Renovierung alter Waggons Das zweite Leben der Kohle-Oldtimer
Es rattern wieder mehr Steinkohle-Züge durch Deutschland - weil Kohlekraftwerke wegen der Energiekrise wieder mehr Strom produzieren. Dafür holt die Bahn ausrangierte Waggons zurück. Die Umbauwerke sind im Dauerbetrieb.
Zwanzig Tonnen wiegt der rostschutzfarbbraune Güterwagen, der gerade vor Markus Heyob schwebt. Mit einer Hebebühne hat er ihn so weit angehoben, dass er mit seinen Kollegen die Drehgestelle austauschen kann. Obwohl die auch drei Tonnen wiegen, kann er sie mit einer Hand schieben: Die Räder gleiten fast geräuschlos über die Schienen im Saarbrücker Bahnwerk. In den nächsten Stunden werden Heyob und seine Kollegen die Drehgestelle auseinanderbauen. Ihre Einzelteile kommen zur Prüfung und werden aufbereitet. Der Kohlewaggon, der in Saarbrücken in der Luft schwebt, bekommt dann das frisch aufbereitete Drehgestell eines anderen, baugleichen Waggons. Es ist der letzte Schritt in der Aufbereitung der alten Wagen. Auf demselben Gleis reihen sich noch eine Handvoll anderer Kohlewagen, alle in unterschiedlichem Stadium der Renovierung.
Auf der Hebebühne lassen sich die tonnenschweren Waggons mühelos hin- und herschieben.
Dreischichtbetrieb in Saarbrücken
Die Energiekrise hat ihnen einen unerwarteten zweiten Frühling verschafft: Mehr als tausend Kohlewaggons hatte die Bahn in den vergangenen Jahren auf das sprichwörtliche Abstellgleis geschickt. Dass sie zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus an der Saar jemals wieder Steinkohle über die saarländischen Schienen fahren würden, war nicht abzusehen - bis die Bundesregierung angesichts der drohenden Gasknappheit alte Kohlekraftwerke reaktivierte. Im Saarland heißt das: Zwei eigentlich stillgelegte Kraftwerke fahren wieder hoch, ein weiteres wird nicht wie geplant geschlossen.
Vorfahrt auf den Gleisen
In Saarbrücken arbeitet man seitdem im Dreischichtbetrieb Kohlewagen am Fließband ab. Selten steht ein Waggon länger als zwei Tage in der Halle. Dass es die alten Wagen überhaupt noch gab, sei ein Zufall, sagt Andreas Wirbelauer lachend. Der Chef der Instandhaltungssparte von DB Cargo ist zu Besuch im Saarbrücker Werk und schaut sich den Fortschritt an. "Solche Wagen sind ja teures Gut. Und bevor wir die in die Verschrottung geben, haben wir geprüft, ob wir sie nicht für andere Transporte umbauen können." So sollten aus den Kohlewaggons Schüttgutwagen, zum Beispiel für Sand und Kies, werden. Doch der Plan liegt jetzt erst einmal auf Eis.
Rund 50 Tonnen Kohle passen in einen Kohlewaggon. In die Züge, die von den Häfen in Rotterdam und Antwerpen aus das Saarland mit Steinkohle beliefern, sind in der Regel rund 45 davon eingereiht. Bis zu 2800 Tonnen schwer sind die Gespanne dann. Bei der ersten Kohlelieferung ins saarländische Bexbach hatte Verkehrs-Staatssekretär Oliver Luksic (FDP) versprochen: Die Kraftwerke bekommen ihre Kohle, auch wenn dafür ICE und Co. warten müssen.
Die Befürchtungen, dass tatsächlich Reisezüge dem Güterverkehr Vorrang gewähren müssten, haben sich bisher nicht bewahrheitet. Bisher habe man die zusätzlichen Güterzüge gut in den Fahrplan einbauen können, heißt es aus der DB-Cargo-Zentrale. Vielleicht ein Grund dafür: Wegen des gesunkenen Gaspreises hat der Strommarkt die saarländischen Kohlekraftwerke weit weniger in Anspruch genommen als ursprünglich geplant. So laufen im Moment nur zwei von drei Kraftwerken überhaupt - und dadurch muss weit weniger Kohle auf die Schiene als eigentlich gedacht.
Andreas Wirbelauer, Chef der Instandhaltungssparte von DB Cargo
Manche Waggons haben noch keine "Flüsterbremsen"
Doch auch auf eine weitere Art mussten die Bahn-Techniker Verzögerungen auf der Schiene vermeiden. "In Rostock stehen ein paar ganz alte Wagen", erklärt Wirbelauer. "Die dürfen vor der Reaktivierung mit maximal 25 km/h fahren. Wenn ich die jetzt einmal quer durch Deutschland mit 25 km/h bis nach Saarbrücken fahre, behindere ich ja den kompletten Bahnverkehr in Deutschland. Deshalb repariere ich die dann natürlich auch in Rostock."
In ganz Deutschland sind es acht Werke, die Kohlewaggons instandsetzen. Das in Rostock muss sich dabei sogar mit besonderen Wagen beschäftigen: Sie waren zum Teil so lange abgestellt, dass sie noch keine "Flüsterbremsen" haben - ein Überholungsprogramm, das eigentlich schon seit Jahren abgeschlossen ist. Mit den Flüsterbremsen sind die Züge nach Auskunft der Bahn nur noch halb so laut wie vorher. Dafür werden die alten Bremsklötze aus Metall durch neue aus einem Spezialmaterial ersetzt.
Schweißer Nicolo Pagano repariert einen Kohlewaggon.
Die Wagen, die in Saarbrücken ankommen, haben die leiseren Bremsen schon. Neben den neuen Drehgestellen sind es hier vor allem die Schüttvorrichtungen, die Kopfschmerzen bereiten. "Nach ein paar Jahren - und besonders, wenn sie abgestellt sind - werden die Hydraulikschläuche porös. Über die wird der Druck hergestellt, durch den sich die Klappen auf den Seiten der Wagen öffnen", sagt Instandhaltungschef Wirbelauer. Wenn die Schläuche kaputtgehen, bleibt die Kohle im Wagen. Zwei Mechaniker tauschen bei einem Waggon in der Saarbrücker Wartungshalle die Schläuche aus. Eine Spezialmaschine simuliert den Öldruck, der bei der Fahrt entsteht, und die Techniker suchen nach Lecks.
Einen Waggon weiter sind die Arbeiten schon fertig. Vorarbeiter Simon Lorz aktiviert mit einem überdimensionierten Schraubenschlüssel den Mechanismus. Die Klappen öffnen und schließen sich wieder. Drei Mal hintereinander klappt das, dann ist der Öldruck zu niedrig. "Das ist super", sagt Wirbelauer, "laut Vorschrift müssen es nur zwei Durchgänge sein. Dieser Wagen wird im Betrieb keine Probleme bereiten."
Auf Wiedersehen bis 2024?
Ein gutes Zeichen - und fast schon der Startschuss für das zweite Leben des Kohle-Waggons auf Deutschlands Schienen. Wenn ein Wagen aus der Halle fährt, kann der nächste nachrücken. Fast tausend hat die Bahn seit Juni schon in Betrieb genommen. Bis Ende des Jahres sollen noch einige dazukommen. Dann ist die Umrüstung erst einmal abgeschlossen, und auf die Saarbrücker Hebebühne kehrt das Tagesgeschäft für die Bahn-Mechaniker zurück: Erzwagen, die die Stahlindustrie an der Saar beliefern.
Bis 2024 sollen die reaktivierten Kohlekraftwerke längstens noch am Netz sein. Vielleicht begegnen die jetzt umgebauten Waggons den Mechanikern im Saarbrücker Werk dann noch einmal - wenn sie zum zweiten Mal umgerüstet werden und als Baumaterial-Wagen das Kapitel Kohletransport wie ursprünglich vorgesehen endgültig hinter sich lassen.