Gewächshaus der Zukunft Im Silicon Valley der Landwirtschaft
In den Niederlanden entwickeln Forscher der Universität Wageningen das Gewächshaus der Zukunft. In Zeiten von Erderwärmung und Arbeitskräftemangel setzen sie auf nachhaltige, automatisierte Landwirtschaft.
Kurz nach Sonnenaufgang leuchtet es rosa in den Vororten von Rotterdam. Gewächshäuser stehen kilometerlang eng aneinandergereiht neben der Autobahn, die zum Hafen führt. Das künstliche Licht, das von drinnen schimmert, umgibt den morgendlichen Berufsverkehr mit einer beinahe gespenstischen Atmosphäre.
Neben unzähligen kommerziellen Betrieben, die Paprika, Gurken und Salate für große Supermarktketten züchten, forscht die Universität Wageningen hier in Bleiswijk am Gewächshaus der Zukunft. Das Institut gilt weltweit als eine Art "Silicon Valley der Landwirtschaft" - als wichtigste landwirtschaftliche Forschungseinrichtung der Welt.
Wasserrecycling im Anbau
Frank Kempkes ist früh auf den Beinen. Sein graues Rad lenkt er zwischen zwei Gewächshäusern hindurch Richtung Erdbeerenzucht. Als Spezialist für Energie forscht der Agraringenieur am nachhaltigen, CO2-neutralen Treibhaus.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Kempkes und seine Kollegen an vielen Stellschrauben drehen. Bei den Erdbeeren fallen sofort unzählige weiße Schläuche auf, die sich unter den Pflanzen entlangziehen. Daneben tropft Wasser aus den Zuchttöpfen in schwarze Behälter.
Ziel ist es, so viel Wasser wie möglich in einer Art Kreislauf zu recyceln. Es wird aufgefangen und wieder genutzt - auch die Feuchtigkeit, die verdunstet. "Die größte Herausforderung ist: Wie können wir die Verdunstung von Wasser verringern?", erklärt Kempkes. "Im Gewächshaus versuchen wir, die ideale Temperatur und Feuchtigkeit für jede Sorte herzustellen, damit weniger Wasser verloren geht."
Hightech und Präzision
Die Erdbeeren leuchten grellrot - hängen schwer und prall nach unten. Ihr Nährboden besteht aus Erde und Kokosfasern. Die speziellen Züchtungen tragen deutlich länger Früchte als konventionelle. Die Saison dauert hier acht Monate, weil neben den reifen Früchten immer wieder neue heranwachsen und so eine kontinuierliche Ernte ermöglichen.
Effizienz wird in den Niederlanden großgeschrieben: Nirgendwo weltweit erreicht ein Land mehr Ertrag pro Fläche. Das weiter zu optimieren, geht laut Kempkes nur mit Hightech und Präzisionslandwirtschaft.
Was das bedeutet, zeigt er nebenan, wo Gurken wie in einem Dschungel wachsen. Sie wurzeln in Steinwolle, werden mit einer Nährlösung gezüchtet und ziehen ihre gewickelten Ranken viele Meter lang durch die Reihen. Mittlerweile erntet Kempkes hier auf einem Quadratmeter 270 Gurken pro Jahr.
Wärmepumpen und "smartes Glas"
Dieser Ertrag wird auch möglich durch eine vollautomatisierte Technik, bei der so genanntes "smartes Glas" die Sonneneinstrahlung besser auf alle Pflanzen verteilt und ein Klima-Kontrollcomputer drei verschiedene Isolierfolien unter dem gläsernen Dach ausfahren kann. Zusätzlich wird CO2 eingeleitet, um das Wachstum zu beschleunigen.
Entscheidend für das klimaneutrale Gewächshaus der Zukunft sei jedoch die Energiefrage, erklärt Kempkes. "Wir müssen den Energieverbrauch drastisch reduzieren und klimafreundliche Wärmepumpen einsetzen, damit wir dieses Ziel erreichen." Wärmepumpen können sowohl das Treibhaus im Winter heizen als auch helfen, Feuchtigkeit zu regulieren.
Roboter ersetzen Erntehelfer
Ein Gewächshaus weiter blühen unzählige Gerbera unter künstlichem LED-Licht bei hoher Luftfeuchtigkeit und 18 Grad. Die Ruhe wird hier nur durch das leise Quietschen eines Roboters gestört. Er rollt durch die Reihen der eng nebeneinander stehenden Blüten und erfasst jede von ihnen dank einer KI-gestützten Software schneller als das menschliche Auge, um vorauszusagen, wie hoch der Ernteertrag sein wird.
Die Forschung an Ernte-Robotern wird teilfinanziert vom niederländischen Verband der Blumenzüchter. Sie hoffen auf eine zunehmende kommerzielle Nutzung von Robotern in Gewächshäusern, weil sie einen zunehmenden Fachkräftemangel in der Landwirtschaft erwarten.
"Ich hoffe, dass wir bei der Robotisierung große Fortschritte machen", erklärt Kempkes gegenüber dem ARD-Europamagazin. "Im Jahr 2040 wird die Ernte in modernen Gewächshäusern wohl weitgehend automatisiert ablaufen." Auch auf den Feldern dürften laut Kempkes immer weniger Arbeitskräfte nötig sein. "Entscheidend ist, ob vollautomatisierter Anbau rentabel sein wird."
Vollautomatisierte Erntehelfer: Roboter hegen und pflegen die Gerbera bei optimalen Bedingungen.
Alles hängt vom Energieverbrauch ab
Derzeit baut das dänische Start-up Nordic Harvest in Kopenhagen in seiner Indoor-Farm Minze, Basilikum, Rucola und jungen Spinat auf 14 Etagen an. Restaurants und Supermärkte gehören zu den Kunden. Ob sie weitere Investoren finden, um weitere Gewächshäuser zu bauen, hängt auch davon ab, ob sie langfristig profitabel wirtschaften können.
Denn der Energieverbrauch von Indoor-Farmen ist vergleichsweise hoch, was direkten Einfluss auf die Lebensmittelpreise hat. 2023 musste die niederländische Tochterfirma des Start-Ups Infarm angesichts gestiegener Energiepreise Konkurs anmelden.
An der Universität Wageningen glaubt Forscher Kempkes dennoch an den langfristigen Erfolg moderner Gewächshäuser. Neben ihm stoppt ein Ernteroboter mitten im Meer aus Gerbera-Blüten. Filigran fasst der weiße Greifarm nach der Blüte, während eine Schiene unten den Stiel abschneidet. Technisch ist die Ernte kein Problem mehr. Unklar ist nur, ob sie sich in Zukunft auch wirtschaftlich lohnt.