Konflikt mit der EU Was droht Italien im Haushaltsstreit?
Rom hat das Ultimatum verstreichen lassen, das die EU Italien gegeben hat, um einen nachgebesserten Haushalt vorzulegen. Tagesschau.de erklärt mögliche Folgen der Entscheidung.
Worum geht es beim Haushaltsstreit mit Italien?
Zum ersten Mal in der Geschichte des Euro hat die EU-Kommission den Budgetplan eines Mitgliedstaats zurückgewiesen. Italien hatte einen Haushaltsentwurf für 2019 vorgelegt, der eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung vorsieht. Das ist deutlich mehr als die 0,8 Prozent, die die Vorgängerregierung der EU zunächst zugesagt hatte. Die EU-Kommission hatte Italien scharf kritisiert und dem Land einen "besonders ernsten Verstoß gegen die Budgetvorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspaktes" vorgeworfen.
Das Problem: Italien sitzt schon jetzt auf einem riesigen Schuldenberg von 132 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. In absoluten Zahlen sind das 2,3 Billionen Euro. Damit verstößt Italien gegen die Regeln des EU-Stabilitätspakts, wonach nur 60 Prozent Verschuldung erlaubt sind. Nach Griechenland ist Italien das Land mit der höchsten Staatsverschuldung in der EU. Hinzu kommt: Italien hat ein sehr niedriges Wirtschaftswachstum. "Experten befürchten daher, dass das nicht ausreichen wird, um die Staatsschulden auf Dauer zu bedienen", sagt NDR-Wirtschaftsredakteur Markus Plettendorf.
Wie wahrscheinlich ist ein Einlenken Italiens?
Beobachter rechnen nicht damit, dass die derzeitige Koalition aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsgerichteter Lega noch in wesentlichen Punkten einlenkt. Den Populisten spielt der Streit mit Brüssel in die Hände, weil sie damit ihre Wähler mobilisieren können. Zudem ist die Regierung davon überzeugt, dass die höheren Ausgaben nötig sind, um der Wirtschaft nach Jahren endlich wieder einen Schub zu versetzen. Außerdem will die Regierung mit den zusätzlichen Schulden teure Wahlkampfversprechen umsetzen, beispielsweise einen früheren Renteneintritt, Steuererleichterungen und eine Grundsicherung nach dem Vorbild von Hartz IV.
Was passiert, wenn Italien an seiner Position festhält?
Dann könnte die EU-Kommission bald ein offizielles Defizitverfahren einleiten. Dabei könnten die EU-Partner Italien mehr Haushaltsdisziplin verordnen. Verstößt Rom auch gegen diese Vorgaben, könnten die Finanzminister theoretisch finanzielle Sanktionen verhängen. In der Praxis ist dies bislang noch nie geschehen. Auch Spanien und Portugal verstießen 2016 gegen die Stabilitätsregeln, mussten aber keine Strafzahlungen leisten.
Und was, wenn Italien auch dann nicht einlenkt?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Italien mögliche Strafzahlungen gar nicht leisten würde, meint Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. Die Folge könnte sein, dass es zu einer Art Showdown zwischen EU und Italien kommt. Wenn die EZB dann noch, wie geplant ihr QE-Programm (direkter Ankauf von Wertpapieren) auslaufen lässt, fällt ein wichtiger Käufer italienischer Staatsanleihen aus. "Italien müsste dann schnell andere Käufer für auslaufende Staatsanleihen finden", sagt Mayer.
Das könnte aber schwer fallen, denn schon jetzt sehen die Ratingagenturen Italiens Kreditwürdigkeit auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Folge wäre: In Italien steigen die Zinsen, es verabschieden sich womöglich noch mehr Investoren aus dem Markt, die Bankkunden könnten beginnen, Geld aus italienischen Banken abzuziehen und ein Staatsbankrott droht - und damit womöglich auch eine neue Eurokrise.
Würde die EU nicht versuchen, das zu verhindern?
Wegen der gravierenden Folgen, die drohen, könnte die EU womöglich auch beide Augen zudrücken und versuchen, einen Kompromiss mit Italien zu finden. Also beispielsweise weiterhin als Käufer für italienische Staatsanleihen zur Verfügung stehen. "Das wäre dann aber ein fauler Kompromiss und es droht eine 'Liraisierung' des Euro", sagt der Ökonom Mayer. Seiner Ansicht nach wäre die Folge dann eine schwache Währung und eine hohe Inflation, was zwangsläufig in eine neue Eurokrise führen würde.
Müsste Italien dann unter den europäischen Rettungsschirm?
Das Problem ist: Italien ist das drittgrößte Land in der EU. Laut NDR-Wirtschaftsredakteur Plettendorf hat Italien siebenmal so viele Schulden wie Griechenland. "Da würde unsere Rettungsschirme schnell an ihre Grenzen stoßen." Ein Mitschleppen Italiens durch die anderen EU-Länder wäre also schlicht nicht möglich.
Plettendorf betont jedoch auch: "Wir haben im Moment keine Euro- und Schuldenkrise, niemand muss Italien konkret retten." Die Gefahr sei momentan auch nicht die Neuverschuldung oder ein drohendes Bußgeld, sondern vielmehr, dass die Finanzmärkte panisch reagieren und Italien den Geldhahn abdrehen.
Wie wäre das italienische Haushaltsproblem zu lösen?
"Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine umfassende Erneuerung der italienischen Wirtschaftsstrukturen", sagt der Ökonom Mayer. Denn tatsächlich lägen die Probleme in Italien viel tiefer als die reine Staatsverschuldung. Das Produktivitätswachstum sei zu niedrig, die Qualität des Bildungssystems liege deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, das Gerichtssystem funktioniere nicht. "Bei all diesen Indikatoren müsste nachgebessert werden, damit sich Italiens Probleme nachhaltig lösen lassen, meint Mayer. "Doch das versucht man schon seit 20 Jahren. Vielleicht muss man irgendwann einfach sagen, dass das nicht funktionieren wird."