Job-Standards der Industrie Harte Kritik am Textilbündnis
Zwei christliche Vereine treten aus dem "Bündnis für nachhaltige Textilien" aus. Sie monieren, dass sich die Arbeitsbedingungen der Branche seit der Rana-Plaza-Katastrophe vor sieben Jahren kaum verbessert hätten.
Die Bedingungen für die Beschäftigten in der Textilindustrie Ostasiens gelten seit langem als problematisch. Um sie zu verbessern, haben rund 130 Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und die Bundesregierung ein "Bündnis für nachhaltige Textilien" gegründet. Nun haben zwei Mitglieder das Bündnis verlassen: Zwei christliche Vereine halten das Textilbündnis für gescheitert und haben ihm deswegen den Rücken gekehrt.
Existenzsichernde Löhne seien nicht erreicht, die Auswirkungen der Corona-Pandemie einfach auf Zulieferer abgewälzt worden, zudem fehle Transparenz bei Lieferketten: Die Liste der Kritikpunkte, die die Christliche Initiative Romero e.V. (CIR) und das Amt für Mission, Ökumene und Kirchliche Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen (MÖWe) als Gründe für ihren Austritt aufführen, ist lang. Relevante Mitglieder wie H&M, Primark oder Puma hätten ihre Berichtspflicht auch in diesem Jahr immer noch nicht erfüllt. Die Hersteller wollten sich auf Anfrage von tagesschau.de dazu nicht äußern.
Das Bündnis selbst wolle den Austritt und die Gründe nicht bewerten, sagte der Leiter des Textilbündnis-Sekretariats Jürgen Janssen tagesschau.de. Im kommenden Jahr werde man sich allerdings noch einmal neu aufstellen und etwa Berichtspflichten entsprechend anpassen. Details nannte das Sekretariat nicht.
Mehr Transparenz als Ziel
Das Bündnis verlangt von seinen Mitgliedern, dass sie sich für existenzsichernde Löhne, einen verringerten Chemikalieneinsatz und die Bekämpfung von Korruption einsetzen. Das Verfahren ist seit 2019 verpflichtend, als Reaktion verließen auch andere Firmen wie beispielsweise Humana oder Edeka das Bündnis. Unter anderem wegen der Fortschrittsberichte seien bereits "26 Unternehmen aus dem Textilbündnis ausgetreten, was wir ausdrücklich bedauern", teilte der Verband Textil und Mode mit.
So hat auch die Textilfirma Trigema das freiwillige Bündnis verlassen, weil sie dieser Berichtspflicht nicht nachkommen wollte. Der bürokratische Aufwand dafür sei zu hoch, sagte Mitinhaber Wolfgang Grupp Jun. auf Anfrage von tagesschau.de. Zudem produziere die Firma überwiegend in Deutschland - viele der Ziele, die das Bündnis verfolgt, halte Trigema seit Jahren ein.
Reaktion auf Fabrik-Einsturz in Bangladesch
Für die christlichen Vereine, die das Bündnis in dieser Woche verlassen haben, geht die Selbstverpflichtung nicht weit genug: "Wir haben als Initiative nach sieben Jahren Bilanz gezogen und festgestellt, dass nichts vorangeht", sagte Sandra Dusch Silva, Referentin für Kleidung beim CIR auf Anfrage von tagesschau.de. Wenn es nicht einmal möglich sei, innerhalb des Bündnisses Transparenz über die Zulieferer herzustellen, weil Firmen schlicht keine Berichte abgeben, könne man auch nicht gemeinsam an Lösungen arbeiten. Von einigen Mitgliedern sei das wohl ohnehin nicht gewollt. Darum will die christliche Initiative nun nur noch mit denjenigen zusammenarbeiten, die auch tatsächlich etwas an den Arbeits- und Umweltstandards bewegen wollen, so die Sprecherin.
Insgesamt 1135 Tote und 2438 Verletzte waren die tragische Bilanz der Rana-Plaza-Katastrophe vor sieben Jahren. Als Reaktion auf den Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch gründete 2014 der damalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller das "Bündnis für nachhaltige Textilien". Die heutigen Mitglieder erwirtschaften nach eigenen Angaben rund die Hälfte des Umsatzes im deutschen Textilmarkt. Große Namen sind unter den Mitgliedern, etwa Adidas, C&A, Deuter, Gerry Weber, H&M, Orsay und Primark, aber auch Luxuslabels wie Hugo Boss und Seidensticker. Insgesamt sind rund 70 Textilfirmen in dem Bündnis organisiert. Daneben sind auch Organisationen wie der WWF, Transparency International oder der NABU Teil des Textilbündnisses.
Viele der Probleme in der Textilindustrie sind den ausgetretenen Vereinen zufolge aber geblieben, weil zu viele verschiedene Interessen in dem Bündnis vertreten seien: Da die Produktion der meisten Modelabels hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfindet, seien die Arbeitsbedingungen nach wie vor oft schlecht, die Löhne gering, es gebe Kinderarbeit. Doch innerhalb des Bündnisses, das dagegen vorgehen will und sich für nachhaltige und fair produzierte Kleidung einsetzen will, gab es zuletzt Zwist über die Berichtspflichten, die manche Firmen auch als Vorbereitung auf das neue Lieferkettengesetz sehen.
Verbot von Kinderarbeit
Das Lieferkettengesetz soll Firmen, die ihre Waren teilweise oder komplett im Ausland produzieren lassen, dazu verpflichten, bei Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. Das Gesetz soll ab 2023 gelten und betrifft alle in Deutschland ansässigen Firmen mit mindestens 3000 Beschäftigen. Sie müssen dann auch bei ihren ausländischen Zulieferern kontrollieren, dass es ein Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit gibt oder dass keine gesundheitsgefährdenden Chemikalien eingesetzt werden. Wie genau Kontrollen funktionieren sollen und ob auch bestimmte Siegel wie der "Grüne Knopf" oder eine Mitgliedschaft im Textilbündnis als Beleg für die Einhaltung der Standards im Lieferkettengesetz gelten werden, ist aber noch unklar.
Selbstverpflichtungen betrachtet das Textilbündnis als Probeläufe für das geplante Lieferkettengesetz. Mit dem "Living-Wage-Lab", einer gemeinsamen Initiative innerhalb des Bündnisses, will man nun zunächst für existenzsicherende Löhne entlang der Lieferkette sorgen. Das wäre erreicht, wenn Arbeiter und ihre Familien von dem Lohn leben könnten. Bisher beteiligen sich aber gerade einmal 17 Mitglieder an dieser Initiative, darunter Aldi, KiK, die Otto Group und Hugo Boss.