Einigung zwischen Bahn und GDL "Innovativ, modern und für alle eine gute Lösung"
Die 35-Stunden-Woche bei der Bahn kann kommen - stufenweise bis 2029. Das sieht die Einigung im Tarifstreit zwischen Bahn und GDL vor. Die Gewerkschaft bezeichnete die Vereinbarung als Erfolg. Für die Bahn machte ein Wahlmodell den Unterschied.
Für Fahrgäste und die Wirtschaft ist es eine Erleichterung: Der monatelange Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL ist beigelegt. Im Mittelpunkt der Einigung steht die Kernforderung der GDL: die 35-Stunden-Woche für Beschäftige im Schichtdienst. Sie wird stufenweise bis 2029 eingeführt - als flexibles Wahlmodell. Wer trotz der Möglichkeit der 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich mehr arbeiten möchte, kann das in einem Arbeitszeitkorridor von 35 bis 40 Wochenstunden tun und erhält mehr Geld.
Vertreter der Bahn, die sich lange unnachgiebig zeigten und zuletzt zu einer Reduzierung der Arbeitszeit auf 36 Wochenstunden bereit waren, äußerten sich nun zufrieden. DB-Personalvorstand Martin Seiler bezeichnete die nicht obligatorische Einführung der 35-Stunden-Woche als ausschlaggebenden Punkt für die Zustimmung des Konzerns. "Es ist uns am Ende ein intelligenter Kompromiss gelungen", sagte Seiler in einem Pressestatement.
Mehr Geld für mehr Wochenstunden
Der erzielte Kompromiss sieht vor, dass die "Referenzarbeitszeit" 2026 auf 37 Stunden pro Woche sinkt, 2027 auf 36 Stunden und 2028 und 2029 um jeweils eine weitere halbe Stunde auf letztlich 35 Stunden.
Im Jahr 2025 werden die Beschäftigten gefragt, ob sie ab folgendem Januar 37 Stunden oder mehr arbeiten wollen; wer nicht antwortet, geht automatisch auf 37 Stunden. In den nachfolgenden Jahren ist es anders herum: Wer sich nicht meldet, bleibt bei der höheren Wochenstundenzahl und erhält pro zusätzliche Stunde 2,7 Prozent mehr Geld.
"Innovativ, modern und am Ende für alle eine gute Lösung", fasste Seiler das neue Modell zusammen. Der Bahn gebe es Flexibilität, und helfe bei der Transformation, erklärte Seiler. Er bezeichnete das Modell zudem als kapazitätenschonend und zeigte sich zuversichtlich, dass das Unternehmen sich in den kommenden Jahren auf den Mehrbedarf an Mitarbeitenden einstellen können wird: "Wir gehen davon aus, dass wir die personellen Kapazitäten bis zu den jeweiligen Reduzierungsschritten auch erreichen." Zumal die Bahn in diesem Jahr eine Rekordzahl von 6.000 Auszubildenden einstellen werde.
Weselsky weiter im Kampfmodus
Als Gewinner des Tarifabschlusses sieht sich deutlich die GDL. Mit einem Seitenhieb auf die Arbeitgeberseite sagte Gewerkschaftschef Claus Weselsky in seinem Statement: "Es ist schwierig, einen Misserfolg als Erfolg zu verkaufen." Die Gewerkschaft selbst habe keinen Misserfolg, sondern Erfolg fast auf ganzer Linie zu verzeichnen, so Weselsky. Lediglich bei der Forderung, die Tarifzuständigkeit auf weitere Unternehmenszweige der DB auszuweiten, sei man nicht vorangekommen.
Dennoch begann Weselsky seine Stellungnahme, die er getrennt von Seiler abgab, mit deutlicher Kritik am DB-Konzern. Die Auseinandersetzung ist nach seinen Worten nicht beendet, weil andere Unternehmenszweige das erzielte Ergebnis nicht erhalten. Denn die Bahn werde das Tarifergebnis in nur 18 Betrieben anwenden.
Die Schuld am langen Arbeitskampf gab Weselsky einzig dem Arbeitgeber. "Wenn es nach uns gegangen wäre, wir hätten diesen Kompromiss viel eher erzielt." Allein die von der DB gegen die GDL angestrengten - und verlorenen -Gerichtsverfahren seien ein Beleg für den lange Zeit nicht vorhandenen Einigungswillen des Arbeitgebers, sagte der GDL-Chef und entschuldigte sich bei den Fahrgästen für die sechs Streikrunden, die der Tarifvereinbarung vorausgingen.
Höhere Löhne vereinbart
Neben der Einigung auf das flexible Wahl-Arbeitszeitmodell vereinbarten Bahn und GDL auch eine Erhöhung der Entgelte. Diese soll in zwei Schritten kommen: 210 Euro mehr pro Monat zum 1. August 2024 und nochmal 210 Euro zum 1. April 2025. Eine Inflationsausgleichsprämie über 2.850 Euro soll ebenfalls in zwei Stufen ab März ausgezahlt werden.
Fahrgastverband ist erleichtert
Für die Fahrgäste bedeutet die Einigung die Klarheit, dass Bahnfahrten auf mittlere Sicht nicht durch Streiks gefährdet sind. Bis Ende Februar 2026 gilt die Friedenspflicht mit der GDL. Der Tarifvertrag läuft im Bereich Entgelte 26 Monate bis zum 31. Dezember 2025, danach folgt eine zweimonatige Verhandlungsphase, in der ebenfalls keine Streiks möglich sind.
Entsprechend zufrieden zeigte sich auch der Fahrgastverband. "Das ist für die Fahrgäste eine ausgesprochene Erleichterung", sagte der Vorsitzende des Verbands, Detlef Neuß, der Rheinischen Post. Allerdings hätte die Einigung auch "ohne so viele Streiks" erzielt werden können. Die Umsetzung des Wahlmodells bei der Arbeitszeit bezeichnete Neuß laut dem Bericht als schwierig. "Man muss aber auch sagen: Ohne bessere Arbeitsbedingungen bekommt man kein neues Personal."
FDP dringt weiterhin auf Reform des Streikrechts
Trotz des Tarifabschlusses hat der monatelange Streit mit den sechs Streikrunden Spuren in Form einer Diskussion um eine Änderung des Streikrechts hinterlassen. Die Einigung sei "eine gute Nachricht für die Kundinnen und Kunden", erklärte der wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben. "Nichtsdestotrotz haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass wir Leitplanken für das Streiken im Bereich der kritischen Infrastruktur benötigen." Die Partei kündigte an, in nächster Zeit an einer Reform des Streikrechts zu arbeiten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP, warnte vor einer Wiederholung des langen Tarifkonflikts. Beide Parteien hätten bewiesen, dass es möglich sei, auch in angespannten Zeiten gemeinsam zu einer Lösung zu kommen - auch wenn die Differenzen zunächst unüberbrückbar schienen, sagte Wissing anerkennend. "Klar ist aber auch, dass die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, keine Schule machen darf. Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut, mit dem alle sehr verantwortungsvoll umgehen müssen." Nach den vergangenen Monaten sei es kein Wunder, dass die Frage laut wurde, ob das Streikrecht womöglich an die Gegebenheiten der Zeit angepasst werden müsse.