Hintergrund

Hintergrund Der Flächentarifvertrag

Stand: 28.08.2007 22:52 Uhr

Das Scheitern des Arbeitskampfes in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie hat die Diskussion um das System der Flächentarifverträge neu entfacht. Ein Stichwort zum Thema

Löhne, Arbeitszeiten und andere Arbeitsbedingungen sind durch Flächentarifverträge, Firmentarifverträge und Einzelverträge geregelt. Flächentarifverträge stellen sicher, dass gleiche Mindestarbeitsbedingungen in den Betrieben einer Branche und eines Tarifgebietes gelten. Damit arbeiten die Firmen unter gleichen Voraussetzungen. Wettbewerbsvorteile durch Lohndumping sind so ausgeschlossen.

Grundsätzlich, da herrscht Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, sind Flächentarifverträge besser zu handhaben als Firmentarifverträge oder Einzelverträge. Sie verursachen geringere Regelungskosten, das heißt, die Betriebsleitung muss nicht selbst Zeit und Geld aufwenden, um Einzelverträge auszuhandeln. Darüber hinaus garantieren sie größere Rechts- und Planungssicherheit. Aufgrund der gesetzlich verankerten Friedenspflicht kann ein in einem Verband organisierter Betrieb weitgehend sicher sein, dass seine Kostenplanung über die gesamte Tarifvertragslaufzeit trägt.

Daher galt der Flächentarifvertrag bislang als eine Art ökonomische Friedensformel für Deutschland. Als Beispiel: In den USA, in denen es das System nicht gibt, fielen seit 1990 pro 1000 Arbeitnehmer durchschnittlich 41 Arbeitsttage im Jahr durch Streik aus, in Griechenland waren es 300, in Deutschland 12.

Aus Sicht des Staates ist mit dem Tarifvertragssystem vor allem eine wirkungsvolle Entlastungsfunktion verbunden. Er kann sich auf eine Schlichterrolle bei schweren Tarifkonflikten zurückziehen. Die Tarifautonomie ist das Recht von Gewerkschaften und Arbeitgebern die Arbeits- und Einkommensbedingungen ohne staatliche oder sonstige Eingriffe in freien Tarifverhandlungen festzulegen.

Mehr Flexibilität durch Firmentarifverträge

Beim Firmentarifvertrag dagegen tritt der Arbeitgeber als Tarifpartner auf und verhandelt mit der für seine Branche zuständigen Gewerkschaft. Der Vertrag wird in seinen einzelnen Bestandteilen nach den jeweils dort vertraglich festgelegten Fristen neu vereinbart. Eine häufige Form des Firmentarifvertrags besteht darin, dass der Betrieb den für die Branche abgeschlossenen Flächentarifvertrag anerkennt.

An verschiedenen Stellen des Flächentarifvertrags gibt es Öffnungsklauseln, die es ermöglichen, die spezifische betriebliche Situationen zu berücksichtigen. Auch ist das Vertragsmodell kein Zwangssystem. Wem als Unternehmer die Abschlüsse zu hoch oder zu unflexibel sind, der kann aus dem Tarifsystem aussteigen.

Diskussion um den Flächentarifvertrag

In jüngster Zeit stehen Flächentarifverträge häufig in der Kritik. Immer mehr Arbeitgeber steigen aus dem Tarifsystem aus und schließen Hausverträge ab. Ein Grund ist, dass in einer konjunkturellen Hochphase vereinbarte Standards später möglicherweise nicht zu halten sind. Auch deshalb treten gerade im Osten immer mehr Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband mit Flächentarifbindung aus. Viele Firmen treten Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung, so genannten OT-Verbänden, bei. Arbeitskämpfe verstärken diesen Trend.

In der Metallbranche existieren inzwischen parallel zu fast allen Regionalverbänden mit Tarifbindung "OT-Verbände". In der sächsischen Metall- und Elektroindustrie etwa sind 22 Prozent der Beschäftigten in Unternehmen angestellt, die Mitglied im Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME) sind, dem Verband mit Bindung an den Flächentarifvertrag.

Vor Beginn des Arbeitskampfes in Ostdeutschland traten 15 Unternehmen aus dem VSME aus und wechselten zur Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen (AGS). Arbeitgeber, die aus dem VSME aussteigen, müssen sich allerdings noch so lange an den Flächentarifvertrag halten, bis sie mit der Gewerkschaft einen Haustarifvertrag vereinbart haben. In diesen Abschlüssen dürfen sie dann vom Flächentarifvertrag abweichen. Die meisten Beschäftigten in Sachsen arbeiten allerdings in Betrieben, die weder einem Verband mit Bindung an den Flächentarifvertrag noch einem OT-Verband angehören. Dennoch hat der Flächentarifvertrag auch bei den Einzellösungen nach Expertenansicht eine Orientierungsfunktion.

Besonderheiten der Metall- und Elektroindustrie

Die deutsche Metall- und Elektroindustrie (M+E-Industrie) bildet ein Netzwerk von kleinen, mittleren und großen Unternehmen, deren Produktion kreuz und quer miteinander verzahnt ist. Deswegen können sich die Folgen eines Streiks auch so schnell potenzieren (etwa durch Streik beim Zulieferer, Kurzarbeit beim Autohersteller). Rund 90 Prozent aller inländischen Zulieferungen der Metall und Elektroindustrie stammen aus der M+E-Industrie selbst. 60 Prozent aller inländischen Lieferungen der M+E-Industrie fließen in Betriebe, die ebenfalls der Branche angehören.

von Almuth Knigge, tagesschau.de