Milliardengeschäft Nutella Das "Nüsschen" wird 60
Vor 60 Jahren wurde in einer kleinen Konditorei in Norditalien ein Brotaufstrich erfunden, der Karriere machte: eine braune, stark zuckerhaltige Creme namens Nutella. Wie wurde sie zum Welterfolg?
Der Welterfolg wurde aus der Not geboren. Der Konditor Pietro Ferrero in Alba im norditalienischen Piemont steckte in den 1930er-Jahren in Schwierigkeiten, weil ihm plötzlich eine wichtige Zutat fehlte. "Als der Zweite Weltkrieg sich abzeichnete, gab es Sanktionen gegen Italien, und der Import von Kakao wurde teuer", erzählt Giannandrea Carreri. Daraufhin habe Ferrero eine günstige und gute Alternative gesucht und mit Haselnusscreme experimentiert.
Denn Haselnusscreme "war in Alba für einen sehr niedrigen Preis zu haben", erklärt der Journalist der Nachrichtenagentur ADNKronos, der sich in einem Podcast mit dem Erfolg der Ferreros beschäftigt hat. Alba, Geburtsort der Nutella-Creme und immer noch Standort der Ferrero-Gruppe, liegt in einer Gegend, die in Italien als "Haselnuss-Dreieck" bekannt ist. Konditor Ferrero fand damals, eine süße Creme mit Haselnussgeschmack könnte seinen Kunden gefallen - und er sollte recht behalten.
Alle 2,5 Sekunden wird ein Glas verkauft
Heute verkauft der Ferrero-Konzern, der seinen Verwaltungssitz aus steuerlichen Gründen mittlerweile in Luxemburg hat, weltweit alle 2,5 Sekunden ein Glas Nutella. Dem Erfolg des braunen Brotaufstrichs, der zu über 50 Prozent aus Zucker und zu rund 30 Prozent aus Fett besteht, kann auch die Gesundheitswelle nichts anhaben. Im Nach-Corona-Geschäftsjahr 2022/23 legte Ferrero um satte 20 Prozent zu und kam auf insgesamt 17 Milliarden Euro Umsatz.
Ihre Weltkarriere begonnen hat Nutella als kleine, süße Stärkung für einfache Leute. Die Erfindung Pietro Ferreros habe damals, sagt Carreri, in der Konsistenz der dicken Quitten-Marmelade geähnelt, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Italien sehr beliebt war. Das Produkt des findigen Konditors aus Alba aber, erzählt der Journalist und Podcaster, "bestand aus Haselnusscreme und wurde in der Gegend Teil des Mittagessens der Arbeiter am Arbeitsplatz".
Nutella-Backware in einer Auslage
Öffentlichkeitsscheuer Firmenpatriarch
Die Nutella-Produktion ist bis heute in Familienhand. Aus dem kleinen Betrieb im Piemont ist der drittgrößte Süßwarenhersteller weltweit geworden - der 47.000 Mitarbeiter beschäftigt und geschätzt über ein Viertel der weltweiten Haselnussproduktion aufkauft. Giovanni Ferrero, aktueller Konzernchef und Enkel des Haselnusscreme-Erfinders Pietro Ferrero, wird von Forbes mit einem Vermögen von 43,8 Milliarden Dollar als reichster Italiener gelistet. Der 59-Jährige gilt als Feingeist, hat sieben Romane geschrieben, meidet die Öffentlichkeit und gibt so gut wie keine Interviews.
"Mister Nutella" zeigt sich, wenn überhaupt, bei großen Ferrero-Events - und das auch nur alle paar Jahre. "Es ist klar, dass jede Generation neue Grenzen des Möglichen entdecken muss", sagte Giovanni Ferrero beispielsweise bei einer Präsentation seines Unternehmens während der Expo 2015 in Mailand. Und gab einen kleinen Einblick in seine Unternehmensstrategie: "Wir schauen sehr pragmatisch, wie wir das Unternehmen stärken können und ob sich Gelegenheiten bieten, die einen ausreichenden Wert im Zuge der Investition generieren." Kurz darauf kaufte Ferrero die US-Süßwarensparte des Nahrungsmittelriesen Nestlé.
Umstrittenes Palmöl bleibt Bestandteil
Unter dem öffentlichkeitsscheuen Giovanni, der nach dem Tod seines Bruders Pietro Ferrero junior 2011 die Konzernführung alleine übernahm, sind die Themen soziale und ökologische Verantwortung im Unternehmen wichtiger geworden. Zwar zeigen journalistische Recherchen immer noch Probleme bei den Arbeitsbedingungen Ferreros im Ausland. Und das umstrittene Palmöl ist nach wie vor wichtiger Bestandteil der Nutella-Creme.
Nach eigenen Angaben aber verwendet Ferrero mittlerweile zu 100 Prozent Palmöl aus nachhaltigem Anbau. In einer sogenannten Scorecard der Umweltschutzorganisation WWF aus dem Jahr 2021 erreicht Ferrero unter den weltweiten Palmölkäufern gute Werte in Sachen ökologischer Verantwortung. Für ein Unternehmen, sagt Ferrero-Kenner Carreri, müsse es immer auch darum gehen, die Zeit, in der seine Konsumenten leben, zu akzeptieren. Und aktuell sei eine Zeit, meint Carreri, "in der die Konsumenten soziale, ökologische und ethische Verantwortung sowie Nachhaltigkeit wünschen". Da tue ein Unternehmen gut daran, "sich den Bedürfnissen derjenigen anpassen, die seine Produkte kaufen".
Es gibt reichlich Alternativen: Nutella hat jede Menge Konkurrenz.
Wie es zum Namen kam
Den Namen Nutella erfunden hat Michele Ferrero, der Sohn des Firmengründers Pietro und Vater des jetzigen Konzernchefs Giovanni. Er verfeinerte das familieneigene Rezept der Haselnusscreme, die bis dahin "Supercrema" hieß. Die Verwendung von "super" in Produktbezeichnungen wurde dann von Italiens Regierung verboten. Daraufhin nahm Michele Ferrero 1964 das englische "Nut" für Nuss und die italienische Verkleinerungsform "ella". Geboren war - Nutella, wörtlich: das Nüsschen.
Gestritten wird im deutschsprachigen Raum seit langem darüber, ob der, die oder das Nutella richtig ist. Im Geburtsland Italien ist es, wegen der weiblichen Endung, eindeutig - dort heißt es "la Nutella", übersetzt: die Nutella.