpolitischen Vorschlägen sind nur zu deutlich. Sozialpolitiker setzen beispielsweise auf eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengelds, Umwelt- und Klimapolitiker möchten stattdessen mehr Subventionen für Energiesparmaßnahmen. Ich hoffe, dass die Regierung diese Spiele durchschaut.
Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de