Industrieanlage im Chemiepark Oberhausen, Nordrhein-Westfalen.
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Negative BDI-Prognose Wie schlimm steht es um die deutsche Industrie?

Stand: 22.04.2024 14:49 Uhr

Die deutsche Industrie warnt vor einem erneuten Rückgang ihrer Produktion in diesem Jahr. Doch der Motor der deutschen Wirtschaft läuft womöglich besser als gedacht.

Eine Analyse von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Die deutsche Industrie blickt pessimistisch auf das laufende Jahr, rechnet mit einem erneuten Rückgang ihrer Produktion. "Deutschland fällt 2024 voraussichtlich weiter zurück", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, heute zum Auftakt der Hannover Messe. "Wir rechnen mit einem Minus in der Industrieproduktion um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr."

Deutsche Industrie im Abwärtstrend

Es wäre der dritte Rückgang in Folge: 2022 sank die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe um 0,2 Prozent, 2023 lag das Minus bei 1,2 Prozent. Damit lag die Fertigung um rund neun Prozent unter dem Rekordniveau von 2018; der vor sechs Jahren eingeleitete Abwärtstrend ist weiter intakt.

Doch ein genauerer Blick auf die Datenlage zeichnet ein etwas positiveres Bild. Der negativen BDI-Prognose zum Trotz gibt es ein paar Hoffnungsschimmer - steht es also um die deutsche Industrie am Ende gar nicht so schlecht, wie es der alleinige Fokus auf die Industrieproduktion vermuten lässt?

Hoffnungsschimmer von der Chemie-Industrie

So sind die - zugegebenermaßen sehr schwankungsanfälligen - Auftragseingänge der deutschen Industrie im Februar gegenüber Januar leicht um 0,2 Prozent gestiegen. Spannend ist dabei vor allem der Blick auf die Chemie-Industrie: "Ein gewisses Hoffnungszeichen ist die etwas stärkere Nachfrage nach Produkten der chemischen Industrie, da diese der allgemeinen Konjunktur zumeist vorausläuft", bemerkt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen.

In diese Richtung zeigen auch die ifo-Geschäftserwartungen der Chemieindustrie: Der Indikator stieg von -14,9 Punkten im Februar auf -2,9 Punkte im März. "Die Auftragslage der Chemiebranche lässt zwar noch zu wünschen übrig, doch der Tiefpunkt der Krise scheint überwunden zu sein", sagt ifo-Branchenexpertin Anna Wolf.

Entlastung durch sinkende Energiepreise

Tatsächlich legte die Produktion in den energieintensiven Sektoren - die chemische Industrie benötigt von allen Industriezweigen mit Abstand die meiste Energie - im Februar den zweiten Monat in Folge zu. Damit beendete sie ihren mehr als zwei Jahre andauernden Abwärtstrend.

Hintergrund sind nach übereinstimmender Meinung von Experten die deutlich gesunkenen Energiepreise. Da die chemische Industrie zudem wichtige Vorleistungsgüter erstellt, dürfte sie eine Wende zum Besseren als erstes zu spüren bekommen. Insgesamt produzierte das verarbeitende Gewerbe im Februar 2,1 Prozent mehr als im Januar - das zweite deutliche Plus in Folge.

Wertschöpfung in der Industrie fällt weniger stark

Dass es der deutschen Industrie womöglich besser geht als gedacht, das zeigt auch ein Blick auf die Bruttowertschöpfung in der Industrie. Diese Kennzahl wird durch den Abzug von Vorleistungen von der Industrieproduktion berechnet, sodass nur der wirklich im Produktionsprozess geschaffene Mehrwert ermittelt wird.

Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa des Vermögensverwalters DWS, hält die Wertschöpfung daher für den geeigneteren Indikator, um den Status quo der deutschen Industrie zu bewerten: "Die Bruttowertschöpfung und nicht die Produktion bestimmt den Mehrwert des Wirtschaftens einzelner Unternehmen und somit auch der deutschen Konjunktur insgesamt." Nehme man die Bruttowertschöpfung als Maß, sei Deutschland von einer Deindustrialisierung noch weit entfernt.

Tatsächlich zeichnet die Wertschöpfung ein deutlich entspannteres Bild von der Lage der deutschen Industrie: Seit dem Hoch Anfang 2018 ist sie zwar gefallen, allerdings nur um rund fünf Prozent bis Ende des vierten Quartals 2023. Zum Vergleich: Die Industrieproduktion rauschte im gleichen Zeitraum um deutliche 13 Prozent in die Tiefe.

Leitet die EZB-Zinswende die Industrie-Wende ein?

Gretchenfrage für die Industrie ist nun, wann die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinswende einleitet - und wann die Zinssenkungen zu wirken beginnen. Aktuell rechnen Ökonomen und Marktexperten mit einer ersten Zinssenkung durch die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde im Juni.

Die Experten der Deutschen Bank sind skeptisch, dass sich dies im Verarbeitenden Gewerbe kurzfristig positiv niederschlagen wird. Analyst Eric Heymann rechnet vielmehr damit, dass sich die negativen Auswirkungen der Zinserhöhungen im vergangenen Jahr auch 2024 noch bemerkbar machen werden. Die Deutsche Bank erwartet daher für das laufende Jahr ein Produktionsminus von 2,5 Prozent und ist somit nochmals deutlich pessimistischer als der BDI.

Hoffen auf zweite Jahreshälfte

Commerzbank-Experte Solveen geht hingegen davon aus, dass sich die Produktion in der zweiten Jahreshälfte zumindest stabilisieren wird. "Die bremsende Wirkung der in den vergangenen beiden Jahren erfolgten weltweiten Zinserhöhungen dürfte allmählich nachlassen, wovon auch die Industrie profitieren sollte."

Hinzu kommt: Ab dem zweiten Halbjahr könnte sich auch ein statistischer Basiseffekt positiv bemerkbar machen, war der Rückgang der Industrieproduktion im dritten und vierten Quartal 2023 mit 2,0 respektive 2,2 Prozent doch schon sehr deutlich ausgefallen.

Nicht zuletzt macht auch das weltweite Anziehen der Industriekonjunktur Mut. So war der Einkaufsmanagerindex für die globale Industrie im Februar erstmals seit August 2022 über die Marke von 50 Punkten gestiegen, im März zog er dann weiter an auf 50,6 Stellen. Werte von über 50 deuten auf eine weltweit steigende Industrieproduktion hin - und das dürfte auch an der deutschen Industrie nicht spurlos vorübergehen.