"PS-Protzerei" im Autoverkehr Was tun gegen illegale Rennen und Raser-Unfälle?
Statistisch kommt es jeden Tag fünf Mal zu einem illegalen Rennen auf deutschen Straßen. Hersteller von Autos mit 600 PS verweisen auf eingebaute Assistenzsysteme. Doch die verhindern nicht, dass es tödlich ausgehen kann.
"Baby", "Schorschi" oder "die fette Elke": Jeder dritte Autobesitzer gibt seinem Auto einen Namen, so ein Ergebnis einer Umfrage der Tankstellenkette HEM. "Des Deutschen liebstes Kind" wird personalisiert, individualisiert, ein Familienmitglied. Dabei reicht manchen Enthusiasten kein Auto von der Stange, vom Fließband. AMG, Brabus oder Alpina heißen die sogenannten Tuner, Performance-Marken oder Veredeler. Mehr als 50.000 solcher Fahrzeuge werden laut einer aktueller Branchenstudie im Jahr zugelassen. Doppelauspuff, Breitreifen, mehr Leistung unter der Motorhaube: So erzielen Hersteller und Tuning-Ausrüster sechs Milliarden Euro Umsatz im Jahr.
Auch der eigene Fahrstil soll sich abheben, im Straßenverkehr eine persönliche Note hinterlassen. Aus der Branche heißt es, dieser Markt sei weit überwiegend von Personen geprägt, "die sich ganz eindeutig von der Poser- oder Raser-Szene abgrenzen". Harald Schmidtke vom Verband der Automobiltuner appelliert: "Die Randgruppe der Poser und Raser sollte nicht mit der 'Tuningszene' gleichgesetzt werden". Doch bescheidene Klein- oder Mittelklassewagen sind sehr selten auf Fotos von Unfällen zu sehen, die mit einer mutmaßlichen Raser-Tat in Verbindung gebracht werden.
Momentaufnahmen von Unfällen allein aus diesem Jahr. Hamburg, Fahrer 19 Jahre jung, Mercedes-AMG mit 612 PS: ein Toter. Dortmund, Fahrer 19, die PS des BMW sind unbekannt: ein totes Kind. Frankfurt, Mercedes-AMG mit mehr als 600 PS: ein Schwerverletzter. Kiel, Fahrer unbekannt, Audi S8 mit 571 PS: Sachschaden. Herford, Fahrer 19, Mercedes-AMG, PS unbekannt: Sachschaden. Hamburg, Fahrer 19, Mercedes-AMG mit 639 PS: Sachschaden. Kassel, Fahrer 25, Mercedes-AMG, PS unbekannt: zwei Schwerverletzte.
Meist junge Männer am Steuer
Eine Marke, die in diesem Zusammenhang auffällt, ist Mercedes-AMG. "Ein Verhalten, das andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, verurteilen wir aufs Schärfste. Sicherheit ist ein zentrales Element unserer Marke", sagt Unternehmenssprecher Felix Siggemann. Er verweist auf Assistenzsysteme wie einen Bremsassistenten mit Fußgängererkennung. Modellabhängig biete Mercedes-AMG einen sogenannten Fahranfänger-Modus an, der die Beschleunigung einschränke. Aber: "Auch hochmoderne Assistenzsysteme agieren innerhalb der physikalischen Grenzen."
Raser sind vor allem junge Männer - vielleicht 19, Anfang 20. "Für einen Teil definiert die Stärke des Autos ein eigenes Machtgefühl, die anderen unterschätzen schlichtweg mögliche Gefahren", sagt Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Deutschen Versicherer. Geltungs- und Geschwindigkeitssucht schalten dann anscheinend das Gehirn in den Leerlauf, Gefahr für sich und andere sowie drohende Strafen erreichen nicht mehr das Verantwortungsbewusstsein.
Wie dieser "Raserdeure" Herr werden? Seit 2017 gilt: Wer ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet, durchführt oder daran teilnimmt, wird mit Geldstrafe oder bis zu zwei, bei schweren Personenschäden mit bis zu zehn Jahren Haft sanktioniert. Ausgebremst hat dieses Gesetz Raser nicht: Das Kraftfahrtbundesamt zählt 1.733 illegale Autorennen vergangenes Jahr, unter ihnen auch sogenannte Alleinrennen, bei dem der Fahrer ohne Konkurrenten raste. Und nicht jedes Rennen wurde aktenkundig.
"In einer Art Parallelwelt"
"Bei Rasern und Posern handelt es sich um eine kleine Minderheit, die in einer Art Parallelwelt lebt und sich von gesellschaftlichen Konventionen und Normen verabschiedet hat", sagt Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP).
Also den fahrbaren Untersatz unterm Bleifuß wegziehen? Auch die deutsche Gesetzgebung ermöglicht den Einzug von Kfz, die in ein illegales Autorennen verwickelt waren. Doch wie oft griff die Justiz zu diesem Mittel? Diese Zahl kennt das Bundesjustizministerium nicht. Auch aus dem zuständigen Ministerium in Nordrhein-Westfalen, 2023 Austragungsort von 330 illegalen Autorennen, heißt es, es lägen keine statistisch belastbaren Daten vor. Laut Justizministerkonferenz bedürfte es hierfür "einer händischen Auswertung sämtlicher in Betracht kommender Akten".
Einzelne Staatsanwaltschaften haben sich die Arbeit gemacht. In Berlin, wo es im vergangenen Jahr 143 illegale Auto-Rennen gab, geht Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner von 25 Einziehungen aus, davon wohl fünf unter Vorbehalt - mit der Anweisung an den Verurteilten, das Fahrzeug zu veräußern.
Österreich zieht Autos aus dem Verkehr
Bemerkenswert: Es sind 25 Einziehungen seit 2017. "Denn in 70 bis 80 Prozent der Fälle nutzen Täter Fahrzeuge, die nicht ihr Eigentum sind, insbesondere Mietfahrzeuge oder solche von Carsharing-Unternehmen", erklärt Büchner. Der Nachweis leichtfertigen Handelns des Vermieters sei kaum zu erbringen. "Zumal viele, auch unseriösere, Autovermieter im Mietvertrag ausdrücklich zum sorgsamen Umgang mit dem Mietfahrzeug ermahnen." Oft seien die Fahrzeuge auch darlehensfinanziert, Eigentümer also die Bank.
Ist der Täter dann doch mal Eigentümer, sei er oft auch Ersttäter. Das wirke sich auf die Verhältnismäßigkeit der Einziehung aus, so Büchner. "Was letztlich - kurz gesagt - darauf hinausläuft: 'Je teurer das Auto, desto geringer die Einziehungswahrscheinlichkeit'."
Könnte die Politik das nicht ändern? Österreich geht diesen Weg seit März, entzieht Rasern das Fahrzeug, wenn sie 60 km/h innerorts und 70 km/h außerorts zu schnell sind. Nach einer Prüfung, wie sich der Raser bisher verhalten hat, droht ihm die Versteigerung seines Autos. Die österreichische Bundespolizei nahm so seit März bereits 64 Fahrzeuge von der Straße - zumindest vorläufig, bis ein Gericht sich mit der Angemessenheit befasst hat.
Ähnlich verfährt Dänemark seit mittlerweile drei Jahren. Und das Verkehrsministerium in Kopenhagen meldet stolz rund 3.000 beschlagnahmte Fahrzeuge, unter ihnen aber auch Fälle von Alkoholfahrten ohne Raserei. Ernüchternd hingegen die Statistik der Schweiz: Seit elf Jahren haben Gerichte dort die Möglichkeit, das Fahrzeug einzuziehen und zu verkaufen. Dennoch stieg in dieser Zeit die Zahl der Delikte.
Mehr stationäre Blitzer?
Fachleute sehen einen Ansatz darin, potenzielle Raser im Vorfeld zu bremsen. Das reicht von mehr Polizeikontrollen mit persönlicher Ansprache bis hin zu umfangreicher Verkehrspädagogik wie "Crash Kurs NRW": Einsatzkräfte, aber auch Hinterbliebene oder Ersthelfer besuchen Schulen und Berufskollegs, schildern jungen Menschen Szenen, die sie bei schweren Verkehrsunfällen erleben mussten.
Aus Sicht von Unfallforscherin Zeidler könnten mehr stationäre Geschwindigkeitskontrollen eine Möglichkeit sein - auf Straßen, die für illegale Rennen bekannt sind: "Wenn alle paar Hundert Meter ein Blitzer steht und über die Stadt verteilt mobile Geräte, ließen sich Raser schneller aus dem Verkehr ziehen." Einen ähnlichen Effekt könnten "Drempels" haben, kleine Hügel über die Fahrbahnbreite, die in den Niederlanden und in Frankreich üblich sind. Dort wird es ungemütlich, wenn man zum Beispiel mit mehr als 50 Stundenkilometern drüberfährt.
Oder wie wäre es mit einem extra Führerschein? Autos mit einer höheren Leistung dürften dann nur mit entsprechender Prüfung gelenkt werden. Klingt unrealistisch? Bei Motorrädern ist das seit 1986 üblich: Ohne Probezeit, Mindestalter und einer längeren Zeit im Führerscheinbesitz gibt es nicht mehr Leistung.
Deutscher Widerstand gegen neue Führerschein-Regeln
Karima Delli, Vorsitzende im EU-Verkehrsausschuss, stellte im Herbst einen Entwurf für die neue Führerscheinrichtlinie vor. PS-Protze hätte der Entwurf ausgebremst: Einen Pkw-Führerschein Klasse B sah er nur für höchstens 1,8 Tonnen schwere Fahrzeuge vor; wer es schwerer haben möchte, müsste demnach einen Führerschein B+ machen und mindestens 21 Jahre alt sein. Und: Fahranfänger sollten höchstens 90 km/h schnell fahren dürfen.
Doch die Kritik kam im Rasertempo: Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, twitterte, er lehne die Vorschläge "entschieden ab". Und sogar der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour kritisierte, ein Extraführerschein für SUV gehe "komplett an der Realität der Leute vorbei und ist Unsinn", sagte Nouripour der Augsburger Allgemeinen. Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der Union, sprach dennoch generell vom "Elfenbeinturm mancher grüner Politiker".
Die harte Realität spielt sich indes ganz unten am Boden ab - in Straßengräben, auf Fußgängerüberwegen: Nach dem Unfall in Dortmund Ende Juni starb ein elf Jahre alter Junge. Er ging bei Grün über die Straße, als ihn der Raser totfuhr.