Immer weniger Patentanmeldungen Verliert das Land der Erfinder den Anschluss?
Die Zahl der Patentanmeldungen sinkt seit Jahren. Das liege vor allem an schlechteren Rahmenbedingungen, beklagen Unternehmen. Ist der Innovationsstandort Deutschland noch wettbewerbsfähig?
Sie sieht aus wie eine normale Bremsscheibe für das Auto, und doch ist sie mehr als das. Denn wer genauer hinschaut, der erkennt: Die Oberfläche der Bremsscheibe ist anders - überzogen von einer dünnen, dunkleren Schicht. Diese Schicht soll die Zukunft der Automobilbranche verändern, meinen zumindest die Entwickler der Firma Trumpf in Ditzingen bei Stuttgart.
Mit einem neuartigen Laserverfahren verändern sie die Oberfläche der Scheibe so, dass beim Bremsvorgang weniger Abrieb und damit auch weniger Feinstaub entsteht. In Zeiten von zu viel Feinstaub in den Städten hoffen die Entwickler mit ihrer neuen Erfindung auf eine große Nachfrage der Automobilkonzerne.
"Wir sollten die Verwaltung entrümpeln"
"Solche Erfindungen gelingen uns jedoch nur, indem wir die besten Köpfe an uns binden", sagt Berthold Schmidt, der technische Geschäftsführer bei Trumpf. Jedes Jahr investiere sein Unternehmen fast jeden zehnten Euro des Jahresumsatzes in Forschung und Entwicklung. Durch dieses Innovationsbudget von etwa einer halben Milliarde Euro kommen jährlich 300 neue Erfindungen zum Patentportfolio der Firma hinzu.
"Der Innovationsstandort Deutschland bietet für innovative Unternehmen hingegen nicht mehr die besten Voraussetzungen," kritisiert Schmidt und verdeutlicht das an einem Beispiel: "In Deutschland vergehen in der Regel mehrere Wochen, bis alle Genehmigungen zur Gründung eines Unternehmens vorliegen - in anderen Ländern dauert das mitunter gerade mal einen Tag." Vor allem überbordende Gesetze und Bürokratie sieht Schmidt als lähmende Faktoren für junge Firmen, Start-ups und damit auch für Innovationen. "Wir sollten die Verwaltung von Vorgaben entrümpeln und sie durch Digitalisierung beschleunigen."
Deutschland weltweit nur noch auf Platz fünf
Viele Patentanmeldungen werden in Deutschland von mittelständischen Unternehmen wie der Firma Trumpf getätigt. Die meisten davon lassen die Unternehmen durch Patente schützen, so dass sie nicht von anderen Unternehmen kopiert werden dürfen. In Deutschland sind 2022 insgesamt 57.214 solcher Patente beim Deutschen Patent und Markenamt (DPMA) angemeldet worden. Das waren 16 Prozent weniger als noch im Jahr 2018.
Beim internationalen Patentsystem (PCT) wurden im selben Zeitraum etwa zwölf Prozent weniger Patente angemeldet. Hier wurde Deutschland außerdem von Korea überholt und liegt dabei nur noch auf Platz fünf hinter China, den USA, Japan und Korea. Wie interpretiert man also diese Zahlen? Verliert der Innovationsstandort Deutschland an Gewicht im internationalen Vergleich? Wird in Deutschland immer weniger geforscht und entwickelt?
Vor allem weniger Auto-Patente
"Dieser Schluss geht sicher zu weit", heißt es vom DPMA. Denn auch andere Parameter seien für ein solches Urteil wichtig. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung beispielsweise seien in Deutschland über die Jahre deutlich gestiegen. Bezüglich der Patentierung von Forschung sei in Deutschland und Europa das Bewusstsein nicht so groß, so das Patentamt. "In anderen Teilen der Welt - insbesondere in Asien - ist das Bewusstsein dafür sehr ausgeprägt."
Beim DPMA beobachtet man außerdem einen strukturellen Wandel bei den aktuellen Patentanmeldungen. Im Bereich der Elektrotechnik haben sie danach stark zugenommen, in der traditionell starken Automobilindustrie seien die Anmeldezahlen hingegen zurückgegangen. Eva Schewior, die Präsidentin des DPMA, sieht vor allem Bereiche wie die Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz und die Batterietechnologie auf dem Vormarsch, aber "bei der Zahl der Patentanmeldungen wirkt sich diese Entwicklung nicht gerade zugunsten Deutschlands aus".
Auch Ministerium sieht Nachholbedarf
"Die Anzahl an Patenten ist nur einer von vielen Indikatoren, um die Innovationstätigkeit von Unternehmen zu erfassen", heißt es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Als Standortindikator seien dies Zahlen also nicht zielführend. Deutschland sei prinzipiell auf einem guten Weg und für innovative Unternehmen ein "hervorragender Standort."
Dennoch sieht man auch im Wirtschaftsministerium Nachholbedarf bei den Standortfaktoren. Maßnahmen zur Entbürokratisierung und zur Gewinnung von Fachkräften seien da genauso wichtig wie diverse Förderprogramme für Innovationen. "Grundsätzlich setzen Erfindungen Technologieoffenheit voraus - und einen Staat, der einen innovationsfreudigen Rahmen schafft."
Bei wichtigen Schlüsseltechnologien abgehängt?
"Bei digitalen Technologien und Anwendungen steht Deutschland im internationalen Vergleich nicht gut da", sagt hingegen Matthias Bianchi vom Deutschen Mittelstands-Bund. Dabei erfolgten in diesem Bereich mit weitem Abstand weltweit die meisten Patentanmeldungen. Deutschlands Innovationskraft sei nach wie vor ungebrochen hoch, so Bianchi, jedoch seien andere Nationen und Regionen in wichtigen Wachstumsbranchen vorbeigezogen. Ein Grund sei, dass viele große Tech-Konzerne aus den USA und Asien europäischen Unternehmen bei den Innovationsausgaben abhängen.
Besonders negativ seien unter anderem hohe Energiekosten und lähmende Regulierungslasten in Deutschland. Um künftig wettbewerbsfähig zu bleiben, fordert Bianchi deshalb, Staat und Verwaltung zu digitalisieren, Bürokratie abzubauen und Prozesse zu beschleunigen. "Außerdem müssen wir auf europäische Kooperation setzen," sagt er. Nur in ausreichender Vernetzung und Zusammenarbeit innerhalb Europas könne man auch international mithalten.