EuGH verhandelt über Kauf von Staatsanleihen Es geht um Macht und Geld

Stand: 14.10.2014 05:27 Uhr

Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, hat die Schuldenkrise beruhigt. Ob sie damit gegen EU-Recht verstößt, prüft ab heute der Europäische Gerichtshof. Dabei geht es auch um das Machtgefüge in der EU.

Von David Rose, tagesschau.de

Für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist der Fall schlicht die Rechtssache "Gauweiler u.a.". Doch in diesem Verfahren geht es um Macht: um die Macht der Worte, um die Macht des Rechts und um die Machtverteilung in der EU. Und es geht um Geld: um Schulden und Zinsen, um die Notenpresse und verbotene Staatsfinanzierung.

Drei Worte, die alles veränderten

Angefangen hat alles mit den drei Worten "whatever it takes". Im Juli 2012 kündigte EZB-Präsident Mario Draghi an, die Notenbank sei bereit "zu tun, was immer nötig sein wird, um den Euro zu schützen". Er signalisierte damit den Finanzmärkten, dass niemand mehr Angst um sein Geld haben müsse, wenn er es Staaten der Eurozone leiht. Notfalls werde die EZB den Anlegern die Papiere abkaufen.

Im September 2012 folgte den Worten der OMT-Beschluss der EZB. OMT steht dabei für die Einführung von "Outright Monetary Transactions". Die Notenbank erklärte sich bereit, unbegrenzt Staatsanleihen von Ländern zu kaufen, die Hilfen der europäischen Rettungsschirme EFSF oder ESM in Anspruch nehmen und sich zu Reformen verpflichtet haben. Die EZB kauft diese Papiere den Regierungen keinesfalls direkt ab, sondern erwirbt Staatsanleihen, die unter Investoren bereits gehandelt werden. Zwischen 2010 und 2012 hatte die Zentralbank bereits Staatsanleihen im Wert von 220 Milliarden Euro eingesammelt - davon hat die EZB heute noch Papiere im Wert von 149,1 Milliarden Euro in ihren Beständen.

Durchschlagende Wirkung auf die Märkte

Im Rahmen des neuen OMT-Programms erwarb die EZB zwar noch keine einzige Staatsanleihe. Auf den Finanzmärkten zeigte es dennoch durchschlagende Wirkung. In den Wochen vor Draghis Ankündigung stiegen die Zinsen für zehnjährige spanische Staatsanleihen auf bis zu 7,5 Prozent, bei italienischen Papieren mit dieser Laufzeit waren es fast 6,5 Prozent. Nach Draghis Rede und dem OMT-Beschluss sackten die Zinsen ab. Heute sind es bei beiden Staaten zwischen 2,0 und 2,5 Prozent. Umso mehr fürchten einige, dass die Schuldenkrise der Eurozone wieder eskalieren könnte, falls der EuGH der EZB den Anleihekauf verbieten oder einschränken sollte.

Ob die Zentralbank mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschritten hat, ist die zentrale rechtliche Frage des Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht zeigte sich davon weitgehend überzeugt. Denn der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen sei in erster Linie eine wirtschaftspolitische Maßnahme, die den Mitgliedsstaaten zustehe, und diene offenbar der Umgehung des Verbots der Staatsfinanzierung. Doch die deutschen Verfassungsrichter entschieden sich in diesem Fall zum ersten Mal dafür, die grundlegenden Fragen den Kollegen in Luxemburg zur Entscheidung vorzulegen. Sie machten zugleich deutlich, dass sie sich das endgültige Urteil in der Sache vorbehalten.

Das wiederum sorgt in der EU zu Beginn des Verfahrens für Widerspruch. In seiner Stellungnahme für das Gericht zeigte sich Italien empört, dass sich die deutschen Verfassungsrichter die endgültige Entscheidung vorbehalten. Für die Beurteilung des EU-Rechts sei allein der EuGH zuständig, findet auch die spanische Regierung. Nicht wenige in Europa sehen den richtigen Zeitpunkt gekommen, die selbstbewussten deutschen Verfassungsrichter in die Schranken zu weisen, die mit mehreren Urteilen Einfluss auf die Euro-Rettung genommen haben.

Viel EU-Unterstützung für EZB

In der Sache selbst hoffen nicht nur viele Euro-Staaten aus wirtschafts- und haushaltspolitischer Sicht auf eine Rückendeckung für den Anleihekauf durch die EZB. Die EU-Kommission vertritt die Auffassung, dass die EZB weitgehend selbst entscheiden müsse, welche Schritte sie im Rahmen ihrer Geldpolitik einleitet. Und von Seiten des Europaparlaments wird angeführt, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht durch Anweisungen anderer Organe in Frage gestellt werden dürfe. Die EZB dürfte nach dieser Lesart allein darüber entscheiden, wie weit ihre Kompetenzen reichen.

In Luxemburg geht es damit nicht nur um ein Programm, das zur Euro-Stabilisierung beigetragen hat. Es geht auch um den Einfluss der Mitgliedsstaaten auf EZB-Entscheidungen, die die Steuerzahler im schlimmsten Fall viele Milliarden kosten könnten. Es geht auch um die Frage, welche Rolle der EuGH und das Bundesverfassungsgericht bei der Interpretation des EU-Rechts für sich in Anspruch nehmen. Die Karlsruher Richter gaben ihren Kollegen in Luxemburg nicht nur eine klare eigene Sicht mit auf den Weg, sondern gleich auch noch mögliche Auflagen, mit denen sie das OMT-Programm noch als rechtens interpretieren würden. Dazu zählen eine Begrenzung möglicher Käufe, eine grundsätzliche Kopplung an die Zustimmung durch die EU-Staaten sowie eine Auslegung, die verhindert, dass betroffenen Staaten die Auflagen zu politischen Reformen umgehen, zu denen sie sich als Gegenleistung für Hilfsprogramme der europäischen Rettungsschirme verpflichten.

Verfahren wird Machtgefüge verändern

Für die Kläger des ursprünglichen Verfahrens in Deutschland, zu denen neben dem Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und mehreren Wirtschaftsprofessoren inzwischen mehr als 10.000 weitere Bürger zählen, geht es um etwas ganz anderes: Sie wollen das OMT-Programm stoppen. Dass die EU-Richter diesen Wunsch erfüllen, gilt aber als unwahrscheinlich.

Juristen vermuten, dass der EuGH sich aber auch nicht komplett über die Bedenken aus Karlsruhe hinwegsetzen und der EZB freie Hand geben wird. Denn darüber könnten sich die deutschen Verfassungsrichter möglicherweise hinwegsetzen. Die Folge wäre ein fundamentaler Konflikt. Aber auch eine mit Auflagen verbundene Billigung des OMT-Programms könnte zu erheblichen Problemen führen. Denn entweder wären die Einschränkungen so gravierend, dass die beruhigende Wirkung auf die Märkte verfliegen könnte. Oder die Vorgaben fallen so überschaubar aus, dass es das Bundesverfassungsgericht für notwendig hält, dennoch auf Konfrontationskurs zu gehen. Das Urteil wird erst in einigen Monaten fallen, doch das Verfahren wird bereits das Machtgefüge in der EU verändern.