Rezession in Deutschland "Das ist ein Auftrag an die Politik"
Deutschland steckt in der Rezession. Finanzminister Lindner forderte nun eine wirtschaftspolitische Zeitenwende. Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck zeigten sich zuversichtlich. CDU-Chef Merz sprach dagegen von einem Weckruf.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht in der starken Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland den wichtigsten Grund dafür, dass die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr in die Rezession gerutscht ist. Wegen ausbleibender Gaslieferungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sei die ökonomische Situation bereits seit dem Sommer schwierig. "Wir kämpfen uns aus dieser Krise raus", sagte der Grünen-Politiker bei einer Veranstaltung in Berlin.
Bundeskanzler Olaf Scholz warb trotz der zuletzt zwei Quartale hintereinander gesunkenen Wirtschaftsleistung für Zuversicht. "Die Aussichten der deutschen Wirtschaft sind sehr gut", sagte er in Berlin. Die Bundesregierung sei gerade dabei, etwa mit dem massiven Ausbau des Ökostroms "die Kräfte der Wirtschaft zu entfesseln". Die Investitionen sowohl in Batterie- oder Chipfabriken nähmen erheblich zu, zudem würden viele Milliarden Euro in den Ausbau des Stromnetzes und der Stromproduktion investiert. "Deshalb kann man sehr zuversichtlich sein", sagte der SPD-Politiker.
Sinkende Konsumausgaben der unter stark steigenden Preisen ächzenden Verbraucher hatten die deutsche Wirtschaft erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 in eine Rezession gestürzt. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte von Januar bis März um 0,3 Prozent zum Vorquartal. Damit ging es das zweite Quartal in Folge im Vergleich zum Vorquartal zurück. In diesen Fällen sprechen Ökonomen üblicherweise von einer technischen Rezession.
Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht aufgrund der schwachen Wirtschaftsdynamik Handlungsbedarf. "Das ist ein Auftrag an die Politik", sagte der FDP-Vorsitzende in Berlin. Deutschland drohe, auf Abstiegsplätze abzurutschen. Deswegen brauche es jetzt auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende, nachdem es diese bereits in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gegeben habe.
"Können uns nur aus eigener Kraft befreien"
Lindner sagte, die Regierung werde die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und mehr Fachkräfte anlocken. Außerdem werde es noch dieses Jahr weitere Maßnahmen geben, um Investitionsbedingungen zu verbessern. Konkret nannte Lindner eine stärkere Förderung von Forschung. Steuererhöhungen werde es dagegen nicht geben, eher weitere Entlastungen folgen.
Das FDP-geführte Justizministerium setzt im Kampf gegen die Rezession auf den Abbau von Bürokratie. "Deutschland ist durch externe Faktoren in die Rezession gerutscht, daraus befreien können wir uns nur aus eigener Kraft", betonte Staatssekretär Benjamin Strasser. Noch im Sommer sollten Eckpunkte für ein Gesetz zur Bürokratie-Entlastung vorgestellt werden. "Unsere Wirtschaft wollen wir von der bürokratischen Fußfessel befreien", so Strasser. Die Erleichterungen seinen "ein Wachstumsschub zum Nulltarif".
Merz: "Das muss den Bundeskanzler wachrütteln"
Unionsfraktionschef Friedrich Merz bewertete die Nachricht über den erneuten Rückgang der Wirtschaftskraft als einen Weckruf für Bundeskanzler Olaf Scholz. "Das muss den Bundeskanzler wachrütteln", sagte Merz der Nachrichtenagentur AFP. "So wie seine Ampel arbeitet, zweifeln viele Unternehmen an der Zukunft des Standorts Deutschland." "Hohe Energiepreise und keine klare Linie in der Wirtschaftspolitik verunsichern Unternehmer und Arbeitnehmer", sagte Merz.
Von der "Konzertierten Aktion" des Bundeskanzlers mit den Sozialpartnern zur Bekämpfung der Inflation sei "seit Monaten" nichts mehr zu hören. "Zugleich lässt der Bundeskanzler ein verkorkstes Heizungsgesetz durch sein Kabinett beschließen und lässt seine Koalition beim Industriestrompreis munter streiten", kritisierte der CDU-Chef. Dies sei "das Gegenteil von politischer Führung in einer Krise".
Ifo-Institut: Stimmung trübt sich ein
Ökonomen führten mehrere Gründe für die jüngste Entwicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts an. "Die massiv gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Eine schnelle, deutliche Wende erwarten Experten nicht. So hatten die Verbraucher in den ersten drei Monaten des Jahres ihre Ausgaben zurückgefahren. Der Privatkonsum dürfte Ökonomen zufolge das Sorgenkind bleiben.
Positive Impulse kamen im ersten Quartal von den Exporten und den Investitionen. Zu Jahresbeginn stützte der Außenhandel die Konjunktur und verhinderte so eine stärkere Rezession, weil die Exporte zulegten. Die Bauinvestitionen stiegen angesichts des milden Wetters und die Unternehmen steckten mehr Geld in Ausrüstungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge als im Vorquartal.
Allerdings sind die Aussichten gedämpft. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft trübte sich im Mai dem Ifo-Institut zufolge erstmals seit einem halben Jahr wieder ein. "Die deutsche Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest jüngst.
Ökonomen erwarten keinen Aufschwung
Angesichts der Rahmenbedingungen werden die kommenden Monate Volkswirten zufolge nicht einfach. "Das Wachstum wird auch im zweiten Quartal ein Ritt auf der Rasierklinge zwischen leichtem Wachstum und fortschreitender Rezession bleiben", erwartet Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Düster sehe es für das zweite Halbjahr aus.
Dann seien die Nachholeffekte in der Industrie aufgezehrt. Einen Ausgleich für den wohl weiter schwachen Privatkonsum und die angeschlagene Bauwirtschaft gebe es somit nicht mehr. "Licht am Ende des Konjunkturtunnels ist vorerst nicht zu erkennen", meint auch Konjunkturexperte Christoph Swonke von der DZ Bank.
Bundesregierung erwartet Wachstum im Gesamtjahr
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erwartet dagegen, dass sich der private Konsum und damit auch die Wirtschaftsleistung insgesamt im Jahresverlauf deutlich erholen dürften. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum in Europas größter Volkswirtschaft im Gesamtjahr um die Nulllinie herum bewegen dürfte.
Der IWF ist damit pessimistischer als die Bundesregierung, die in ihrer Ende April vorgestellten Frühjahrsprojektion ein Plus von 0,4 Prozent erwartete. Die EU-Kommission rechnete in ihrer jüngsten Prognose mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent für Deutschland im Gesamtjahr 2023.