Schiedsverfahren unzulässig BGH stärkt Rechte von EU-Staaten gegen Energiekonzerne
Konzerne wie RWE und Uniper wehren sich gegen die Energiewende und haben Schiedsverfahren gegen Deutschland und die Niederlande eingeleitet. Nun kommt der Dämpfer des Bundesgerichtshofs: Die Schiedsverfahren sind unzulässig.
Der Energiemarkt ist im Wandel. Bis Ende 2038 muss Deutschland alle Kohlekraftwerke stilllegen. So haben es Bundestag und Bundesrat 2020 beschlossen. Im Koalitionsvertrag plant die Ampelkoalition sogar, den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorzuziehen. Gleichzeitig sollen die Bereiche Wind- und Solarenergie weiter ausgebaut werden. Ähnliche Regelungen gibt es auch in den europäischen Nachbarstaaten, zum Beispiel in den Niederlanden.
Investoren leiten Schiedsverfahren ein
Gegen diese Regelungen wehren sich große Investoren auf dem Energiemarkt. Die deutschen Energieversorger RWE und Uniper haben Schiedsverfahren gegen die Niederlande eingeleitet. Der Hintergrund: Die Niederlande wollen spätestens 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen. RWE und Uniper hatten dort in Kohlekraftwerke investiert, was nun zu milliardenschweren Verlusten führt.
Auch gegen Deutschland läuft ein Schiedsverfahren. Es geht um 275 Millionen Euro plus 56 Millionen Euro Zinsen. Ein irischer Investor wollte in der Nordsee Offshore-Windparks errichten und sieht nach Änderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz seine Investitionen gefährdet.
Energiecharta-Vertrag als Grundlage
Grundlage für die Schiedsverfahren ist ein völkerrechtlicher Vertrag, nach dem Investitionsstreitigkeiten zwischen Unternehmen und Mitgliedstaaten vor Schiedsgerichten zu klären sind. Schiedsgerichte sind nichtstaatliche Gerichte, die über bestimmte Streitigkeiten rechtsverbindlich entscheiden können. Sie sind in der Regel schneller als staatliche Gerichte und ihre Urteile im internationalen Bereich häufig einfacher zu vollstrecken.
Dass Schiedsgerichte auch über Streitigkeiten im Energiebereich entscheiden, bestimmt der sogenannte Energiecharta-Vertrag. Dieser gilt in Deutschland seit 1998. Er soll Investitionen auf dem internationalen Energiemarkt absichern. Wer in den Mitgliedstaaten in den Energiemarkt investiert, soll durch den Vertrag Planungssicherheit erhalten und sich auf die dort festgeschriebenen Handelsnormen verlassen können. Gleichzeitig soll der Energiemarkt durch den Vertrag transparenter und effizienter werden. Neben Deutschland sind rund 50 Staaten sowie die EU Mitglied des Energiecharta-Vertrages.
Damit Investoren ihre Rechte einfacher geltend machen können, dürfen sie die Mitgliedstaaten des Energiecharta-Vertrags vor Schiedsgerichten verklagen. Über die Jahre hinweg haben immer wieder Investoren Schiedsverfahren gegen verschiedene Mitgliedstaaten eingeleitet. Dabei ging es um große Fragen wie den Atomausstieg, Verbote von Ölbohrungen und Steuern auf fossile Brennstoffe. Und zuletzt eben um den Kohleausstieg.
Bundesgerichtshof hält Schiedsverfahren für unzulässig
Auf die Schiedsverfahren wollten sich Deutschland und die Niederlande nicht einlassen. Sie halten diese für unzulässig und haben vor den staatlichen Gerichten geklagt. Der Bundesgerichtshof (BGH) gibt ihnen nun Recht: Die Schiedsverfahren verstoßen gegen EU-Recht und sind daher unzulässig.
Der BGH begründet das wie folgt: Wenn die Schiedsgerichte über Streitigkeiten zum Kohleausstieg entscheiden, müssen sie auch EU-Recht anwenden. Im Gegensatz zu staatlichen Gerichten müssen sich die Schiedsgerichte aber nicht an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg halten. Das bedeutet: Sie könnten zum Beispiel bestimmte Klauseln im Vertrag anders auslegen als der Europäische Gerichtshof.
Dieser ist bei Schiedsverfahren außen vor und kann die Entscheidungen der Schiedsgerichte nicht kontrollieren. Über den Weg der Schiedsgerichte könnte es so innerhalb der EU zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen. Und das würde grundlegenden Prinzipien des EU-Rechts widersprechen. So hatte es der Europäische Gerichtshof bereits 2021 in einem wegweisenden Urteil entschieden.
Ampelkoalition will raus aus Energiecharta-Vertrag
Für die Ampelkoalition ist das Urteil ein Erfolg. Sie muss nun nicht mehr befürchten, dass Investoren aus einem anderen Mitgliedstaat Deutschland wegen dessen Energiepolitik vor den Schiedsgerichten verklagen. Unabhängig von der heutigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs dürfte es in Deutschland aber ohnehin immer weniger Schiedsverfahren nach der Energiecharta geben. Denn die Bundesregierung hat bereits im November 2022 erklärt, dass Deutschland aus dem Energiecharta-Vertrag austreten wird.
Die Begründung für den geplanten Austritt: Der Energiecharta-Vertrag sei klimaschädlich und behindere die Energiewende, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Denn der Vertrag in seiner derzeitigen Fassung schütze gerade auch Investitionen in fossile Brennstoffe wie Erdöl, Kohle und Gas. Dadurch würde der Übergang zu nachhaltigen Technologien blockiert. Die Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen könnten so nicht eingehalten werden.
Auch andere EU-Staaten kündigen Austritt an
Ähnlich sehen es auch andere Länder in Europa. Zwar sollte der Energiecharta-Vertrag eigentlich umfassend modernisiert und an die Pariser Klimaziele angepasst werden. Dafür gab es aber unter den Mitgliedstaaten des Energiecharta-Vertrages keine Mehrheit.
Neben Deutschland haben daher auch andere Staaten wie Frankreich, Spanien und die Niederlande ihren Rücktritt vom Energiecharta-Vertrag angekündigt. Auch das Europäische Parlament hat Ende letzten Jahres für einen Austritt der EU aus dem Energiecharta-Vertrag gestimmt. Kürzlich hat auch die EU-Kommission in Brüssel dies befürwortet und einen gemeinsamen Ausstieg aller Mitgliedstaaten vorgeschlagen. In Europa dürfte es in Zukunft also immer weniger Schiedsverfahren nach dem Energiecharta-Vertrag geben.
Aktenzeichen: I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22