Antrag auf Bundesparteitag CDU-Spitze öffnet sich für Lohnuntergrenzen
Jahrelang sperrte sich die CDU gegen feste Untergrenzen für Löhne - jetzt vollzieht die Partei den Kurswechsel. Auf dem Parteitag in zwei Wochen soll er beschlossen werden. Demnach sollen die Tarifparteien die Lohnuntergrenzen festlegen. "Es geht nicht um einen politischen Mindestlohn", stellte Generalsekretär Gröhe im Bericht aus Berlin klar.
Die CDU will mehr für ihr soziales Profil tun und bereitet einen Kurswechsel vor. Auf dem Bundesparteitag in zwei Wochen soll eine verbindliche Lohnuntergrenze von mindestens 6,90 Euro in Deutschland beschlossen werden. Jahrelang hatte die Partei diese Forderung von Opposition und Gewerkschaften vehement abgelehnt, nun schwenkt die Partei-Spitze um.
Von einem Mindestlohn mag man bei der CDU aber weiterhin nicht sprechen. Schon im Koalitionsvertrag legten sich CDU und FDP auf die Ablehnung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns fest. So heißt es nun auch in der Empfehlung der Antragskommission für den bevorstehenden Leipziger Parteitag: "Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn." Die CDU halte es es für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert.
Im Bericht aus Berlin machte Generalsekretär Hermann Gröhe klar: "Es geht nicht um einen politischen Mindestlohn." Die CDU wolle, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Lohnuntergrenzen vereinbaren. Dies gelte für den Bereich nicht tariflich gebundener Arbeitsplätze. "Das ist kein Linksruck."
Autonomie der Tarifparteien bleibt gewahrt
Bestimmen soll die Untergrenze eine Kommission der Tarifparteien. Aus dem Konrad-Adenauer-Haus hieß es, die Tarifparteien sollten stets die Hoheit bei der Festlegung von Untergrenzen haben, deren Autonomie solle nicht angetastet werden. Die Höhe der Lohnuntergrenze soll sich am Tarifniveau der Zeitarbeit orientieren. Der Mindestlohn dieser Branche liegt bei 6,89 Euro pro Stunde im Osten und bei 7,79 Euro im Westen.
Diese Empfehlungen werden ausdrücklich auch von Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel mitgetragen. Sie reagiert damit auf Forderungen in der eigenen Partei - vor allem des Arbeitnehmerflügels. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) macht sich seit langem für einen allgemeinen Mindestlohn stark. Anders der Wirtschaftsflügel: Der warnte mehrfach vor einem allgemeinen Mindestlohn. Laut "Welt am Sonntag" hatte Merkel die Vertreter beider Flügel vergangene Woche gebeten, ein gemeinsames Modell zu erarbeiten und sich mit Gewerkschaften und Arbeitgebern abzusprechen.
Ein Mittelweg
Die Partei geht nun einen Mittelweg zwischen beiden Positionen: Sie setzt sich einerseits deutlich von der Forderung nach einem allgemeingültigen, gleichen und gesetzlich festgelegten Mindestlohn für alle ab. Denn ausdrücklich werden jene Branchen nicht berührt, in denen es bereits Mindestlöhne gibt. Es sollen vielmehr die "schwarzen Löcher" gefüllt werden, in es denen Tarifparteien bisher nicht geschafft haben, Lohnuntergrenzen festzulegen. Zum anderen wird ein "politischer Mindestlohn" - also eine vom Staat gewählte Lohnuntergrenze - abgelehnt.
Der Arbeitnehmerflügel zeigte sich zufrieden mit dem Kompromiss. CDA-Chef Karl-Josef Laumann begründete die Notwendigkeit einer Lohnuntergrenze mit dem christlichen Menschenbild. Wenn Menschen acht Stunden am Tag arbeiteten, müssten sie auch davon leben können. Eine Arbeit, bei der dies nicht der Fall sei, habe keine Würde, sagte der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionschef der ARD.
Die Bundes-CDU müsse sich eingestehen, dass es teilweise zu niedrige Löhne in Deutschland gebe, sagte auch Laumannns Parteifreund, Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister. "Die Frage der angemessenen Bezahlung ist von zentraler Bedeutung für die soziale Gerechtigkeit", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".
Arbeitsministerin spricht von offen Mindestlohn
Bundesarbeitministein Urusla von der Leyen nahm sogar das Wort "Mindestlohn" in den Mund. "Die Frage ist nicht mehr, ob wir einen Mindestlohn haben werden, sondern wie man die richtige Höhe aushandelt", sagte die CDU-Politikerin der "Süddeutschen Zeitung". Dies sähen viele Arbeitgeber ähnlich. Ziel sei eine Lohnuntergrenze, die die Tarifparteien fänden. Dieses Verfahren habe sich bei den Mindestlöhnen, die jetzt schon für einzelne Branchen gelten, bewährt.
Die FDP, die gesetzlich festgelegte flächendeckende Mindestlöhne vehement ablehnt, dürfte die Pläne des großen Koalitionspartners mit Sorge beobachten. FDP-Generalsekretär Christian Lindner meldete sich in der "Süddeutschen Zeitung" zu Wort: Er sei froh, dass die Union offenbar nicht über einen von der Politik festgelegten Mindestlohn nachdenke. "Einen Linksruck könnten wir nicht unterstützen."
Beifall von Opposition und DGB
Gewerkschaft und Opposition sehen den Kursschwenk der CDU in Sachen Mindestlohn mit Genugtuung und Wohlwollen. Der DGB erklärte, er stehe für Gespräche über eine konkrete Ausgestaltung eines allgemeinen Mindestlohns zur Verfügung. Die im europäischen Vergleich moderate DGB-Lösung von 8,50 Euro pro Stunde sei das Mindeste, um den Betroffenen ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Die SPD sei gern bereit, sich schnell mit der Koalition zusammenzusetzen und ein Gesetz zu verabreden, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil der "Braunschweiger Zeitung". Auch Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte "konkrete gesetzgeberische Schritte" an.
Der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, brachte einen "parteiübergreifenden Mindestlohnkonsens" ins Gespräch - am besten noch in diesem Jahr. "Angesichts des sich immer schneller ausbreitenden Niedriglohnsektors ist klar, dass wir beim Mindestlohn jetzt klotzen müssen und nicht kleckern dürfen."