SPD-Steuerkonzept "Mehr von oben nach unten"
DIW-Präsident Fratzscher hat das Steuerkonzept gelobt, das SPD-Kanzlerkandidat Schulz vorgestellt hat. Es sei richtig, Menschen mit geringen Einkommen zu entlasten. Doch wie stimmig ist das Konzept? Darüber sprach der Wirtschaftsexperte mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Wie kohärent ist das SPD-Steuerkonzept?
Marcel Fratzscher: Das SPD-Steuerkonzept scheint einen klaren Plan zu haben, eine klare Priorität auf öffentliche Investitionen. Dort sollen knapp 30 Milliarden Euro mehr aufgewendet werden. Das ist eine wichtige Priorität, zu sagen, die Überschüsse sollen für öffentliche Investitionen und nicht in erster Linie für Steuersenkungen oder Schuldenabbau gebraucht werden.
Zudem halte ich es für wichtig, dass man gerade die Gruppen entlastet, die davon am meisten profitieren, und die das Geld auch am dringendsten benötigen: Alleinerziehende und Menschen mit geringem Einkommen. Auch hier hat die SPD klare Vorschläge gemacht. Man muss sich jetzt anschauen, was das konkret bedeutet, wie viel Euro jeder Alleinerziehende, jede Alleinerziehende mehr in der Tasche hat.
Marcel Fratzscher leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Der Ökonom berät die Vereinten Nationen und ist Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums.
Solidaritätszuschlag fällt ohnehin bald weg
tagesschau.de: Der Solidaritätszuschlag soll zunächst für untere und mittlere Einkommen wegfallen. Höhere Einkommensbezieher sollen weiterhin bezahlen. Über kurz oder lang muss der Soli sowieso wegfallen, schon aus verfassungsrechtlichen Gründen. Zieht die SPD etwas vor, was ohnehin kommen muss?
Fratzscher: Die Abschaffung des Solis steht fest. Die SPD schlägt vor, dass man das graduell macht. Also erst einmal die Menschen mit geringem Einkommen davon ausnimmt oder teilweise entlastet, dann erst die Menschen mit hohen Einkommen. Dass diese Abgaben wegfallen, davon profitieren alle. Wovon allerdings die Menschen mit geringem Einkommen vor allem profitieren, ist die Reduzierung der Sozialabgaben für Menschen mit Einkommen bis zu 1300 Euro. Das hilft diesen Menschen, mehr Geld in der Tasche zu haben und gleichzeitig ihre Ansprüche auf Rentenleistungen, auf Sozialversicherungsleistungen, zu behalten. Es ist ein wichtiger Schritt, gerade die Menschen mit geringen Einkommen zu entlasten. Die Frage ist, wie viel es kosten und wie es finanziert werden wird.
Umverteilung als klares Element
tagesschau.de: Zu Zeiten Helmut Kohls gab es einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, zuvor sogar von 56 Prozent, der dann unter Gerhard Schröder abgesenkt wurde. Eine Anhebung nun von 45 auf 48 Prozent: Ist das ein politisches Signal der Mitte, nach dem Motto "Martin Schulz distanziert sich nicht von Schröder"?
Fratzscher: Einige Menschen, die jetzt durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes stärker besteuert werden, profitieren gleichzeitig davon, dass der Spitzensteuersatz erst später greift. Menschen mit mittleren bis hohen Einkommen werden davon keine große Veränderung erfahren, die Menschen mit sehr hohen Einkommen werden sicherlich deutlich stärker belastet. Hier sieht man, dass eine Umverteilung stattfinden soll: Mehr von oben nach unten, das ist ein klares Element des SPD-Steuerkonzepts.
Chancen für Menschen mit geringem Einkommen
tagesschau.de: Sie haben sich auch mit dem Steuerkonzept des DGB beschäftigt. Kann man sagen: Eins von beiden ist besser durchgerechnet, ist kohärenter?
Fratzscher: Die Steuerkonzepte, die ich bisher gesehen habe - auch das vom DGB und der SPD - sind schlüssig durchgerechnet. Beide beinhalten eine klare Umverteilung von oben nach unten, eine Entlastung gerade am unteren Ende. Für mich als Ökonom ist es wichtig zu sehen, welche Menschen davon am meisten profitieren. Wichtig ist, dass die Menschen mit geringen Einkommen mehr Anreize und mehr Chancen haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen, mehr Stunden zu arbeiten. Hier liegt ein großes ungehobenes Potenzial - eine kluge Steuerpolitik muss so gestaltet werden, dass es die Menschen dort entlastet, wo es wirtschaftlich den größten Effekt hat. Das sehe ich sowohl im DGB- als auch im SPD-Vorschlag.
Sozial wäre es, die Mehrwertsteuer zu senken
tagesschau.de: Die SPD ringt bei ihrem Bundesparteitag am Sonntag in Dortmund um das Soziale in der Politik. Was wäre das Sozialste in der Steuerpolitik?
Fratzscher: In der Steuerpolitik denken wir immer an die Einkommenssteuer - die zahlen aber nur Menschen mit hohen Einkommen, die oberen 50 Prozent. Die Menschen am unteren Ende würden am meisten von einer Entlastung bei den indirekten Steuern, vor allem bei der Mehrwertsteuer, profitieren. Denn sie zahlen einen viel größeren Anteil ihres Einkommens in Form von Mehrwertsteuer, Energiesteuer, Tabaksteuer. Und wir vergessen gerne, dass vor über zehn Jahren die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde, also gerade die Menschen am unteren Ende besonders hart getroffen hat. Indem man die Mehrwertsteuer wieder absenken würde, könnte man die Menschen mit geringem Einkommen deutlich entlasten.